1896
JUGEND
Nr. 20
Der Instanzenweg
Es war einmal ein Jungfräulein,
Das wollte gern Fräulein Doktor sein,
Und drum studirte es Tag und Nacht,
Genau wie’s die männliche Jugend macht.
Dann stieg sie, wo das erlaubt ist für Damen,
Irgendwo in’s Maturitätsexamen,
Und die Lehrer gaben dem Fräulein
Gertraude
Die Note I, summa cum laude.
Und von Begeisterung für die Musen
Schwoll ihr der jungfräuliche Busen,
Sie reiste sofort im schärfsten Trab
Nach X. X. der Universitätsstadt ab.
Und gab zunächst dort beim Quästor ein.
Sie möchte gar gerne Studentin sein,
Und zwar läge zunächst in ihrem Sinn
Das Studium der Medizin.
Da jedes Ding seine Ordnung hat,
Kam die Sache zunächst an’s Rektorat.
Da zogen die weisen Herren, die alten,
Die weisen Stirnen in weise Falten
Und überlegten hin und her,
Ob die Genehmigung rathsam wär’.
Denn, erstlich sei da doch zu erwägen:
A priori sei schon die Natur dagegen,
Die Weiber hätten zu klein das Hirn
Und Nerven so dünn, wie der dünnste
Zwirn.
Und ferner: wenn sich die weiblichen Wesen
Gelehrte Lebensberufe erlesen,
So bedürfe ein Punkt noch besonders der
Klärung:
Es würden den Zwecken der Menschheits-
vermehrung
Die allerwichtigsten Kräfte geraubt —
Und viertens und fünftens und überhaupt —
Und endlich beschloss man, die Sache geht
Am Besten zunächst an die Fakultät.
Die Fakultät überlegte es sich
Zu ernster Berathung — gelegentlich —,
Ob man in ihren geheiligten Schooss,
Aufnehme ein Wesen, das doch blos,
Nachweislich, offenbar und gewiss
Nur feminin! generis.
Es sei auch des Weitern doch sehr zu be-
sinnen,
Wohin man käme, wenn Doktorinnen
Zu den allzuvielen Doktoren kämen,
Die Praxis diesen wegzunehmen.
Und dann sei’s doch auch um die Moral:
Man denke sich nur, welch’ ein Skandal,
Wenn junge Studentinnen und Studenten,
Junge Aerztinnen und junge Patienten
In oft recht heikler Situation
Zusammenkämen — das kenne man schon,
Was da sich am Ende erwarten Hess 1
Und viertens und fünftens und überdies —
Am Ende beschloss man: die Sache geht
Zunächst zum Senat der Universität.
Und ein Fünfter sprach endlich: „Es
kommt mir vor,
Die Sache gehört in ein anders Ressort,
Was schlagen wir uns um die Frage herum,
Dem Cultusministerum
Wollen wir zu gewogenem Entscheiden
Die Sache devotest mal erst unterbreiten!“
Dem hohen Ministerio
Erschien die Affaire zunächst „soso“,
Weil erstens derartige neue Sachen
Sehr viel unnöthige Arbeit machen
Und zweitens, weil für diese vertrackten
Geschichten in sämmtlichen früheren Akten
Kein Präcedenzfall zu finden war,
Der ohne Bedenken, klipp und klar
Aus der schwierigen Wirrniss den
Ausweg zeigte
Und ferner, weil man zur Ansicht neigte,
Dass, wenn man die Frau der Familie entzieht,
Was doch sicher auf solche Weise geschieht
Und wär’s auch zum Nutzen der Schwachen
und Kranken,
So kommt doch ein Pfeiler des Staates
in’s Wanken;
Und in unseren Zeiten fortdauernder
Gährung,
Und übertriebener Volksaufklärung
Sei das sehr bedenklich! — Aufanderer Seite
Wär’ es nicht richtig, wenn man bestreite,
Dass auch ein Schimmer natürlichen Rechts
Spräche zu Gunsten des Frauengeschlechts.
Und man dürfe die Frauen im Ganzen
und Grossen
Nicht gar zu sehr vor die Köpflein stossen,
Und aus diesen und etlichen andern
Gründen
Sei gar nicht so leicht eine Antwort zu finden,
Und zunächst sei die Polizeidirektion
Zu’fragen um ihre Opinion.
