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1896

JUGEND

Nr. 25


„Was! Heiraten wollt ihr?“ schreit der Vetter zurück.
„Jetzt hab’ ich gemeint, ihr hättet schon lange geheiratet!“
„Das wohl, das wohl. Ei freilich, geheiratet wohl. Aber
auch schon lang’ wieder gestorben. Weil ich das erstemal
eine Alte hab’ derwischt. Diesmal probir ich’s mit einer
Jungen. Gelt, jetzt schaut der Herr Vetter!“

Dieser guckt dem Alten in das runzlige Gesicht und fragt:
„Wie steht’s mit der Gesundheit?“

„Vergelts Gott. Soweit passabel,“ anwortet der Gräderer.
.„Und schlecht hat’s bei mir Keine. Müsst’ wohl lügen, wenn
ich thät sagen, dass es Eine bei mir schlecht hätt’. Alles
kann sie haben, was ihr Herz verlangt. Wenn ich Eine ein-
mal gern’ hab’, da lass’ ich mich nicht spotten, ich! — Also,
was sagt der Herr Vetter dazu?“

Der Vetter sagt: „Thut Ihr gern Geschichten lesen? Ja?
'Nun also, dann nehmt einmal dieses Büchel mit.“ Er zieht
aus der Tischlade ein braunes Bändchen hervor, thut ein
wenig mit demselben um und steckt es dem Gräderer in den
Rocksack. „So. Unterwegs auf derHeimfahrt zum Zeitvertreib.“
„Schön Dank. Und des Heiratens wegen?“ — Sagt der
Vetter: „Ist schon recht. In solchen Sachen red’ ich nichts drein.“
Gut ist’s. Und auf der Heimreise, wie der Gräderer so
hübsch bequem im Wagen sitzt und über die schöne Zeit
nachdenkt, die jetzt anrücken soll, greift er um die Tabacks-
pfeife in den Sack und ertappt das braune Büchlein. An einer
bestimmten Stelle ist ein erklecklich grosses Eselsohr ein-
gebogen, und da steht gerade die Geschichte: ,Wie aus einem
Paar Socken der Schäfer ist worden1.

Ein spassiger Titel. Wird wieder einmal was Sauberes
sein; hat lauter so Sachen, der Vetter. Die Brillen heraus.
Werden wir’s halt sehen. — Und also stand’s geschrieben: —
Ehemänner allesammt, kommt zu mir, ich will euch etwas sagen.
Will euch ein gutes Beispiel zeigen, wie ihr Euch zu verhalten
habt gegen Euere Ehegesponsinen. Will euch erzählen

vom Paul Pinggelbaum, so wie der müsst ihr’s
machen, so ist’s recht, so haben es die Weiber gerne.
Höret zu mit Fleiss und Aufmerksamkeit.

Der Paul hat ein junges feines Weibsen gehabt.
Sie ist etwas jünger gewesen als er, wofür Niemand
verantwortlich gemacht werden kann, sie hat das
rechtzeitige Aufdieweltkommen versäumt um sechs-
undzwanzig Jahre, sonst könnte sie genau so alt sein
als er. Und der Paul hat sein junges Trauderl ganz
unmöglich lieb gehabt. Und natürlich sie ihn auch —
ganz unmöglich lieb. Denn weil er ihr jedesmal, so
oft er vom Dorf oder vom Städtlein heimgekommen,
etwas mitgebracht hat, etwas Schönes, oder etwas
Gutes, oder beides nebeneinander. Sie hat es gar
holdselig angenommen und stets gesagt: „Brav bist,
Paul! — So und jetzt kannst schon wieder gehen.“
Und dass die Sach’ in guter Ordnung vorgebracht
wird: Einmal geht der Paul auf den Jahrmarkt und
bringt dem Weiblein — weil der kalte Winter schon
über die Berge pfeift—ein paar wollene Socken heim.

Entzückt ruft die Trauderl: „Aber nein! Aber so
schöne Socken! Und diese Wolle! Diese blühweisse
Wolle! Brav bist, Paul! Aber sag’mir doch, wo be-
kommt man denn so eine wunderschöne Wolle? Da-
von möcht ich gleich ein paar Pfund haben zu Hand-
schuhen, zu einem Unterjöppel, zu einem Nacht-
häubel. Mein liebes Mannerl wärst wohl, wenn Du
mir mehr solche Wolle thätst bringen.“

„Werden halt trachten“, sagt der Paul. Dann geht
er nachfragen bei der alten Strickerin, der er die
Socken abgekauft, woher sie die Woll’ bezieht? Die
nimmt sie beim Kaufmann. Er frägt beim Kaufmann.
Der hat sie vom Juden. Er geht zum Juden, und
der sagt es nicht, wo man die schöne wohlfeile
Wolle kriegt. Drei Tage lang geht der Paul umher,
da erfährt er schier zufällig denselbigen Schafstall,
wo gerade wieder das weisse Schäflein geschoren
wird. Gleich kauft er die Wolle und eilt damit
voller Freuden heim zu seiner Trauderl.

„Herr Jesselas!“ ruft sie aus, die Liebste, die Herzige,
„eine solche Wolle! Wie druderlweich und wie seidenfein!
Das gibt ein Strickzeug! Brav bist, Paul! Aber was hab ich
dann, wenn diese Wolle verstrickt ist? Und die Socken wieder
hin sind! Oder glaubst, die werden’s alleweil halten? Ja,
pfeifen werden sie was! Und meinst, dass ich nachher mein
Lebtag in den alten Hadernfetzen umzaschen soll? Dodel, Du
alter! Geh sei so gut und heb’ einmal Deinen alten Knochen-
schrägen und schau, dass Du das Schaf heimbringst mit der
Schur, und nit alleweil alles nur halb machen. Hast gehört?“
„Ist schon recht, Trauderl“, sagt der Paul, „sei nur gut,
Schatzerl, ich will Dir auch das weisse Schäflein bringen.“
Schiebt sein Geldbeutlein in den Sack und geht, um das
schöne feinwollige Schaf zu kaufen. — Was ihm nicht ein-
fällt? wird er angeschnauzt, die beste Gattung verkauft man
nicht. Aber wenn er sie zwiefach zahlt! meint der Paul.

Solle schauen, dass er weiterkommt, heisst es, die besten
Schafe verkauft man nicht. — Weiterkommen! Gesagt ist es
leicht. Wohin soll er denn gehen, der Paul? Heim zum
lieben Trauderl? Wer’s wagt. Er nicht. Sie hat Kochlöffel
und Feuerzangen und Töpfe und Wasserkübel in der Küche,
alte Schuhe und den Stiefelknecht in der Stube; das alles
und was sonst noch da ist in einem ordentlichen Haushalt,
schickt sie ihm an den Kopf oder auf den Rücken, wenn er
ohne Schäflein heimkommt. — Den ganzen Tag schleift der
Paul im Walde umher, im schönen grünen Walde! Was nur die
Leute dran haben! Lauter kellerkalter Schatten überall. Die
Aeste kratzen, im Gestrüpp lauert der Fuchs, auf den Wipfeln
krächzt der Geier. — So irrt der Paul umher und aus der Ferne
schaut er hin auf sein Haus, wo über dem Schornstein still und
lieblich der blaue Rauch in die Höhe steigt. Holzäpfel sucv
er im Wald, sauer sind sie, aber immer noch süsser als
Trauderl, wenn er heimkommt ohne Schäflein.

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Arpad Schmidhammer: Zeichnung zum Text "Wie aus einem Paar Socken ein Schäfer ist worden"
 
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