Nr. 19
JUGEND
1896
ein schwarzes raschelndes Trauerkleid. Mitten im Zimmer,
hinter der weisen Frau, die jeden Zug im Antlitz des Kranken
belauerte, knieten die Rosenkranzjungfern, zwölf an der Zahl.
Sie hatten schon gestern hier auf den Knieen gelegen, heute
waren sie wieder da. Sie beteten und beteten.
„Vater unser, der Du bist in dem Himmel —“
„Gegrüsset seist Du, Maria, voll der Gnaden, der Herr
ist mit Dir-—“
Vaterunser — gegrüsset — Kügelchen auf Kügelchen
rollte am Rosenkranz, schläfrig lallten die Lippen. Es summte
und surrte mit den Fliegen um die Wette, die schwarz an
der Stubendecke klebten und in Schwärmen über dem Kranken
sich drehten. Sie klebten auf den schweissgetränkten Haaren,
auf dem gewürfelten Bettzeug, auf den armen Händen, die
angstvoll über die Decke fingerten. Niemand jagte die surren-
den Quälgeister fort — für was auch? er fühlte ja nichts mehr.
Und sie glitschten auf und ab mit den dünnen Beinchen,
über die halbgebrochenen Augen, über die vertrockneten Lippen
— jetzt röchelte der Mund — die weise Frau beugte sich
über’s Bett — —
„Noch nicht“, seufzte sie nach einer Weile, „er thut
schwer sterben! Wundert mich, wundert mich“, setzte sie
kopfschüttelnd hinzu, „es sein doch die zwölf tugendhaftsten
Jungfern aus em Dorf, an keiner en Makel — Jesus Maria
Joseph! Betet Kinder, betet fleissig, dass die arme Seel ab-
scheiden kann!“
Wieder rollten die Kügelchen, die Häupter senkten sich,
emsiger murmelten die Lippen.
Sie waren sich alle ihrer Aufgabe bewusst; sie waren die
zwölf tugendhaftesten Jungfrauen im Dorf, rein an Leib und
Seele. Sie waren der Stolz der Gemeinde; sie trugen die
Marienfahne bei der Prozession; sie schmückten den Altar
der Hochheiligsten; sie knieten vorn in der Messe, und wo
eine Seele abscheiden wollte, da wurden sie gerufen. Auf den
Schwingen ihrer reinen Gebete stieg sie leicht zum Himmel.
Nur hier nicht.
Der Blick der Ende-Lange-Bäuerin ruhte finster auf den
Betenden. Er bohrte sich förmlich in das Gesicht der Einen,
der Blonden, da vorn in der ersten Reihe — Maria Lenack,
nur eine Häuslerstochter, aber die schönste, die frömmste
aus dem Rosenkranz — wie bleich sie jetzt war!
Des Weibes knochige Hand streckte sich aus, als wolle
sie die Blonde, da vorne, wegzerren, wegstossen.
„Du Königin der Jungfrauen!
„Du Königin des hochheiligen Rosenkranzes!
„Gegrüsset seist Du —!“
— Die Hand sank wieder herab und hing schlaff in den
Falten des schwarzen Trauerkleides. Aber der finstre, düster
drohende Blich hielt an. Er schoss stechend hin und her,
vom Bett des Kranken bis zu dem jungen blonden Gesicht.
Wenn die Ende-Lange-Bäuerin hätte reden wollen! Aber
sie blieb stumm; nur nach langer Weile sagte ihre harte ein-
tönige Stimme:
„Se erzählen sich en alte Geschieht — ich weiss nich
ob se wahr is — wann unter den Rosenkranzjungfern eine
is, die nich mehr rein an Leib und Seel thut sein da kann
der Kranke nich sterben. Sie hält mit ihrer Lüg die Seel
auf — — alle Strafen der Höll über die Betrügerin — ewige
Verdamniss — mag sie im Fegfeuer brennen!“ Sie schwieg
wieder und presste die Lippen zusamrpen!
Eilfertig glitten die Fliegen auf und ab — sum sum, surr
surr, ss....— das einzige Fenster war fest geschlossen, die
Thür auch; die Luft dick zum Schneiden, geschwängert von
Miasmen. Eine lähmende Mattigkeit kroch aus den Ecken.
Das Röcheln im Bett wurde stärker, die Augen des Liegenden
verdrehten sich, die Nase so spitz, das Kinn sank herunter. —
„Nu stirbt er! Bäuerin, tretet’ran“, sagte die Neuberten.
„Er kann nicht!“ Die Bäuerin rührte sich nicht.
Da — plötzlich ein dumpfer Schrei! Die blonde Maria,
vorn in der ersten Reihe, Hess rasselnd den Rosenkranz zur
Erde fallen; mit verstörtem Blick schaute sie irr um sich,
schlug mit den Händen wild in die Luft, sprang taumelnd
auf und stürzte vorwärts wieder zusammen, die Stirn auf die
Bettkante schlagend.