Auch der trat zusammen nach Monatsfrist,
Und da sprach der Eine: die Sache ist
Nicht ohne Bedenken. Man überlege,
Wie weit wir da kommen vom alten Wege!
Und ein Anderer sprach: „Unmassgeblich,
Der Grund erscheint mir denn doch nicht
erheblich!
Es ist in den letzten Jahren schon
Mit manch’ ehrwürdiger Institution
Gebrochen worden — die neue Zeit
Hat neue Rechte! Insonderheit'-“
Da fuhr ein Dritter erzürnt herum:
Herr College, wo bleibt das Christenthum ?
Recht deutlich steht es geschrieben ja
Dass mulier in ecclesia«
Den Schnabel fein säuberlich halten möge -“
Und dann rief ein vierter Herr College,
Die Frauen sind nie und nimmer geboren
Zum schweren Berufe der Doktoren,
Dazu sind die Schönen zu hold und zart,
Zu leicht und gebrechlich ist ihre Art,
Die näheren Gründe, die finden Sie
In meinem „Handbuch der Physiologie“.
Auch die ist mit der, seit Alters gewohnten
Wuptizität nach etlichen Monden
Zu fernerer Berathung zusammen-
gekommen
Und hat den Fall in Erwägung genommen.
Sie hat zum ersten die rechtliche Frage
Ventilirt durch einige Tage,
Dann auch die Punkte alle erwogen,
Die auf die Sittlichkeit sich bezogen,
Und mit weiser Vorsicht sodann bedacht,
Was es auf den Clerus für Eindruck macht!
Und vor Allem hat sie, wie sichs’s gebührt,
Erst höheren Orts die Stimmung sondirt —
Und dann hat die Polizeidirektion
Gefunden, es ford’re der gute Ton,
Dass man den berufenen Landesvätern,
D. h. in der Kammer den Volksvertretern,
Bevor man sich definitiv entscheidet,
Die Sache gebührend unterbreitet.
So kam denn der Casus vor’s Parlament.
Da berieth sie zuerst der Herr Referent,
Dann kam der Ausschuss der Finanzen,
Dieweil dieselben im Grossen und Ganzen,
JUGEND
Nr. 20
Der Instanzenweg
Es war einmal ein Jungfräulein,
Das wollte gern Fräulein Doktor sein,
Und drum studirte es Tag und Nacht,
Genau wie’s die männliche Jugend macht.
Dann stieg sie, wo das erlaubt ist für Damen,
Irgendwo in’s Maturitätsexamen,
Und die Lehrer gaben dem Fräulein
Gertraude
Die Note I, summa cum laude.
Und von Begeisterung für die Musen
Schwoll ihr der jungfräuliche Busen,
Sie reiste sofort im schärfsten Trab
Nach X. X. der Universitätsstadt ab.
Und gab zunächst dort beim Quästor ein.
Sie möchte gar gerne Studentin sein,
Und zwar läge zunächst in ihrem Sinn
Das Studium der Medizin.
Da jedes Ding seine Ordnung hat,
Kam die Sache zunächst an’s Rektorat.
Da zogen die weisen Herren, die alten,
Die weisen Stirnen in weise Falten
Und überlegten hin und her,
Ob die Genehmigung rathsam wär’.
Denn, erstlich sei da doch zu erwägen:
A priori sei schon die Natur dagegen,
Die Weiber hätten zu klein das Hirn
Und Nerven so dünn, wie der dünnste
Zwirn.
Und ferner: wenn sich die weiblichen Wesen
Gelehrte Lebensberufe erlesen,
So bedürfe ein Punkt noch besonders der
Klärung:
Es würden den Zwecken der Menschheits-
vermehrung
Die allerwichtigsten Kräfte geraubt —
Und viertens und fünftens und überhaupt —
Und endlich beschloss man, die Sache geht
Am Besten zunächst an die Fakultät.
Die Fakultät überlegte es sich
Zu ernster Berathung — gelegentlich —,
Ob man in ihren geheiligten Schooss,
Aufnehme ein Wesen, das doch blos,
Nachweislich, offenbar und gewiss
Nur feminin! generis.
Es sei auch des Weitern doch sehr zu be-
sinnen,
Wohin man käme, wenn Doktorinnen
Zu den allzuvielen Doktoren kämen,
Die Praxis diesen wegzunehmen.
