1896
JUGEND
Nr. 23
; Zeichnung von Otto Ubbelohde.
Die ganze Geschichte war mehr als räthselhaft. Und
am allerräthselhaftesten erschien mir des guten Menschen
Aeusseres. Er war tadellos elegant gekleidet, sein Frack
konnte nicht besser sitzen, seine Lackschuhe waren, in An-
betracht der umfangreichen Aufgabe, der sie genügten, bei-
nahe zierlich zu nennen, seine Wäsche war von fraglosester
Weisse. Schäbig, fleckig in schiefsitzenden Kleidern, die zu
weit oder zu eng waren, mit derben, nach oben gekrümmten
Philisterstiefeln, so konnte ich mir ihn vorstellen, so wäre
er mir vertraut erschienen — aber Knut Olaf in tadelloser
Eleganz, das war einfach grotesk!
Man ging zu Tische und ass, ass lauter theuere Dinge
und trank theure Weine dazu. Theater-Ratsch bildete das
hauptsächlichste Tischgespräch, dann kamen die Personalien
einzelner Literaturgrössen an die Reihe und es war nun merk-
würdig, wie da die Herren mit den Kneifern warm wurden und
Jeden in Grund und Boden niederzogen, der Erfolg hatte und
namentlich klingenden. Die schärfste Zunge hatte dabei jener
schwarzbärtige junge Mann, in dessen Arme sich vorher
Freund Knut Olaf vor meinem Erscheinen geflüchtet hatte
Doktor Steinberg, oder so ähnlich hiess er. Er besass ein
Talent zu schimpfen und Illusionen zu zertrümmern, das
ohne Gleichen war; zu loben verstand er freilich auch.
Aber er lobte nur Leute, die ausser ihm keiner voll zu wür-
digen wusste, wie er durch alle seine Reden durchblicken
Hess. Und sehr bald wusste ich nun auch, dass er Knut
Olafs Entdecker gewesen.
Die Tafel war aufgehoben, man hatte sich die Hände
müde geschüttelt und rund um den Tisch »Mahlzeit!« ge-
wünscht und nun zerstreuten wir uns in kleinere Räume.
Der Hausherr lief überall mit einem Diener umher, der auf
silberner Platte einen Berg von Cigarrenkistchen und Ciga-
rettenschachteln trug:
»Das ist eine Manuel Garcia, hier eine Bock — die kleine
Henry Clay kann ich Ihnen sehr empfehlen —, oder die
Uppmann, wenn Sie etwas Kräftiges wollen!« Weg war er
und pries einem Anderen seine duftige Waare.an.
Ich blies den blauen Rauch meiner Importirten in die
Luft und wollte anfangen zu träumen. Da klang hinter einem
Lorbeerbusch, der neben mir stand, eine Stimme vor.
„Jetzt wird gleich die Klaviertrommelei losgehen. Halten
Sie sich an mich — Sie mopsen sich ja doch auch —
„Oh bitte! Seien Sie nur ehrlich — zudem bin ich einer
von den Intimen des Hauses und gestehe es Ihnen zuerst
ein, dass mir die Zeit lange wird. Der gute Commissions-
rath lädt sich ja immer ein schauerliches Sammelsurium von
Schöngeistern und berufsmässiger Dinerstaffage zusammen
— Herrgott schon wieder das Intermezzo aus der Cavalleria!“
Mein Nachbar kam hinter dem Busch hervor und ich
sah, dass sein Aeusseres recht angenehm war. Der frühere
Kriegsmann in Civil war unschwer zu erkennen — das kräftig-
rothe, verwetterte Gesicht, der gewaltige Schnauzbart, die
ganze Haltung — und ein paar grosse, lustige Augen sahen
mich lachend an.
„Dornberg! Donner und Doria, Sie Dornberg — und in
Civil!“
„Ja natürlich! Die Uniform habe ich schon seit zwei
Jahren ausgezogen und nicht einmal den Rittmeister erster
Classe abgewartet. Der bunte Rock hat mir auswendig besser
gepasst, als inwendig. — Wollen Sie einen Cognac haben,
Leidensgefährte? Das ist ein Hennessy mit vier Sternen!
