Nr. 22
1896
• JUGEND -
(Er war wirklich ein ungewöhnlich ordent-
licher Mann. Als sie kamen, um ihn zu be-
graben, fanden sie auf dein Nachttischchen zu
häupten einen säuberlich gesiegelten Brief mit
der Aufschrift: „Lctztwillige Bestimmungen be-
treffs meiner Beisetzung"; darin war genau
vorgeschrieben, was zur Beerdigung zu be-
schaffen sei, wie theuer und wo am besten und
billigsten zu kaufen. Da zogen sie dem Todten
den neuen Frackanzug an, der schon auf dem
Stuhl am Bett bereit lag, und bestatteten ihn
nach Vorschrift. Alles klappte tadellos; und als
er mit dem silberknäufigen Rohrstock und dem
frisch aufgebügelten Lylinder an der Himmels-
thür erschien, da machte ihm St. Petrus eine
ehrfurchtsvolle Verbeugung und sagte höflich:
„Schön guten Tag, Herr RegistratorI"
Run war er im Fimmel. <Er hatte das
eigentlich nicht anders erwartet, aber es gefiel
ihm absolut nicht. Ls war ja gräßlichI Rein
regelmäßiger weg, die Lilien standen wirr her-
um und die (Engel — heiliger Schreck! Nichts
auf dem Leibe, rein gar nichts! — In sprach-
loser (Entrüstung inachte er sich den zweiten
Frackknopf zu und ging weiter, ohne sich um-
zusehe». Auf einmal zupfte ihn was an den
Rockschößen. Wahrhaftig, da baumelten ein
paar von den nackten Bausbacken und kreisch-
ten vor Vergnügen. (Empört hob er den Stock
— wutsch, saßen sie mollig in einem vorüber-
ziehenden Rosenwölkchen und machten ihm eine
lange Nase. Nette Zustände!
Aber da war vorläufig nichts zu machen.
Den schriftlichen Beschwerdeweg kannte man
unbegreiflicher weise nicht; heut' war Mittwoch
und erst am Freitag die große Audienz für
alle, die irgend ein Anliegen hatten. Mühsam
gefaßt schlich der Geplagte herum, ein Schwarm
von himmlischen Gassenjungen hinterdrein. Da
erkannte sich der «Erzengel Gabriel des Un--
glücklichen und kam mit seiner goldenen Ruthe
unter die lockere Schaar, wie die auseinander
stoben! Aber der Herr Registrator wußte, was
sich schickte: devot zog er den Hut und sagte:
„Gehorsamsten Dank, Exzellenz!" Jetzt lachte
auch der «Erzengel; unbegreifliche Leute!
Endlich kam der Audienztag. Der Regi-
strator war pünktlich da und bekam No. 2.
Als er aber seinen Rlagesermon beginnen
wollte, winkte der liebe Gott gnädig mit der
Hand und sprach: „Laß nur, ich kenne Deine
Schmerzen. hier hast Du Deine Bestallung
als Geheimrath in meine Rechnungskammer."
Und er rief einem Engel, welcher den Be-
glückten fortführte.
Na, das war doch ein ander Bild! Vrdcnt-
liche Regale und darauf säuberlich neben-
einander Rolle an Rolle. Sogar ein grün-
beschlagenes Pult, ein Drchschcmel und ein
riesiges Tintenfaß. Das war hier sein Spczial-
büreau. wahrhaftig, Arbeit für eine Ewig-
keit I himmlische Güte! Zwei- und sünfstrahl-
ige Sterne durcheinander notirt, hier sogar
ein Fixstern mit einem Planeten verwechselt.
Sogleich begann er zu arbeiten, es ging
recht flott, nach Tagen hatte er die erste
Rolle bereits erledigt.' Blieben immer noch
999,999/999/999»999- Da durfte nicht gefeiert
werden.
Er war im besten Rechnen, als auf einmal
ein Zittern durch den ganzen Raum ging.
Alles gerietst in Schwanken, und das große
Tintenfaß ergoß plötzlich seinen schwarzen
Strom über den halbbeschricbenen Bogen. Er
riß die Thür auf, da schwebten und flogen un-
zählige Schaaren an ihm vorüber in festlichem
Zuge und ein wunderbares Läuten klang da-
her in silberklarcm Akkord.
