Nr. 20
JUGEND
1896
Zierleiste
gezeichnet von J. Berchtold.
's war ein Bild, die schöne schlanke
Frau, wie sie so vor ihrem Schmuck-
tische stand, die rosigen Fingerspitzen
auf den weichen Peluche gestemmt, das feine
Köpfchen mit dem vollen Haar ein wenig
übergeneigt, und mit glückseligem Lächeln
niederschaute auf all’ die zarten Aufmerk-
samkeiten, die man ihr zum heutigen Ge-
burtstage geschenkt. Da standen Körbe
hellfarbiger Blumen, rund um den Tisch
aufgestellt, von Geschäftsfreunden ihres
Mannes geschickt, da lagen Sträusse, in
vornehme weisse Manschetten gepresst,
von den vielen Leuten, die sich die Kund-
schaft ihres Hauses erhalten wollten, da
lag auch ein Bouquet hellfarbiger Rosen,
von ihrem jungen Hausarzt geschickt, da
stand ein Teller mit einer feinen Hand-
malerei, von ihrer jungen Nichte, die ja
so viel Talent hatte, und auf dem Teller
lag eine ganze Menge von farbigen duft-
igen Briefchen, geschrieben von ihren
vielen lieben Freundinnen, die sich nie
ihren Geburtstag entgehen Hessen, ohne
ihr zu gratuliren; — da war schliesslich
ein Bracelet von seltener Geschmacklosig-
keit, das ihr der liebe Papa geschenkt, und
vor allem lag da — die Krone all’ dieser
Herrlichkeiten — das sinnige Geschenk
des praktischen Gemahls, der den Traum
ihres Herzens zu errathen gewusst: Eine
Geldbanknote von verheissungsvollem Um-
fange. Träumerisch sah die schöne Frau
auf diese Banknote hernieder, und träu-
merisch lächelnd hob sie den Blick und
sah zwischen den dunkelrothen Portieren
hinaus auf die frischbeschneiten Bäume
ihres Gartens, auf denen die Strahlen der
Sonne bläulich blitzten. —
Jetzt kamen die Kinder.
„Wir gratuliren!“ riefen drei helle Stim-
men, und mit verlegener Lustigkeit stürm-
ten die Kleinen herein, gefolgt von dem zum
Ernste mahnenden Fräulein. Die schöne
Frau küsste sie alle ab, den ältesten, den
Paul, der schon 12 Jahre war, und die zehn-
jährige blonde Fritzi, und den sechsjährigen
Hans, der noch nicht die erfahrene Lebens-
klugheit und den sicheren Takt seiner Ge-
schwister besass, und, die grossen unschul-
digen Augen starr auf Mamas linken Mittel-
finger gerichtet, ganz unnöthiger Weise noch
einmal wiederholte: Wir gratuliren.
Paul versuchte indess mit männlicher
Energie, Mamas neues Bracelet zu zer-
brechen, aber Mama wies ihn nicht wie
gewöhnlich mit einer unwilligen Beweg-
ung zurecht, sie war heute milde gestimmt,
so dass sie den Krauskopf des Jungen an
sich zog und streichelte, was dieser wieder
dazu benützte, sie in den Seidenärmel zu
beissen.
Währenddem stiess das Fräulein die
kleine Fritzi einigemale an; diese nahm
dann immer wieder einen Anlauf, als wolle
sie ein Regierungsprogramm entwickeln
und öffnete krampfhaft den Mund, wie
ein Fisch im Sande. Schliesslich aber
mochte sie einsehen, dass sie ihrer Stell-
ung im Hause schuldig sei, ihren beiden
Brüdern, die sie bemutterte, ein Beispiel
zu geben und sie begann: „Hochverehrte
Eltern . . . .“
„Mais oü penses-tu? Woran denkst
Du wieder“, sagte das Fräulein wüthend.
Fritzi war entrüstet: „Es steht doch
so im Buch!“
„Im Buch’ ist’s doch eine Neujahrs-
gratulation.“
„Schon gut! Schon gut!“ sagte die
schöne Frau begütigend. „Sei nur recht
brav, Fritzi, und kneip’ den Hans nicht
immer in die Beine. Das ist mir das
liebste Geburtstagsgeschenk.“
Paul musste unbedingt etwas auf dem
Herzen haben. Er schlang beide Arme
um Mamas Taille und drückte sie an sich,
so fest er konnte. Leider gelang es ihm
nicht, Mama schreien zu machen, wie er
beabsichtigt hatte: Entweder war Mama
an solche Umarmungen schon gewöhnt
oder er war noch zu schwach! — Nun
schaute er spitzbübisch lächelnd zum Fräu-
lein hinüber, die in diesem Blicke schon
ein Unheil ahnte, und fragte dabei zu
Mama hinauf: „Du, Mama, sag’ einmal,
wie alt bist Du denn eigentlich heute?“
„Ja, Mama, wie alt bist Du?“ rief auch
Fritzi.
„Wie alt, Mama —?“ fragte der kleine,
aber dicke Hans.
Die schöne Frau suchte zu lächeln.
Sie zog eine Düte aus dem Sacke und
hielt sie hoch in die Luft: „Seht Ihr, das
hab ich Euch gestern mitgebracht — ver-
zuckerte Kastanien!“
U°
JUGEND
1896
Zierleiste
gezeichnet von J. Berchtold.