Allgemeiner Tumult! Wie eine Schaar verschüchterter
Gänse drängten sich die Mädchen auf einander — bange Se-
kunden verstrichen. Endlich rafften die zwei Nächsten die
Gefährtin auf; sie fassten sie unter die Arme, zerrten sie
empor und schleiften sie zur Thür. Der hübsche Kopf war
der Ohnmächtigen auf die Schulter gesunken, alle sahen die
fahle Blässe auf den weichen Zügen und den perlenden
Schweiss auf der Stirn.
Niemand hatte des Sterbenden acht. Vom Gepolter an
seinem Lager noch einmal zurückgerufen, riss er die Lider
in die Höh, ohne zu sehen ; er bäumte sich mit geballten
Fäusten, seine Lippen versuchten noch ein letztes unartiku-
Iirtes Stöhnen — „Mar“-
„Still!“ sagte die Bäuerin und legte die eiseskalte Hand
fest auf den zuckenden Mund — noch ein Bäumen — —!
Die Thür schloss sich hinter der wankenden Gestalt der
Blonden — der Bauer war nicht mehr, seines Weibes Finger
drückten ihm eben die gebrochenen Augen zu.
Bei dem Begräbniss des Ende-Lange weinte seine Wittwe
nicht. Sie war ein starkes Weib. Die Lippen fest aufeinander
gepresst, das Gebetbuch im weissen gestickten Taschentuch
gegen das Herz gedrückt, schritt sie gemessen, in neuen
knarrenden Lederschuhen hinter dem Sarge drein. Ohne mit
der Wimper zu zucken, hörte sie die Erdschollen nieder-
prasseln. Schweren Tritts wandelte sie dann langsam wieder
heim, und während drinnen Verwandte und Gefreundte bei
Bier, Schnaps, Braten und Kuchen dem Bauer die letzte
Ehre anthaten, ging sie hinaus in den Stall und fütterte
ihr Vieh.
Hinter den halbverfallnen Schuppen warf sie einen Blick
— da grünte das Gras, da blaute der Wald in der Ferne —
sie dachte an ihren Mann, den Ende-Lange, aber keine Thräne
kam in ihre Augen.
Sie hatte ihn längst verloren — hier waPsl
Gezeichnet von Hegenbart.
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JUGEND
1896
ein schwarzes raschelndes Trauerkleid. Mitten im Zimmer,
hinter der weisen Frau, die jeden Zug im Antlitz des Kranken
belauerte, knieten die Rosenkranzjungfern, zwölf an der Zahl.
Sie hatten schon gestern hier auf den Knieen gelegen, heute
waren sie wieder da. Sie beteten und beteten.
„Vater unser, der Du bist in dem Himmel —“
„Gegrüsset seist Du, Maria, voll der Gnaden, der Herr
ist mit Dir-—“
Vaterunser — gegrüsset — Kügelchen auf Kügelchen
rollte am Rosenkranz, schläfrig lallten die Lippen. Es summte
und surrte mit den Fliegen um die Wette, die schwarz an
der Stubendecke klebten und in Schwärmen über dem Kranken
sich drehten. Sie klebten auf den schweissgetränkten Haaren,
auf dem gewürfelten Bettzeug, auf den armen Händen, die
angstvoll über die Decke fingerten. Niemand jagte die surren-
den Quälgeister fort — für was auch? er fühlte ja nichts mehr.
Und sie glitschten auf und ab mit den dünnen Beinchen,
über die halbgebrochenen Augen, über die vertrockneten Lippen
— jetzt röchelte der Mund — die weise Frau beugte sich
über’s Bett — —
„Noch nicht“, seufzte sie nach einer Weile, „er thut
schwer sterben! Wundert mich, wundert mich“, setzte sie
kopfschüttelnd hinzu, „es sein doch die zwölf tugendhaftsten
Jungfern aus em Dorf, an keiner en Makel — Jesus Maria
Joseph! Betet Kinder, betet fleissig, dass die arme Seel ab-
scheiden kann!“
Wieder rollten die Kügelchen, die Häupter senkten sich,
emsiger murmelten die Lippen.
Sie waren sich alle ihrer Aufgabe bewusst; sie waren die
zwölf tugendhaftesten Jungfrauen im Dorf, rein an Leib und
Seele. Sie waren der Stolz der Gemeinde; sie trugen die
Marienfahne bei der Prozession; sie schmückten den Altar
der Hochheiligsten; sie knieten vorn in der Messe, und wo
eine Seele abscheiden wollte, da wurden sie gerufen. Auf den
Schwingen ihrer reinen Gebete stieg sie leicht zum Himmel.
Nur hier nicht.