„was ist denn los?!"
Da wandte ihm der Nächste das strahlende
Antlitz zu:
„hast Du sie denn gar nicht gesehen?"
„wen denn, was denn?I"
„Aber, mein Bester, die Herrlichkeit des
Himmels erschien!-Sie kommt alle tausend
Jahre, und dann bebt ein wonnevolles Er-
schauern durch alle Räume der Seligen!"
„Dummes Zeug! Lin ganzer Bogen ist
mir verdorben I"
Aergerlich schlug er die Thür zu und notirte
sich das Datum, um das nächste Mal auf der
Hut zu sein.
Bald war er wieder beim Rechnen. Ls
ging immer besser, wenn nichts dazwischen
kommt, hofft er, in ungefähr 20,000 Jahren
auch die Kometen richtig rubriziren zu können.
Das sind nämlich die schlimmsten von allen.
Eulenspiegel
Ein schwarzer Punkt am Himmelsrand!
Das Auge starret unverwandt;
Ringsum das gold’ne Sonnenlicht,
Den blauen Himmel seh’ ich nicht,
Ich sehe nur mit Angst und Schreck
Am Horizont den dunklen Fleck.
Doch wächst das kleine Wölkchen dann
Zum wilden Ungewitter an,
Das recht auf mich hernieder tost,
So fass’ ich Muth und schau getrost
Nach einem schwachen Streifen Licht,
Der ferne durch die Wolken bricht.
A. MO.
Einer jungen Sängerin
Entperlen im Gesänge
Die Töne Deiner Kehle,
Gleich schwingen meiner Seele
Geheimste Saiten mit.
Gestimmt nach Deinem Klange,
Erwachen' sie zum Leben,
Wenn kaum Dein Fuss mit Beben
Die Scene scheu betritt.
Wenn dann Dein Lied beendet,
Dann klingen, leise schlitternd
Die Saiten nach, verzitternd,
Von Deinem Hauch bewegt:
Dann steht, wenn Beifall spendet
Mit lautem Ruf die Menge,
Ein Träumer im Gedränge,
Der nicht die Hände regt.
PRAG. HUGO SALUS.
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(Er war wirklich ein ungewöhnlich ordent-
licher Mann. Als sie kamen, um ihn zu be-
graben, fanden sie auf dein Nachttischchen zu
häupten einen säuberlich gesiegelten Brief mit
der Aufschrift: „Lctztwillige Bestimmungen be-
treffs meiner Beisetzung"; darin war genau
vorgeschrieben, was zur Beerdigung zu be-
schaffen sei, wie theuer und wo am besten und
billigsten zu kaufen. Da zogen sie dem Todten
den neuen Frackanzug an, der schon auf dem
Stuhl am Bett bereit lag, und bestatteten ihn
nach Vorschrift. Alles klappte tadellos; und als
er mit dem silberknäufigen Rohrstock und dem
frisch aufgebügelten Lylinder an der Himmels-
thür erschien, da machte ihm St. Petrus eine
ehrfurchtsvolle Verbeugung und sagte höflich:
„Schön guten Tag, Herr RegistratorI"
Run war er im Fimmel. <Er hatte das
eigentlich nicht anders erwartet, aber es gefiel
ihm absolut nicht. Ls war ja gräßlichI Rein
regelmäßiger weg, die Lilien standen wirr her-
um und die (Engel — heiliger Schreck! Nichts
auf dem Leibe, rein gar nichts! — In sprach-
loser (Entrüstung inachte er sich den zweiten
Frackknopf zu und ging weiter, ohne sich um-
zusehe». Auf einmal zupfte ihn was an den
Rockschößen. Wahrhaftig, da baumelten ein
paar von den nackten Bausbacken und kreisch-
ten vor Vergnügen. (Empört hob er den Stock
— wutsch, saßen sie mollig in einem vorüber-
ziehenden Rosenwölkchen und machten ihm eine
lange Nase. Nette Zustände!
Aber da war vorläufig nichts zu machen.
