Nr. 26
1896
. JUGEND -
zur Schau, ward im andern, unter bergenden
Gewändern verhüllt. Der Zwang der Natur,
der die Härte und Herrschaft des Stärkeren
schuf. Das Hermelin und der Bauer hatten
in der Nothwehr gegen diesen Zwang das
Gleiche gethan; Recht und Unrecht, Selbst-
sucht und Grausamkeit waren falsche Be-
zeichnungen dafür. Der letzteren konnte
man nur die Natur beschuldigen; doch auch
an ihr, als an etwas Fühllosem, fiel das Wort
inhaltsleer ab.
Mir kam im Weitergehen der Gedanke,
die Jungen des Hermelinpaares würden
jetzt verhungern. Indess das war eine un-
begründete Befürchtung; von Hunger ge-
trieben, vermochten sie wohl sich selbst
schon zu helfen, und wenn ihnen dazu
die rechte Behendigkeit noch für einige
Zeit abging, sorgte jedenfalls die Mutter
für ihre Ernährung.
War es wieder die Natur, welche diesen
Trieb in sie gelegt? Man nannte es so.
Aber woher erschuf die Fühllose, die keine
Grausamkeit empfand, den Drang der
Mutterliebe?
Eine linde, wundersame Vollmondnacht
folgte dem Tag, weissbeglänzt, klar und zu-
gleich silbern umschleiert lag Nähe und
Weite. Ich trat noch einmal auf den Balcon
hinaus und sah dem hüpfenden Spiel der
Strahlen auf dem Brunnenwasser zu.
Davon ging’s mir wohl mit einer Ver-
knüpfung in dem Schlaf nach, dass ich,
einmal aufwachend, deutlich wie in Wirk-
lichkeit den Ginsterabhang mit dem Ein-
gang in den alten Hamsterbau vor mir ge-
wahrte. Die jungen Hermeline schliefen
vermuthlich zusammengekrochen in der
Erdhöhle; vor dieser hockte nur das Weib-
chen, achtsam in das Mondgeflimmer hin-
ausblickend und bei jeder leisen Regung
eines Gezweigs den Kopf dorthin wendend.
Dachte sie etwas? Und was dachte sie?
Vielleicht:
,Er bleibt heut’ Nacht lange aus —
Er ist wohl weit auf der Jagd fort und
bringt mühsam schwere Beute mit —
Aber so spät ist er selbst damals mit
dem Kaninchen nicht gekommen —
Es fiel ein Schuss heute Nachmittag
drüben bei dem Haus, wo er neulich die
Taube geholt —
Wenn ihm ein Unglück zugestossen
wäre und er käme nicht mehr wieder —
Dann müsste ich allein für die Jungen
sorgen —
Wir würden nicht mehr zusammen
durch’s Korn schleichen, uns locken und
necken —
Das ist so fröhlich, und er freut sich
so, wenn er nach Hause kommt, an den
Jungen, und ich freue mich auch immer,
wenn ich seinen Kopf durch den Ginster
tauchen sehe —
Käme er doch! Wo bleibt er —?
Mir wird’s so bange zu Sinn — —‘
Denkt ein Hermelin so mit Vorstell-
ungen in einer wortlosen Sprache? Ich
weiss es nicht; aber es rührt mich sonder-
bar an, dass der kenntnissstolze Mensch
nichts von den Gedanken und Empfind-
ungen seiner Mitgeschöpfe weiss.
Von G. Liberali.
Liebesorakel
Hm NDeere
tlcber’m Daupte Maldesrauschen,
/IIMr zu Füssen schäumt bas /Iheer;
flhetn Seele beredt, zu lauschen
Melodicen dumpf und schwer.
Und mein Auge sieht dem Meere,
Sieht dein Spiel der Mellen zu,
Ammer üeue Mogenheere
IRolleu ohne Mast und Muh'.
Lieh! se rollt des Lehens Melle
Line nach der andern hin,
Schäumet und verschäumet schnelle,
Und das Spiel hat keinen Sinn.
Menschen sind wie Meereswogen,
Won den Stürmen des Geschicks
Nutgewühlt und tortgczogeu,
Flücht'ge Form des Augenhlicks.
Seelchen, lass die eiteln Träume,
Träume von Unsterblichkeit!
Denn die Träume sind nur Schäume,
Mie Du selbst, Phantom der Leit!
Doch Du darfst daroh »lebt hebe»!
Denn was ist es» das uns droht? —
Furchtbar ist allein das Lehen;
Meine Sehrecken hat der Tod.
ALBERT MATTHAEt
•K
Das verkaufte Geschlecht
Sie verkaufen ihre Seelen
Und verkaufen ihre Leiber.
Kaufe! kaufe! hört sie rufen,
Wie die Männer so die Weiber.
Und gekauft ist, was sie denken,
Was sie wirken, was sie sprechen.
Und ich späh’ am Horizonte,
Nach den Blitzen, welche rächen.
WIEN. EMIL RI.CHEKT.
«*K
Ende
Und hast Du mich vergessen,
Und liebst Du mich nicht mehr,
Ich habe Dich besessen
Und gebe dich nicht her.
Und willst Du mich verlassen,
Und hast Du Dich versteckt,
Ich fahre durch die Gassen,
Bis ich Dein Haus entdeckt.
In wildem Liebeswerben
Reiss’ ich Dein Herz zurück;
Und wär es auch zum Sterben,
Mir gilt kein andres Glück.
Ich kann kein Recht befragen
In meiner Liebesnoth —
Ich werde Dich erjagen
Und küsse Dich zu Tod!
