Nr. 20
. JUGEND •
1896
„Na, siehst Du, Mama, jetzt weiss ich’s!“
rief Paul, das lachende Gesicht zwischen der
Thüre.
Da verzerrte sich das melancholische
Lächeln um den Mund der schönen Frau,
ihre Perlenzähne knirschten, eine Blutwelle
stieg in ihr rosiges Antlitz, mit wilder Geberde
ergriff sie eine elfenbeinerne Kopfbürste und
stürzte auf den Kleinen zu, der vergnüglich
Mamas Aufregung mit ansah.
„Willst Du wohl schweigen, Bengel!?“
schrie die schöne Frau, die feine Hand drohend
erhoben.
Nun hatte die Sache für Paul erst Inter-
esse. Wie ein Kannibale stürzte er in’s Vor-
zimmer, mit dem Kriegsgeheul: „Mama ist
34 Jahre alt!“
Mama stand hinter der Thüre — eine
Medea. Erst wollte sie dem Verräther nach-
eilen; aber sie erinnerte sich, dass sie das
vor dem Fräulein blamieren würde. Sie ist
also völlig machtlos, sie muss es dulden,
dass ihr eigenes Kind ein Geheimniss ver-
fällt, das sie so ängstlich gehütet. Da stieg
es ihr heiss in die Augen.
Das ist der Dank der Kinder, dachte sie
mit Bitterkeit, dafür opfert man seine Jugend,
dafür wacht man an ihrem Bette, wenn sie
krank sind, und weint sich die schönen Augen
wund. — Das ist der Dank.
Und tief verstimmt, mit zusammenge-
zogenen Brauen schritt sie langsam dem
hohen Wandspiegel zu, der am Fenster stand.
Dabei horchte sie gespannt auf Pauls Stimme
im Nebenzimmer, der seinen Geschwistern
jubelnd das überraschende Resultat seiner
Expedition verkündete: Mama ist 34 Jahre
alt! Um Mama’s Mund zuckte es wie bitterer
Hass. Es war zum ersten Male, dass sie ihr
Alter aus fremdem Munde erfuhr; und es war
der Mund des eigenen Kindes! — Traurig hob
sie das Haupt und schaute in den Spiegel.
Da stieg ihr eine dunkle Blutwelle in’s Ge-
sicht, um Gottes Willen, wie hässlich sie
war! Sie stand hier so, dass von der einen
Seite das helle Schneelicht einfiel, während
auf der anderen das Dunkel des Zimmers
gespenstische Furchen in ihr Antlitz zog.
Unter den Augen lagen unregelmässige tiefe
Schatten, um den Mund hatte das melan-
cholische Lächeln einige melancholische kleine
Falten zurückgelassen. Die Wangen waren
durch die Aufregung, in der sie sich befand,
dunkelroth, was sich ungemein trivial aus-
nahm ....
Mit einem schweren Seufzer liess sie sich
auf die Chaiselongue gleiten; zum ersten-
male in ihrem Leben wehte sie der Hauch
des Todes an, dass sie erschrak. Sie ist
also alt! —
Heute nur bei scharfer Schneebeleuchtung;
nächstes Jahr an allen hellen Tagen, in fünf
Jahren auch am Abend bei verjüngendem
Lampenlicht. Sie ist also alt, — älter vielleicht
als sie selber annimmt. Andere Leute haben
die Runzeln vielleicht schon so und so lange
bemerkt, und haben sich über sie lustig ge-
macht, dass sie die Jugendliche spiele. Es
gibt ja nichts, was lächerlicher wäre als eine
alternde Schönheit. Wie oft hatte sie selbst
als Mädchen, als junge Frau, Thränen gelacht
Gezeichnet von L. Corinth.
über ältere Frauen, die die Jugend krampfhaft
spielen wollten. Mein Gott! Das ist das
ewige Recht der Jugend. Sie weiss ja nicht,
wie traurig es ist, Abschied zu nehmen, von
Jugend, Kraft und Schönheit, wie unendlich
traurig für eine schöne Frau es ist, zu ster-
ben und sich selbst zu überleben!
Die schöne Frau schaute mit feuchtem
Blick hinüber nach dem mit Blumen und
Schmuck bedeckten Tischchen. Ach, alle diese
Rosen und alle diese Glückwünsche und all’
der heitere Tand verdecken diese kleinen
Runzeln nicht, die da, unter den Augen. —
Und Paul spielte mit Fritzi und Hans
„Familie.“ Paul war der gestrenge Papa, Hans,
der zu jeder anderen gesellschaftlichen Funk-
tion unbrauchbar, war das Kind und Fritzi war
die Mama und war 34 Jahre alt. Und sie
jubelte darüber: 34 Jahre, 34 Jahre!