Frech, wie ich bin, habe ich gleich die ganze Flasche vom
Cabaret genommen. — Guter Tropfen, was? Ja, wenn unser-
eins, das dies zu würdigen versteht, nicht in solche Häuser
käme, es wäre Schade um das schöne Geld!“
Ich sagte ihm, wie ich mich freue, ihn in dieser Wüstenei
angetroffen zu haben, war er doch immer ein charmanter
Gesellschafter gewesen. Und dann fuhr ich fort:
„Ich habe freilich noch einen Bekannten aus früheren
Zeiten hier, aber ich bin noch nicht damit fertig, über dies
Wiederbegegnen den Kopf zu schütteln.“
„Na, und?“
„Knut Olaf Schultze, ein Schulfreund —“
„Das dort? Quand on parle du loup —“
Im Nebenraum las eben der neuentdeckte grosse Satiriker
etwas vor, ein neues Opus — nein, .es war kein neues Opus!
Manchmal kommen Erinnerungen blitzartig über den Men-
schen; ich sah mit einem Male den hagern, lächerlichen
Kameraden in unserer Studienzeit auf dem Fussende meiner
Bettstatt sitzen mit lange herabbaumelnden Beinen und hörte
ihn ein Gedicht lesen, dasselbe, das er da drinnen zum Besten
gab. Aber damals las er mit leuchtenden Augen, begeistert
doppelt grotesk in seiner Begeisterung. Heute klang seine
Stimme trocken, knarrend, widerspenstig. Er las so schlecht
wie möglich und die jammervollen Verse kamen noch jammer-
voller heraus dabei.
„Haben Sie jemals eine bessere Parodie auf Redwitz ge-
hört?“ schnarrte ein Organ, das ich an diesem Abend schon
mehrfach mit Missbehagen vernommen. Man klatschte, man
lachte. Knut Olaf musste noch was zum Besten geben und
die Stimme seines Mentors erläuterte es wieder:
„Geibel, wie er leibt und lebt!“
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Nr. 23
; Zeichnung von Otto Ubbelohde.
Die ganze Geschichte war mehr als räthselhaft. Und
am allerräthselhaftesten erschien mir des guten Menschen
Aeusseres. Er war tadellos elegant gekleidet, sein Frack
konnte nicht besser sitzen, seine Lackschuhe waren, in An-
betracht der umfangreichen Aufgabe, der sie genügten, bei-
nahe zierlich zu nennen, seine Wäsche war von fraglosester
Weisse. Schäbig, fleckig in schiefsitzenden Kleidern, die zu
weit oder zu eng waren, mit derben, nach oben gekrümmten
Philisterstiefeln, so konnte ich mir ihn vorstellen, so wäre
er mir vertraut erschienen — aber Knut Olaf in tadelloser
Eleganz, das war einfach grotesk!
Man ging zu Tische und ass, ass lauter theuere Dinge
und trank theure Weine dazu. Theater-Ratsch bildete das
hauptsächlichste Tischgespräch, dann kamen die Personalien
einzelner Literaturgrössen an die Reihe und es war nun merk-
würdig, wie da die Herren mit den Kneifern warm wurden und
Jeden in Grund und Boden niederzogen, der Erfolg hatte und
namentlich klingenden. Die schärfste Zunge hatte dabei jener
schwarzbärtige junge Mann, in dessen Arme sich vorher
Freund Knut Olaf vor meinem Erscheinen geflüchtet hatte
Doktor Steinberg, oder so ähnlich hiess er. Er besass ein
Talent zu schimpfen und Illusionen zu zertrümmern, das
ohne Gleichen war; zu loben verstand er freilich auch.
Aber er lobte nur Leute, die ausser ihm keiner voll zu wür-
digen wusste, wie er durch alle seine Reden durchblicken
Hess. Und sehr bald wusste ich nun auch, dass er Knut
Olafs Entdecker gewesen.
Die Tafel war aufgehoben, man hatte sich die Hände
müde geschüttelt und rund um den Tisch »Mahlzeit!« ge-
wünscht und nun zerstreuten wir uns in kleinere Räume.