Der Blick der Ende-Lange-Bäuerin ruhte finster auf den
Betenden. Er bohrte sich förmlich in das Gesicht der Einen,
der Blonden, da vorn in der ersten Reihe — Maria Lenack,
nur eine Häuslerstochter, aber die schönste, die frömmste
aus dem Rosenkranz — wie bleich sie jetzt war!
Des Weibes knochige Hand streckte sich aus, als wolle
sie die Blonde, da vorne, wegzerren, wegstossen.
„Du Königin der Jungfrauen!
„Du Königin des hochheiligen Rosenkranzes!
„Gegrüsset seist Du —!“
— Die Hand sank wieder herab und hing schlaff in den
Falten des schwarzen Trauerkleides. Aber der finstre, düster
drohende Blich hielt an. Er schoss stechend hin und her,
vom Bett des Kranken bis zu dem jungen blonden Gesicht.
Wenn die Ende-Lange-Bäuerin hätte reden wollen! Aber
sie blieb stumm; nur nach langer Weile sagte ihre harte ein-
tönige Stimme:
„Se erzählen sich en alte Geschieht — ich weiss nich
ob se wahr is — wann unter den Rosenkranzjungfern eine
is, die nich mehr rein an Leib und Seel thut sein da kann
der Kranke nich sterben. Sie hält mit ihrer Lüg die Seel
auf — — alle Strafen der Höll über die Betrügerin — ewige
Verdamniss — mag sie im Fegfeuer brennen!“ Sie schwieg
wieder und presste die Lippen zusamrpen!
Eilfertig glitten die Fliegen auf und ab — sum sum, surr
surr, ss....— das einzige Fenster war fest geschlossen, die
Thür auch; die Luft dick zum Schneiden, geschwängert von
Miasmen. Eine lähmende Mattigkeit kroch aus den Ecken.
Das Röcheln im Bett wurde stärker, die Augen des Liegenden
verdrehten sich, die Nase so spitz, das Kinn sank herunter. —
„Nu stirbt er! Bäuerin, tretet’ran“, sagte die Neuberten.
„Er kann nicht!“ Die Bäuerin rührte sich nicht.
Da — plötzlich ein dumpfer Schrei! Die blonde Maria,
vorn in der ersten Reihe, Hess rasselnd den Rosenkranz zur
Erde fallen; mit verstörtem Blick schaute sie irr um sich,
schlug mit den Händen wild in die Luft, sprang taumelnd
auf und stürzte vorwärts wieder zusammen, die Stirn auf die
Bettkante schlagend.
Allgemeiner Tumult! Wie eine Schaar verschüchterter
Gänse drängten sich die Mädchen auf einander — bange Se-
kunden verstrichen. Endlich rafften die zwei Nächsten die
Gefährtin auf; sie fassten sie unter die Arme, zerrten sie
empor und schleiften sie zur Thür. Der hübsche Kopf war
der Ohnmächtigen auf die Schulter gesunken, alle sahen die
fahle Blässe auf den weichen Zügen und den perlenden
Schweiss auf der Stirn.
Niemand hatte des Sterbenden acht. Vom Gepolter an
seinem Lager noch einmal zurückgerufen, riss er die Lider
in die Höh, ohne zu sehen ; er bäumte sich mit geballten
Fäusten, seine Lippen versuchten noch ein letztes unartiku-
Iirtes Stöhnen — „Mar“-
„Still!“ sagte die Bäuerin und legte die eiseskalte Hand
fest auf den zuckenden Mund — noch ein Bäumen — —!
Die Thür schloss sich hinter der wankenden Gestalt der
Blonden — der Bauer war nicht mehr, seines Weibes Finger
drückten ihm eben die gebrochenen Augen zu.
Bei dem Begräbniss des Ende-Lange weinte seine Wittwe
nicht. Sie war ein starkes Weib. Die Lippen fest aufeinander
gepresst, das Gebetbuch im weissen gestickten Taschentuch
gegen das Herz gedrückt, schritt sie gemessen, in neuen
knarrenden Lederschuhen hinter dem Sarge drein. Ohne mit
der Wimper zu zucken, hörte sie die Erdschollen nieder-
prasseln. Schweren Tritts wandelte sie dann langsam wieder
heim, und während drinnen Verwandte und Gefreundte bei
Bier, Schnaps, Braten und Kuchen dem Bauer die letzte
Ehre anthaten, ging sie hinaus in den Stall und fütterte
ihr Vieh.
Hinter den halbverfallnen Schuppen warf sie einen Blick
— da grünte das Gras, da blaute der Wald in der Ferne —
sie dachte an ihren Mann, den Ende-Lange, aber keine Thräne
kam in ihre Augen.
Sie hatte ihn längst verloren — hier waPsl
Gezeichnet von Hegenbart.
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