Die schöne Frau aber begrub ihr Antlitz
in dem weissen Felle der Chaiselongue, vor-
sichtig, um die Frisur zu schonen, und weinte
so bitterlich als es ihr enges Mieder erlaubte.
So fand sie auch der heimkehrende Gemahl.
„Was hast Du denn, Schatz?“ fragte er
in Angst um seine häusliche Ruhe.
Da warf ihm die schöne Frau einen un-
gewöhnlich gereizten Blick zu.
„Was ich habe?“ fuhr sie auf, „hörst Du
denn nicht den Paul, wie er im ganzen Hause
herumläuft und schreit: Mamaist34Jahre alt! —
Das geht doch niemanden etwas an! — Warum
erziehst Du Deine Kinder nicht besser?“
„Ja, um Gotteswillen!“ versetzte er tief-
erschrocken, „wie hat er denn das heraus-
gebracht?“
„Mein Gott! Er hat mich belauscht. Ich
überdachte so bei mir, dass ich schon eine
alte Frau bin, und meinem lieben Mann doch
gar nicht mehr gefallen könnte!...“
„Aber!“
„Ja, ja! Und da sprach ich so vor mich
hin: Wie könnte ich ihm auch gefallen, ich
bin ja schon 34 Jahre alt! — Und das hat der
Schlingel gehört!“
Und bekümmert presste sie ihr Spitzen-
taschentuch vor die Augen.
„Dieses entartete Kind !“ entrüstete er sich,
und umschlang die schöne Frau mit der ge-
läufigen Zärtlichkeit des langjährigen Gatten.
„Aber schliesslich, tröste Dich, Kind! Sieh’,
es ist ja noch ein Glück, dass Du Dich in
Deinem Selbstgespräch nicht soweit hast hin-
reissen lassen, Dein wahres Alter anzugeben,
denn sonst würde der Paul doch gar im ganzen
Hause ausschreien: Mama ist 37 Jahre alt!“
dt*
Die bösen Zungen
Zu Fulda über den Marktplatz
Ging einer um Mitternacht,
Der war von seiner Frau Mutter
Sonntags zur Welt gebracht.
Der sah in der Geisterstunde
Ein lustiges Strafgericht:
Hell liegt die Rathhaustreppe
In feuerrothem Licht;
312
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„Na, siehst Du, Mama, jetzt weiss ich’s!“
rief Paul, das lachende Gesicht zwischen der
Thüre.
Da verzerrte sich das melancholische
Lächeln um den Mund der schönen Frau,
ihre Perlenzähne knirschten, eine Blutwelle
stieg in ihr rosiges Antlitz, mit wilder Geberde
ergriff sie eine elfenbeinerne Kopfbürste und
stürzte auf den Kleinen zu, der vergnüglich
Mamas Aufregung mit ansah.
„Willst Du wohl schweigen, Bengel!?“
schrie die schöne Frau, die feine Hand drohend
erhoben.
Nun hatte die Sache für Paul erst Inter-
esse. Wie ein Kannibale stürzte er in’s Vor-
zimmer, mit dem Kriegsgeheul: „Mama ist
34 Jahre alt!“
Mama stand hinter der Thüre — eine
Medea. Erst wollte sie dem Verräther nach-
eilen; aber sie erinnerte sich, dass sie das
vor dem Fräulein blamieren würde. Sie ist
also völlig machtlos, sie muss es dulden,
dass ihr eigenes Kind ein Geheimniss ver-
fällt, das sie so ängstlich gehütet. Da stieg
es ihr heiss in die Augen.
Das ist der Dank der Kinder, dachte sie
mit Bitterkeit, dafür opfert man seine Jugend,
dafür wacht man an ihrem Bette, wenn sie
krank sind, und weint sich die schönen Augen
wund. — Das ist der Dank.
Und tief verstimmt, mit zusammenge-
zogenen Brauen schritt sie langsam dem
hohen Wandspiegel zu, der am Fenster stand.
Dabei horchte sie gespannt auf Pauls Stimme
im Nebenzimmer, der seinen Geschwistern
jubelnd das überraschende Resultat seiner
Expedition verkündete: Mama ist 34 Jahre
alt! Um Mama’s Mund zuckte es wie bitterer
Hass. Es war zum ersten Male, dass sie ihr
Alter aus fremdem Munde erfuhr; und es war
der Mund des eigenen Kindes! — Traurig hob
sie das Haupt und schaute in den Spiegel.