Den schriftlichen Beschwerdeweg kannte man
unbegreiflicher weise nicht; heut' war Mittwoch
und erst am Freitag die große Audienz für
alle, die irgend ein Anliegen hatten. Mühsam
gefaßt schlich der Geplagte herum, ein Schwarm
von himmlischen Gassenjungen hinterdrein. Da
erkannte sich der «Erzengel Gabriel des Un--
glücklichen und kam mit seiner goldenen Ruthe
unter die lockere Schaar, wie die auseinander
stoben! Aber der Herr Registrator wußte, was
sich schickte: devot zog er den Hut und sagte:
„Gehorsamsten Dank, Exzellenz!" Jetzt lachte
auch der «Erzengel; unbegreifliche Leute!
Endlich kam der Audienztag. Der Regi-
strator war pünktlich da und bekam No. 2.
Als er aber seinen Rlagesermon beginnen
wollte, winkte der liebe Gott gnädig mit der
Hand und sprach: „Laß nur, ich kenne Deine
Schmerzen. hier hast Du Deine Bestallung
als Geheimrath in meine Rechnungskammer."
Und er rief einem Engel, welcher den Be-
glückten fortführte.
Na, das war doch ein ander Bild! Vrdcnt-
liche Regale und darauf säuberlich neben-
einander Rolle an Rolle. Sogar ein grün-
beschlagenes Pult, ein Drchschcmel und ein
riesiges Tintenfaß. Das war hier sein Spczial-
büreau. wahrhaftig, Arbeit für eine Ewig-
keit I himmlische Güte! Zwei- und sünfstrahl-
ige Sterne durcheinander notirt, hier sogar
ein Fixstern mit einem Planeten verwechselt.
Sogleich begann er zu arbeiten, es ging
recht flott, nach Tagen hatte er die erste
Rolle bereits erledigt.' Blieben immer noch
999,999/999/999»999- Da durfte nicht gefeiert
werden.
Er war im besten Rechnen, als auf einmal
ein Zittern durch den ganzen Raum ging.
Alles gerietst in Schwanken, und das große
Tintenfaß ergoß plötzlich seinen schwarzen
Strom über den halbbeschricbenen Bogen. Er
riß die Thür auf, da schwebten und flogen un-
zählige Schaaren an ihm vorüber in festlichem
Zuge und ein wunderbares Läuten klang da-
her in silberklarcm Akkord.
„was ist denn los?!"
Da wandte ihm der Nächste das strahlende
Antlitz zu:
„hast Du sie denn gar nicht gesehen?"
„wen denn, was denn?I"
„Aber, mein Bester, die Herrlichkeit des
Himmels erschien!-Sie kommt alle tausend
Jahre, und dann bebt ein wonnevolles Er-
schauern durch alle Räume der Seligen!"
„Dummes Zeug! Lin ganzer Bogen ist
mir verdorben I"
Aergerlich schlug er die Thür zu und notirte
sich das Datum, um das nächste Mal auf der
Hut zu sein.
Bald war er wieder beim Rechnen. Ls
ging immer besser, wenn nichts dazwischen
kommt, hofft er, in ungefähr 20,000 Jahren
auch die Kometen richtig rubriziren zu können.
Das sind nämlich die schlimmsten von allen.
Eulenspiegel
Ein schwarzer Punkt am Himmelsrand!
Das Auge starret unverwandt;
Ringsum das gold’ne Sonnenlicht,
Den blauen Himmel seh’ ich nicht,
Ich sehe nur mit Angst und Schreck
Am Horizont den dunklen Fleck.
Doch wächst das kleine Wölkchen dann
Zum wilden Ungewitter an,
Das recht auf mich hernieder tost,
So fass’ ich Muth und schau getrost
Nach einem schwachen Streifen Licht,
Der ferne durch die Wolken bricht.
A. MO.
Einer jungen Sängerin
Entperlen im Gesänge
Die Töne Deiner Kehle,
Gleich schwingen meiner Seele
Geheimste Saiten mit.
Gestimmt nach Deinem Klange,
Erwachen' sie zum Leben,
Wenn kaum Dein Fuss mit Beben
Die Scene scheu betritt.
Wenn dann Dein Lied beendet,
Dann klingen, leise schlitternd
Die Saiten nach, verzitternd,
Von Deinem Hauch bewegt:
Dann steht, wenn Beifall spendet
Mit lautem Ruf die Menge,
Ein Träumer im Gedränge,
Der nicht die Hände regt.
PRAG. HUGO SALUS.
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