's war ein Bild, die schöne schlanke
Frau, wie sie so vor ihrem Schmuck-
tische stand, die rosigen Fingerspitzen
auf den weichen Peluche gestemmt, das feine
Köpfchen mit dem vollen Haar ein wenig
übergeneigt, und mit glückseligem Lächeln
niederschaute auf all’ die zarten Aufmerk-
samkeiten, die man ihr zum heutigen Ge-
burtstage geschenkt. Da standen Körbe
hellfarbiger Blumen, rund um den Tisch
aufgestellt, von Geschäftsfreunden ihres
Mannes geschickt, da lagen Sträusse, in
vornehme weisse Manschetten gepresst,
von den vielen Leuten, die sich die Kund-
schaft ihres Hauses erhalten wollten, da
lag auch ein Bouquet hellfarbiger Rosen,
von ihrem jungen Hausarzt geschickt, da
stand ein Teller mit einer feinen Hand-
malerei, von ihrer jungen Nichte, die ja
so viel Talent hatte, und auf dem Teller
lag eine ganze Menge von farbigen duft-
igen Briefchen, geschrieben von ihren
vielen lieben Freundinnen, die sich nie
ihren Geburtstag entgehen Hessen, ohne
ihr zu gratuliren; — da war schliesslich
ein Bracelet von seltener Geschmacklosig-
keit, das ihr der liebe Papa geschenkt, und
vor allem lag da — die Krone all’ dieser
Herrlichkeiten — das sinnige Geschenk
des praktischen Gemahls, der den Traum
ihres Herzens zu errathen gewusst: Eine
Geldbanknote von verheissungsvollem Um-
fange. Träumerisch sah die schöne Frau
auf diese Banknote hernieder, und träu-
merisch lächelnd hob sie den Blick und
sah zwischen den dunkelrothen Portieren
hinaus auf die frischbeschneiten Bäume
ihres Gartens, auf denen die Strahlen der
Sonne bläulich blitzten. —
Jetzt kamen die Kinder.
„Wir gratuliren!“ riefen drei helle Stim-
men, und mit verlegener Lustigkeit stürm-
ten die Kleinen herein, gefolgt von dem zum
Ernste mahnenden Fräulein. Die schöne
Frau küsste sie alle ab, den ältesten, den
Paul, der schon 12 Jahre war, und die zehn-
jährige blonde Fritzi, und den sechsjährigen
Hans, der noch nicht die erfahrene Lebens-
klugheit und den sicheren Takt seiner Ge-
schwister besass, und, die grossen unschul-
digen Augen starr auf Mamas linken Mittel-
finger gerichtet, ganz unnöthiger Weise noch
einmal wiederholte: Wir gratuliren.
Paul versuchte indess mit männlicher
Energie, Mamas neues Bracelet zu zer-
brechen, aber Mama wies ihn nicht wie
gewöhnlich mit einer unwilligen Beweg-
ung zurecht, sie war heute milde gestimmt,
so dass sie den Krauskopf des Jungen an
sich zog und streichelte, was dieser wieder
dazu benützte, sie in den Seidenärmel zu
beissen.
Währenddem stiess das Fräulein die
kleine Fritzi einigemale an; diese nahm
dann immer wieder einen Anlauf, als wolle
sie ein Regierungsprogramm entwickeln
und öffnete krampfhaft den Mund, wie
ein Fisch im Sande. Schliesslich aber
mochte sie einsehen, dass sie ihrer Stell-
ung im Hause schuldig sei, ihren beiden
Brüdern, die sie bemutterte, ein Beispiel
zu geben und sie begann: „Hochverehrte
Eltern . . . .“
„Mais oü penses-tu? Woran denkst
Du wieder“, sagte das Fräulein wüthend.
Fritzi war entrüstet: „Es steht doch
so im Buch!“
„Im Buch’ ist’s doch eine Neujahrs-
gratulation.“
„Schon gut! Schon gut!“ sagte die
schöne Frau begütigend. „Sei nur recht
brav, Fritzi, und kneip’ den Hans nicht
immer in die Beine. Das ist mir das
liebste Geburtstagsgeschenk.“
Paul musste unbedingt etwas auf dem
Herzen haben. Er schlang beide Arme
um Mamas Taille und drückte sie an sich,
so fest er konnte. Leider gelang es ihm
nicht, Mama schreien zu machen, wie er
beabsichtigt hatte: Entweder war Mama
an solche Umarmungen schon gewöhnt
oder er war noch zu schwach! — Nun
schaute er spitzbübisch lächelnd zum Fräu-
lein hinüber, die in diesem Blicke schon
ein Unheil ahnte, und fragte dabei zu
Mama hinauf: „Du, Mama, sag’ einmal,
wie alt bist Du denn eigentlich heute?“
„Ja, Mama, wie alt bist Du?“ rief auch
Fritzi.
„Wie alt, Mama —?“ fragte der kleine,
aber dicke Hans.
Die schöne Frau suchte zu lächeln.
Sie zog eine Düte aus dem Sacke und
hielt sie hoch in die Luft: „Seht Ihr, das
hab ich Euch gestern mitgebracht — ver-
zuckerte Kastanien!“
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