Der Hausherr lief überall mit einem Diener umher, der auf
silberner Platte einen Berg von Cigarrenkistchen und Ciga-
rettenschachteln trug:
»Das ist eine Manuel Garcia, hier eine Bock — die kleine
Henry Clay kann ich Ihnen sehr empfehlen —, oder die
Uppmann, wenn Sie etwas Kräftiges wollen!« Weg war er
und pries einem Anderen seine duftige Waare.an.
Ich blies den blauen Rauch meiner Importirten in die
Luft und wollte anfangen zu träumen. Da klang hinter einem
Lorbeerbusch, der neben mir stand, eine Stimme vor.
„Jetzt wird gleich die Klaviertrommelei losgehen. Halten
Sie sich an mich — Sie mopsen sich ja doch auch —
„Oh bitte! Seien Sie nur ehrlich — zudem bin ich einer
von den Intimen des Hauses und gestehe es Ihnen zuerst
ein, dass mir die Zeit lange wird. Der gute Commissions-
rath lädt sich ja immer ein schauerliches Sammelsurium von
Schöngeistern und berufsmässiger Dinerstaffage zusammen
— Herrgott schon wieder das Intermezzo aus der Cavalleria!“
Mein Nachbar kam hinter dem Busch hervor und ich
sah, dass sein Aeusseres recht angenehm war. Der frühere
Kriegsmann in Civil war unschwer zu erkennen — das kräftig-
rothe, verwetterte Gesicht, der gewaltige Schnauzbart, die
ganze Haltung — und ein paar grosse, lustige Augen sahen
mich lachend an.
„Dornberg! Donner und Doria, Sie Dornberg — und in
Civil!“
„Ja natürlich! Die Uniform habe ich schon seit zwei
Jahren ausgezogen und nicht einmal den Rittmeister erster
Classe abgewartet. Der bunte Rock hat mir auswendig besser
gepasst, als inwendig. — Wollen Sie einen Cognac haben,
Leidensgefährte? Das ist ein Hennessy mit vier Sternen!
Frech, wie ich bin, habe ich gleich die ganze Flasche vom
Cabaret genommen. — Guter Tropfen, was? Ja, wenn unser-
eins, das dies zu würdigen versteht, nicht in solche Häuser
käme, es wäre Schade um das schöne Geld!“
Ich sagte ihm, wie ich mich freue, ihn in dieser Wüstenei
angetroffen zu haben, war er doch immer ein charmanter
Gesellschafter gewesen. Und dann fuhr ich fort:
„Ich habe freilich noch einen Bekannten aus früheren
Zeiten hier, aber ich bin noch nicht damit fertig, über dies
Wiederbegegnen den Kopf zu schütteln.“
„Na, und?“
„Knut Olaf Schultze, ein Schulfreund —“
„Das dort? Quand on parle du loup —“
Im Nebenraum las eben der neuentdeckte grosse Satiriker
etwas vor, ein neues Opus — nein, .es war kein neues Opus!
Manchmal kommen Erinnerungen blitzartig über den Men-
schen; ich sah mit einem Male den hagern, lächerlichen
Kameraden in unserer Studienzeit auf dem Fussende meiner
Bettstatt sitzen mit lange herabbaumelnden Beinen und hörte
ihn ein Gedicht lesen, dasselbe, das er da drinnen zum Besten
gab. Aber damals las er mit leuchtenden Augen, begeistert
doppelt grotesk in seiner Begeisterung. Heute klang seine
Stimme trocken, knarrend, widerspenstig. Er las so schlecht
wie möglich und die jammervollen Verse kamen noch jammer-
voller heraus dabei.
„Haben Sie jemals eine bessere Parodie auf Redwitz ge-
hört?“ schnarrte ein Organ, das ich an diesem Abend schon
mehrfach mit Missbehagen vernommen. Man klatschte, man
lachte. Knut Olaf musste noch was zum Besten geben und
die Stimme seines Mentors erläuterte es wieder:
„Geibel, wie er leibt und lebt!“
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