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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 1.1896, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 27 (4. Juli 1896)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3224#0014
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1896

JUGEND

Nr. 27

Voll Widerspruch

i

Dem Lärm der Grossstadt bin ich längst entfloh’n ...
Wie quälte mich dies hastigleere Treiben,

Dies Wagenrasseln, diese Menschenjagd
Auf sonnenheissen, langen Asphaltwegen.

Unwillig hab ich’s überlang ertragen,

Den Tag getödtet und die Nacht vergeudet
Mit Operetten und Salongeschwätz.

Ich trug den Handschuh nach der letzten Mode,
Ich überflog ein Dutzend Leitartikel,

Ich war dabei, wenn in der Kammersitzung
Ein grosser Tag für die Tribünen kam.

Die neusten Freilichtbilder aus Paris
Lobt ich mit heuchlerischer Kennermiene,
Jüngstdeutschlands Dichtern drückte ich die Hand,
Auf Pferde wetten war mein Zeitvertreib
Und Sherrycobbler durch den Strohhalm schlürfen
So ging es gestern, ging es heut, ging’s morgen
Doch was ich glühend sehnte, fand ich nicht!

Die Schönheit sucht’ ich und mich äfft die Mode,
Das Gute hascht nach äuss’rem Flitterglanz,

Die Wahrheit wird zum Spielball der Parteien :

Da fühlt’ ich zagend, wie ich mich verlor,

Wie meiner Seele beste Kraft erstarb,

Und eine, eine Rettung nur: die Flucht!

II

Das Alles, Alles liegt nun manches Jahr
Wohl hundert weite Meilen hinter mir ....

Ich baute froh mein schlichtgefügtes Heim
Von Schwarzwaldtannen lauschigstill umsäumt,

Hier in der Hügel grüner Einsamkeit

Und endlich fühl’ ich langsam mich gesunden.

Aus tausend Blüthen quillt der Frühling hier,

Der Sommer überschüttet uns mit Rosen,

Es reift der Herbst, und meine Tannen grüssen
Am traulichsten, wenn sie der Schnee befleckt.

So rinnt das Jahr, und froh mag ich’s bekennen,
Ein jeder Tag bringt reiches Tagewerk.

Hier nist’ ich still in meiner Bücherei,

Umwebt vom Geist des Ewigmenschlichen:

Oft löscht der Morgen erst die Arbeitslampe.

Hier schlendre ziellos ich am Wiesenrain,

Wenn sich der Abend dämmernd niedersenkt.

Auf der Terrasse, die zum Garten führt,

Von wildem Wein und Epheu überrankt,

Schaart sich der Freunde enger Plauderkreis
Zu frohgemuthem, sinnigernstem Wort,

Der gold’ne Wein blinkt leuchtend aus den Römern:
Ich fühl’s erlabt, hier bin ich wieder Mensch
Hier sprudelt mir das Glück, hier lasst mich weilen ...
III

Und wieder ruh’ ich heut am Waldesrand
An meinem Lieblingsplatz. Es rauscht der Brunnen,
Zu meinen Füssen blüht in Sommerpracht
Das weite Thal; die Vögel zwitschern laut;

Die Schwarzwaldbäurin, die vorübergeht,

Winkt mir „Grüss Gott“ mit freundlichem Gesicht;
Und lässig ruh’ ich zwischen Farrengrün.

Auf moosbewachs'nem Steine liegt vor mir
Das ewigjunge Buch von Dante’s Liebe,

Von Beatrice und vom Paradies —

Und doch — und doch - die Pulse schlagen wild!
Ich mag nicht schauen, wie die Blumen blüh’n,

Ich mag nicht fühlen, was der Dichter singt,

Ich sehne zitternd fort mich in die Ferne!

Du thöricht Herz mit deinem Widerspruch
Ich weiss es längst, du findest hier nicht Ruh’,

Dich reisst die Sehnsucht zu dem wirren Treiben,
Dem Lärm der Grossstadt und der Menschen Hast.

Ich mag nicht hören, was der Brunnen rauscht,
Ja, lass’ mich fliehen aus dem Schlenderglück
Und untertauchen, wo es braust und brandet.

Mich labt nicht mehr der Quelle frischer Trunk,
Die Lippe lechzt nach prickelndem Champagner,
Und meinen Lieblingsplatz am Waldesrand
In dieser Stunde noch vertauscht ich ihn
Für den rothsammt’nen Ecksitz im Parquet,

Das neuste Lustspiel lachend zu beklatschen.