Und dann sei’s doch auch um die Moral:
Man denke sich nur, welch’ ein Skandal,
Wenn junge Studentinnen und Studenten,
Junge Aerztinnen und junge Patienten
In oft recht heikler Situation
Zusammenkämen — das kenne man schon,
Was da sich am Ende erwarten Hess 1
Und viertens und fünftens und überdies —
Am Ende beschloss man: die Sache geht
Zunächst zum Senat der Universität.
Und ein Fünfter sprach endlich: „Es
kommt mir vor,
Die Sache gehört in ein anders Ressort,
Was schlagen wir uns um die Frage herum,
Dem Cultusministerum
Wollen wir zu gewogenem Entscheiden
Die Sache devotest mal erst unterbreiten!“
Dem hohen Ministerio
Erschien die Affaire zunächst „soso“,
Weil erstens derartige neue Sachen
Sehr viel unnöthige Arbeit machen
Und zweitens, weil für diese vertrackten
Geschichten in sämmtlichen früheren Akten
Kein Präcedenzfall zu finden war,
Der ohne Bedenken, klipp und klar
Aus der schwierigen Wirrniss den
Ausweg zeigte
Und ferner, weil man zur Ansicht neigte,
Dass, wenn man die Frau der Familie entzieht,
Was doch sicher auf solche Weise geschieht
Und wär’s auch zum Nutzen der Schwachen
und Kranken,
So kommt doch ein Pfeiler des Staates
in’s Wanken;
Und in unseren Zeiten fortdauernder
Gährung,
Und übertriebener Volksaufklärung
Sei das sehr bedenklich! — Aufanderer Seite
Wär’ es nicht richtig, wenn man bestreite,
Dass auch ein Schimmer natürlichen Rechts
Spräche zu Gunsten des Frauengeschlechts.
Und man dürfe die Frauen im Ganzen
und Grossen
Nicht gar zu sehr vor die Köpflein stossen,
Und aus diesen und etlichen andern
Gründen
Sei gar nicht so leicht eine Antwort zu finden,
Und zunächst sei die Polizeidirektion
Zu’fragen um ihre Opinion.
Auch der trat zusammen nach Monatsfrist,
Und da sprach der Eine: die Sache ist
Nicht ohne Bedenken. Man überlege,
Wie weit wir da kommen vom alten Wege!
Und ein Anderer sprach: „Unmassgeblich,
Der Grund erscheint mir denn doch nicht
erheblich!
Es ist in den letzten Jahren schon
Mit manch’ ehrwürdiger Institution
Gebrochen worden — die neue Zeit
Hat neue Rechte! Insonderheit'-“
Da fuhr ein Dritter erzürnt herum:
Herr College, wo bleibt das Christenthum ?
Recht deutlich steht es geschrieben ja
Dass mulier in ecclesia«
Den Schnabel fein säuberlich halten möge -“
Und dann rief ein vierter Herr College,
Die Frauen sind nie und nimmer geboren
Zum schweren Berufe der Doktoren,
Dazu sind die Schönen zu hold und zart,
Zu leicht und gebrechlich ist ihre Art,
Die näheren Gründe, die finden Sie
In meinem „Handbuch der Physiologie“.
Auch die ist mit der, seit Alters gewohnten
Wuptizität nach etlichen Monden
Zu fernerer Berathung zusammen-
gekommen
Und hat den Fall in Erwägung genommen.
Sie hat zum ersten die rechtliche Frage
Ventilirt durch einige Tage,
Dann auch die Punkte alle erwogen,
Die auf die Sittlichkeit sich bezogen,
Und mit weiser Vorsicht sodann bedacht,
Was es auf den Clerus für Eindruck macht!
Und vor Allem hat sie, wie sichs’s gebührt,
Erst höheren Orts die Stimmung sondirt —
Und dann hat die Polizeidirektion
Gefunden, es ford’re der gute Ton,
Dass man den berufenen Landesvätern,
D. h. in der Kammer den Volksvertretern,
Bevor man sich definitiv entscheidet,
Die Sache gebührend unterbreitet.
So kam denn der Casus vor’s Parlament.
Da berieth sie zuerst der Herr Referent,
Dann kam der Ausschuss der Finanzen,
Dieweil dieselben im Grossen und Ganzen,