Da stieg ihr eine dunkle Blutwelle in’s Ge-
sicht, um Gottes Willen, wie hässlich sie
war! Sie stand hier so, dass von der einen
Seite das helle Schneelicht einfiel, während
auf der anderen das Dunkel des Zimmers
gespenstische Furchen in ihr Antlitz zog.
Unter den Augen lagen unregelmässige tiefe
Schatten, um den Mund hatte das melan-
cholische Lächeln einige melancholische kleine
Falten zurückgelassen. Die Wangen waren
durch die Aufregung, in der sie sich befand,
dunkelroth, was sich ungemein trivial aus-
nahm ....
Mit einem schweren Seufzer liess sie sich
auf die Chaiselongue gleiten; zum ersten-
male in ihrem Leben wehte sie der Hauch
des Todes an, dass sie erschrak. Sie ist
also alt! —
Heute nur bei scharfer Schneebeleuchtung;
nächstes Jahr an allen hellen Tagen, in fünf
Jahren auch am Abend bei verjüngendem
Lampenlicht. Sie ist also alt, — älter vielleicht
als sie selber annimmt. Andere Leute haben
die Runzeln vielleicht schon so und so lange
bemerkt, und haben sich über sie lustig ge-
macht, dass sie die Jugendliche spiele. Es
gibt ja nichts, was lächerlicher wäre als eine
alternde Schönheit. Wie oft hatte sie selbst
als Mädchen, als junge Frau, Thränen gelacht
Gezeichnet von L. Corinth.
über ältere Frauen, die die Jugend krampfhaft
spielen wollten. Mein Gott! Das ist das
ewige Recht der Jugend. Sie weiss ja nicht,
wie traurig es ist, Abschied zu nehmen, von
Jugend, Kraft und Schönheit, wie unendlich
traurig für eine schöne Frau es ist, zu ster-
ben und sich selbst zu überleben!
Die schöne Frau schaute mit feuchtem
Blick hinüber nach dem mit Blumen und
Schmuck bedeckten Tischchen. Ach, alle diese
Rosen und alle diese Glückwünsche und all’
der heitere Tand verdecken diese kleinen
Runzeln nicht, die da, unter den Augen. —
Und Paul spielte mit Fritzi und Hans
„Familie.“ Paul war der gestrenge Papa, Hans,
der zu jeder anderen gesellschaftlichen Funk-
tion unbrauchbar, war das Kind und Fritzi war
die Mama und war 34 Jahre alt. Und sie
jubelte darüber: 34 Jahre, 34 Jahre!
Die schöne Frau aber begrub ihr Antlitz
in dem weissen Felle der Chaiselongue, vor-
sichtig, um die Frisur zu schonen, und weinte
so bitterlich als es ihr enges Mieder erlaubte.
So fand sie auch der heimkehrende Gemahl.
„Was hast Du denn, Schatz?“ fragte er
in Angst um seine häusliche Ruhe.
Da warf ihm die schöne Frau einen un-
gewöhnlich gereizten Blick zu.
„Was ich habe?“ fuhr sie auf, „hörst Du
denn nicht den Paul, wie er im ganzen Hause
herumläuft und schreit: Mamaist34Jahre alt! —
Das geht doch niemanden etwas an! — Warum
erziehst Du Deine Kinder nicht besser?“
„Ja, um Gotteswillen!“ versetzte er tief-
erschrocken, „wie hat er denn das heraus-
gebracht?“
„Mein Gott! Er hat mich belauscht. Ich
überdachte so bei mir, dass ich schon eine
alte Frau bin, und meinem lieben Mann doch
gar nicht mehr gefallen könnte!...“
„Aber!“
„Ja, ja! Und da sprach ich so vor mich
hin: Wie könnte ich ihm auch gefallen, ich
bin ja schon 34 Jahre alt! — Und das hat der
Schlingel gehört!“
Und bekümmert presste sie ihr Spitzen-
taschentuch vor die Augen.
„Dieses entartete Kind !“ entrüstete er sich,
und umschlang die schöne Frau mit der ge-
läufigen Zärtlichkeit des langjährigen Gatten.
„Aber schliesslich, tröste Dich, Kind! Sieh’,
es ist ja noch ein Glück, dass Du Dich in
Deinem Selbstgespräch nicht soweit hast hin-
reissen lassen, Dein wahres Alter anzugeben,
denn sonst würde der Paul doch gar im ganzen
Hause ausschreien: Mama ist 37 Jahre alt!“
dt*
Die bösen Zungen
Zu Fulda über den Marktplatz
Ging einer um Mitternacht,
Der war von seiner Frau Mutter
Sonntags zur Welt gebracht.
Der sah in der Geisterstunde
Ein lustiges Strafgericht:
Hell liegt die Rathhaustreppe
In feuerrothem Licht;
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