Nr. 22
JUGEND
1896
Zeichnung von Sion Wenban.
Wetternacht Hoffnung
Am Himmel düst’re, dunkle Wolken zieh’n,
Des Wetters Athem wühlt in dem Jasmin,
Die weissen Dolden schwanken hin und her
Dumpfschwül die Nachtluft und von Düften schwer. —
Manchmal von fern ein schwacher Donner grollt.
Es flammt der Horizont in blassem Gold
Die fahle Lohe durch das Fenster bricht
Und überzuckt die Wand mit grellem Licht. —
Die Hoffnung ist ein thöricht’ Kind
Und lässt sich immer wieder narren,
So viel Enttäuschungen sie auch voll Leid erfahren.
Der kluge Zweifel aber gleicht
Gar nie dem Liebreiz dieses Kindes,
Dem schon als volle Aehre glänzt
Ein Saatkorn, das noch Spiel des Windes.
Ich schaue reglos in die finst’re Nacht
Einsam allein bei mir die Sorge wacht
Mein Haupt liegt müd’ und matt in
ihrem Schooss
Und draussen gellt des Sturms Fan-
fare los. —
WILHELM MÜLLER-WEILBURG.
OTO
Räthsel
»Dunkle räthselhafte Augen
Gebt von eurer Tiefe Kunde!
Räthselhafte dunkle Wasser
Sagt, was bergt ihr auf dem Grunde?
Sind es Schätze, edle Perlen?
Will versuchen sie zu heben;
Ist’s ein schauriges Geheimniss?
Will’s verschweigen und vergeben.«
Kam ein Sturm; —den Grund aufwühlend
Löste er die Räthsel beider:
Dunkle Wasser, dunkle Augen —
Schlamm verbargen sie, nichts weiter.
A. MO.
Zeichnung von Harrach.
&
MAXIMILIAN BERN.
Wegblume
Heiss glüht und gleisst die Felsenwand,
Im Schatten träumt der Flieder —
Da flattert mir von weisser Hand
Ein grünes Zweiglein nieder.
Ei ho! Was trägst Du, seltne Blüth’,
Du duftig Laubgelände —
Wie das von dunklen Sternen glüht!-
Da küss’ ich schon zwei Hände,
Da zwing ich schon ein süsses Gut
In’s hohe Berggras nieder ....
Die Halde zuckt in Mittagsgluth —
Im Schatten träumt der Flieder.
LANGHEINICH.
354
JUGEND
1896
Zeichnung von Sion Wenban.
Wetternacht Hoffnung
Am Himmel düst’re, dunkle Wolken zieh’n,
Des Wetters Athem wühlt in dem Jasmin,
Die weissen Dolden schwanken hin und her
Dumpfschwül die Nachtluft und von Düften schwer. —
Manchmal von fern ein schwacher Donner grollt.
Es flammt der Horizont in blassem Gold
Die fahle Lohe durch das Fenster bricht
Und überzuckt die Wand mit grellem Licht. —
Die Hoffnung ist ein thöricht’ Kind
Und lässt sich immer wieder narren,
So viel Enttäuschungen sie auch voll Leid erfahren.
Der kluge Zweifel aber gleicht
Gar nie dem Liebreiz dieses Kindes,
Dem schon als volle Aehre glänzt
Ein Saatkorn, das noch Spiel des Windes.
Ich schaue reglos in die finst’re Nacht
Einsam allein bei mir die Sorge wacht
Mein Haupt liegt müd’ und matt in
ihrem Schooss
Und draussen gellt des Sturms Fan-
fare los. —
WILHELM MÜLLER-WEILBURG.
OTO
Räthsel
»Dunkle räthselhafte Augen
Gebt von eurer Tiefe Kunde!
Räthselhafte dunkle Wasser
Sagt, was bergt ihr auf dem Grunde?
Sind es Schätze, edle Perlen?
Will versuchen sie zu heben;
Ist’s ein schauriges Geheimniss?
Will’s verschweigen und vergeben.«
Kam ein Sturm; —den Grund aufwühlend
Löste er die Räthsel beider:
Dunkle Wasser, dunkle Augen —
Schlamm verbargen sie, nichts weiter.
A. MO.
Zeichnung von Harrach.
&
MAXIMILIAN BERN.
Wegblume
Heiss glüht und gleisst die Felsenwand,
Im Schatten träumt der Flieder —
Da flattert mir von weisser Hand
Ein grünes Zweiglein nieder.
Ei ho! Was trägst Du, seltne Blüth’,
Du duftig Laubgelände —
Wie das von dunklen Sternen glüht!-
Da küss’ ich schon zwei Hände,
Da zwing ich schon ein süsses Gut
In’s hohe Berggras nieder ....
Die Halde zuckt in Mittagsgluth —
Im Schatten träumt der Flieder.
LANGHEINICH.
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