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Nr. 25

JUGEND

1896


Nun fängt sachte auch der Waldschatten an und macht
Geschichten. Zuerst spielt er sich auf das Düstere, dieses
auf das Dunkeln und Dämmern, dieses auf die Finsterniss,
und die Finsterniss spielt sich auf die kohlrabenschwarze
Nacht. Nun, die Nacht wäre das Schlimmste noch immer
nicht gewesen, in der schwarzen Nacht hätte der Paul mög-
licherweise auf das weisse Schäflein vergessen. Wie er nun
aber im Moose ruht und anfangen will zu schlafen, da fängt
die hautfalsche Finsterniss an und wird wieder licht. Zuerst
flimmert sie ein wenig, nachher steigt hinter den Bergen schwer
und massig ein ganzes Gericht Gottes auf. Wetterleuchten,
blitzen — murren, donnern, krachen, schnalzen — tröpfeln,
schnürlen, giessen, hageln. Auch das Lüfterl wird Streber: Die
Zweiglein fächeln, die Aeste rauschen und schlagen aufeinander
wie Gassenbuben, die Wipfel pfeifen, die Stämme brechen. Der
arme Paul schauert und wimmert und denkt: Unangenehm ist
es, aber für das liebe Weib leidet man alles gern.

Nun steht er auf einmal vor einer Hütte. Daneben der
Schafstall mit dem weissen Schäflein. Auch gut, denkt sich
der Paul, nass bin ich ohnehin schon, jetzt stehle ich das
Schäflein. Das Gewitter ist so gut und macht Lärm, dass
man des Thieres meckernden Hilferuf nicht hört und so
macht sich’s. — Waschnass bis auf die Haut und zerschlagen
bis auf die Knochen, so kommt er am Morgen mit dem
Schäflein heim zu seinem Weib. — Nun das hätte man sehen
müssen. Dieses Gethu mit dem lieben Vieh! Gehalst und ge-
küsst über und über — dem armen Paul, die Zähne haben ihm
gewässert, aber deren nur drei, mehr hat er nicht im Munde.

Und wie er so am Bettstaffel lehnt, fährt ihn die Trauderl
an: „Was stehst denn Du noch da? Gehst denn Du heut’ wieder
nicht schlafen? Ich denk, Zeit wär’s dazu um fünf! in der Früh!
Diese Nachtfuchtlerei ist mir zuwider bis auf den Tod. Morgen
wenn es zum Arbeiten ist, wirst wieder stinkfaul sein. Und wie
das Fletz ausschaut. Du heilige Sankt Katharina! Fadelt nur
grad so hinab, das Wasser, von Deinen Gewandfetzerl! Mar
und Josef, so ein altes Mannsbild!“

Er bleibt noch stehen, streichelt den Bettstaffel und sagt:
„Trauderl, liebstes! Ein gutes Wörtel, wenn Du mir wolltest
sagen! Eins hält’ ich heut’ wohl verdient.“

„So!“ sagt das Weib. „So!“ sagt sie.

„Es ist eine ungute Nacht gewest, Traudel!“

„Ah, da schau man her!“ lacht sie auf, „das ist nicht
schlecht. Des Schäfleins wegen meinst Du wohl! Weil Du
mir das Vieh hast gebracht! Alter Tepp, Du! Wenn Dir Dein
Gehirn nicht schon ganz herausgeronnen wär bei der Nase,
so könntest Du Dirs wohl denken, dass Eins mit dem Schäf-
lein allein nichts anzufangen weiss. Oder verstehst etwan Du
umzugehen damit? Du schon gewiss nicht. Du! Soll ich es jetzt
verderben lassen, das arme Thier? Hab’ ich Zeit, dass ich dabei
steh’ und es füttere und pflege? Was hilft mir das Schaf, wenn
ich keinen Schäfer hab? Wärst Du ein Ehemann, wie sich’s
gehört, so brächtest mir auch den Schäfer mit, anstatt dass
Du jetzt dastehst wie das Kind beim Scherben!“

„Aber Traudel, liebestes!“

„Ich bitt’ Dich, lass’ mich in Ruh!“

Der Paul steht da, kratzt sich hinter den Ohren und
sagt: „Jetzt bin ich bös auf Dich, Du schlimmes Trauderl, Du!“
„Dummes Eselein, Du!“ sagt auf einmal das Weibchen und
versetzt ihm einen Klatsch an die Wange. Dieser Klatsch — er
thut schier ein wenig bremsein, aber es ist ein Liebestascherl
gewest! Denkt sich der Paul: o meine Trauderl, die liebeste...