RUDOLF HIRSCHBERG.
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zur Schau, ward im andern, unter bergenden
Gewändern verhüllt. Der Zwang der Natur,
der die Härte und Herrschaft des Stärkeren
schuf. Das Hermelin und der Bauer hatten
in der Nothwehr gegen diesen Zwang das
Gleiche gethan; Recht und Unrecht, Selbst-
sucht und Grausamkeit waren falsche Be-
zeichnungen dafür. Der letzteren konnte
man nur die Natur beschuldigen; doch auch
an ihr, als an etwas Fühllosem, fiel das Wort
inhaltsleer ab.
Mir kam im Weitergehen der Gedanke,
die Jungen des Hermelinpaares würden
jetzt verhungern. Indess das war eine un-
begründete Befürchtung; von Hunger ge-
trieben, vermochten sie wohl sich selbst
schon zu helfen, und wenn ihnen dazu
die rechte Behendigkeit noch für einige
Zeit abging, sorgte jedenfalls die Mutter
für ihre Ernährung.
War es wieder die Natur, welche diesen
Trieb in sie gelegt? Man nannte es so.
Aber woher erschuf die Fühllose, die keine
Grausamkeit empfand, den Drang der
Mutterliebe?
Eine linde, wundersame Vollmondnacht
folgte dem Tag, weissbeglänzt, klar und zu-
gleich silbern umschleiert lag Nähe und
Weite. Ich trat noch einmal auf den Balcon
hinaus und sah dem hüpfenden Spiel der
Strahlen auf dem Brunnenwasser zu.
Davon ging’s mir wohl mit einer Ver-
knüpfung in dem Schlaf nach, dass ich,
einmal aufwachend, deutlich wie in Wirk-
lichkeit den Ginsterabhang mit dem Ein-
gang in den alten Hamsterbau vor mir ge-
wahrte. Die jungen Hermeline schliefen
vermuthlich zusammengekrochen in der
Erdhöhle; vor dieser hockte nur das Weib-
chen, achtsam in das Mondgeflimmer hin-
ausblickend und bei jeder leisen Regung
eines Gezweigs den Kopf dorthin wendend.
Dachte sie etwas? Und was dachte sie?
Vielleicht:
,Er bleibt heut’ Nacht lange aus —
Er ist wohl weit auf der Jagd fort und
bringt mühsam schwere Beute mit —
Aber so spät ist er selbst damals mit
dem Kaninchen nicht gekommen —
Es fiel ein Schuss heute Nachmittag
drüben bei dem Haus, wo er neulich die
Taube geholt —
Wenn ihm ein Unglück zugestossen
wäre und er käme nicht mehr wieder —
Dann müsste ich allein für die Jungen
sorgen —
Wir würden nicht mehr zusammen
durch’s Korn schleichen, uns locken und
necken —
Das ist so fröhlich, und er freut sich
so, wenn er nach Hause kommt, an den
Jungen, und ich freue mich auch immer,
wenn ich seinen Kopf durch den Ginster
tauchen sehe —
Käme er doch! Wo bleibt er —?
Mir wird’s so bange zu Sinn — —‘
Denkt ein Hermelin so mit Vorstell-
ungen in einer wortlosen Sprache? Ich
weiss es nicht; aber es rührt mich sonder-
bar an, dass der kenntnissstolze Mensch
nichts von den Gedanken und Empfind-
ungen seiner Mitgeschöpfe weiss.
Von G. Liberali.
Liebesorakel
Hm NDeere
tlcber’m Daupte Maldesrauschen,
/IIMr zu Füssen schäumt bas /Iheer;
flhetn Seele beredt, zu lauschen
Melodicen dumpf und schwer.
Und mein Auge sieht dem Meere,
Sieht dein Spiel der Mellen zu,
Ammer üeue Mogenheere
IRolleu ohne Mast und Muh'.
Lieh! se rollt des Lehens Melle
Line nach der andern hin,
Schäumet und verschäumet schnelle,
Und das Spiel hat keinen Sinn.
Menschen sind wie Meereswogen,
Won den Stürmen des Geschicks
Nutgewühlt und tortgczogeu,
Flücht'ge Form des Augenhlicks.
Seelchen, lass die eiteln Träume,
Träume von Unsterblichkeit!
Denn die Träume sind nur Schäume,
Mie Du selbst, Phantom der Leit!
Doch Du darfst daroh »lebt hebe»!
Denn was ist es» das uns droht? —
Furchtbar ist allein das Lehen;
Meine Sehrecken hat der Tod.
ALBERT MATTHAEt
•K
Das verkaufte Geschlecht
Sie verkaufen ihre Seelen
Und verkaufen ihre Leiber.
Kaufe! kaufe! hört sie rufen,
Wie die Männer so die Weiber.
Und gekauft ist, was sie denken,
Was sie wirken, was sie sprechen.
Und ich späh’ am Horizonte,
Nach den Blitzen, welche rächen.
WIEN. EMIL RI.CHEKT.
«*K
Ende
Und hast Du mich vergessen,
Und liebst Du mich nicht mehr,
Ich habe Dich besessen
Und gebe dich nicht her.
Und willst Du mich verlassen,
Und hast Du Dich versteckt,
Ich fahre durch die Gassen,
Bis ich Dein Haus entdeckt.
In wildem Liebeswerben
Reiss’ ich Dein Herz zurück;
Und wär es auch zum Sterben,
Mir gilt kein andres Glück.
Ich kann kein Recht befragen
In meiner Liebesnoth —
Ich werde Dich erjagen
Und küsse Dich zu Tod!
RUDOLF HIRSCHBERG.
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