Wo jede Stunde neue Laune zeugt,

Wo Tagesmode mit Troifipetenschall

Zum Sturme bläst und schöne Augen blitzen,

Beim Maskenfeste und beim Ballsouper,

Bei Politik und lautem Männerstreit,

Da will ich wieder Nacht und Tag gemessen.

Sich selbst vergessen und im Strudelrausch
Das Glück erjagen, das ist Seligkeit!

Noch heute brech’ ich alle Brücken ab,

Das soll ein Leben, soll ein Schwärmen werden!
Ich stürze trotzig-stolz mich in den Strom,

Und mag die Woge wild mich überschäumen,
Gemessen will ich, was die Weltstadt beut,

Des Tages laute Freuden werd’ ich schlürfen —
Vielleicht vielleicht vielleicht mit stillem Sehnen
Nach Waldesfrieden und nach Einsamkeit-

HANS TERBERG.

Mttertzliild AedervieH

Silhouetten von paul £infemann
. . . In den Redaktionen, in den Theaterfoyers, in den
Literatur-Eafäs — kurzum, überall da, wo die öffentliche
Meinung gemacht wird, find die perrett zu finden, die
ich mit flüchtigen Strichen fkizzirt habe. Ich überlasse
die Ausführung der Blätter dem Dramatiker, dem Novel-
listen oder wer sonst Geschmack für die Satire hat. Da
ist z. B.:

Der Marodeur.

Seine Thätigkeit beginnt, wenn der „berühmte Mann"
tot ist. Er hat ihn zwar nur ein paar Mal im Leben
gesprochen, aber das genügt ihm, sich nachträglich zum
Freunde des verstorbenen zu erklären. Er überschwemmt
die Zeitungen mit Notizen und Artikeln und hält jeden
für einen insolenten Sfribler, der es außer ihm auch
wagt, über den verstorbenen zu schreiben. Er gibt die
„Nachgelassenen Gedichte" mit Einleitung und Lommen-
tar heraus, wodurch die Lektüre sehr erschwert wird, er
sammelt die Briefe und Schneiderrechnungen des Dahin-
gegangenen. Sein zweiter Satz beginnt stets: „Als ich
das vorletzte Mal mit dem verewigten Meister sprach.. ."
Er betrachtet jeden als einen persönlichen Feind, der
anderer Meinung als er über den verstorbenen ist. Jeder
aufgefundene Zettel gibt ihm Stoss zu einem Feuilleton.
Er lebt und stirbt für den Kultus des berühmten
Freundes. Mit der Herausgabe des Mahnbriefes eines
hartnäckigen Schusters an den großen Todten hofft er
feinen Doktor zn machen.

Der Vnkel des berühmten Mannes
wird Neulingen vorgestellt: „Der Vnkel des Ejerrn X,

der den „Markgraf Johann Georg" siir’s Schauspielhaus
geschrieben hat. Vnkel .V Jächelt huldvoll und nimmt
die Lomplimente für den Neffen entgegen. Schneidet
sozusagen die Eoupons vom Ruhme seines Neffen ab.
war sein Vormund und hatte ihn ursprünglich für seine
Fabrik ätherischer Dole bestimmt, war mit aller Hestig-
feit gegen die literarischen Bestrebungen des Neffen,
drohte mit Enterbung, hat aber nach dem ersten Erfolge
des Neffen Geschmack an der Literatur gefunden. Bewegt
sich jetzt nur noch im Literatur-Ea.se! Spricht stets im
„Wir"-Tone. — „Haben Sic gehört: in Leipzig haben
wir wieder mit dem „Johann Georg" einen Bomben-
erfolg errungen." — „Nächstens wird bei westermann
eine Novelle von uns erscheinen — piekfein, sage ich
Ihnen." lieber „schlechte" Kritiken erregt er sich per
procura des Neffen. „Unglaublich, wie man solche Dnmm-
heit drucken lassen kann. . . wieder so ein ' neidischer
Geselle. . . Aber wir werden doch durchdringen, verlassen

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Register
Max Kleiter: Zierleiste
Hans Terberg: Voll Widerspruch
Paul Linsemann: Allerhand Federvieh
 
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