Und am andern Tage — noch kaum ausgeschlafen hat er,
der brave Paul, geht er hinaus in den Gau. Er ist verzagt und
hochgemuth zugleich. Er sucht zum Schäflein das Zugehör.

Und jetzt hat er Glück — er begegnet dem Schäfer. Der
ist ein junger, fester Kerl, geht in seinem stramm gespannten
Beinkleid langsam daher und sagt, er suche ein Schaf. Ein
weisses Schaf hätte er verloren.

Das ist eine wahre Schickung, denkt sich der brave Paul und
sagt: „Du, Schäferbua! Das Schaf, das Du suchst, das weiss ich.
Geh mit mir, ich führ’ Dich, es geschieht Dir nichts. Kannst
verbleiben bei mir, wenn Du willst, es wird Dir nichts fehlen.“

So gehen sie allzweibeide miteinand. Der Paul hat eine
närrische Freud’, dass er seiner Traudel, der liebesten, den
Wunsch kann erfüllen. Weil sie halt gar so viel herzig ist! —
Sie kommen an’s Haus, da sieht der Schäfer die Trauderl.
Er schaut sie an — sie ihn. Haben .flieh lang angeschaut
und gesagt haben sie nichts.

„Du Schäfer!“ sagt der Paul und deutet auf das Schaf,
das im Gärtlein munter graset, „da ist es.“

Die beiden schauen sich immer noch an. Als ob sich
die Augen in einander verhackelt hätten, so stehen sie da.
Und jetzt wird dem Paul auf einmal angst und bang.

„Schäfer!“ sagt er, „siehst es denn nicht! Das weisse
Schaf!“ Und wie das Thier jetzt blockt, da hört es der Bursch
und ruft aus: „Da ist es ja! Das ist mir gestohlen worden!
Wer hat denn das gethan?“

„Der da!“ sagt die Trauderl und zeigt mit beiden Zeige-
fingern auf den Paul.

„Gut ist’s!“ sagt der Schäfer. „Die Diebe muss man
einsperren lassen!“ Eine Stunde drauf ist der Landsknecht
da, der packt den Paul, schliesst ihm die Hände zusammen
mit einem eisernen Kettlein und treibt ihn davon.

Da hebt die Trauderl, die liebeste, das Schürzlein auf
bis zu den Augen und klagt: „Meinen Alten treiben sie fort.
Wen werde ich jetzt haben?“ Und thut weinen.

Tritt ihr der Schäfer um einen Schritt näher und schaut
sie wieder an. Und sie thut bitterlich weinen. Da tritt er
noch näher, zwickt sie am Kinn, nimmt sie um den Hals,
da thut sie schon ein klein Bissele lachen. — Sehet und so
— so ist aus einem Paar Socken der Schäfer worden . . .

Nämlich diese Geschichte hat der alte Gräderer, der
Bräutigam gelesen. Darauf hin guckt er eine Weile so etwas
unsicher vor sich hin, trommelt mit dem Finger auf das
Fensterglas und murmelt endlich: „Ist doch ein vertrackter
Schelm, der Herr Vetter.“ —

Vier Wochen später, als Vater Gräderer mit seinem jungen
Weibchen die Ringe tauscht, schreibt ihm der Vetter: „Gra-
tuliere zum heiligen Ehestand, welcher das Alter ehrt, indem
er die grauen Häupter — krönt.“

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Arpad Schmidhammer: Zeichnung zum Text "Wie aus einem Paar Socken ein Schäfer ist worden"
 
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