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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 1.1896, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 27 (4. Juli 1896)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3224#0016

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Nr. 27

. J UGEND •

1896

Sie sich darauf." — wirst init Schlagworten
wie: „Neuer historischer Stil — symbolistische
Vertiefung der Geschichte — Auflösung des
Individuellen in typische Erscheinungen" in
geradezu verblüffender weise um sich. Daß
er sie an falscher Stelle gebraucht, erhöht ihren
Werth gerade nicht, hofft ganz sicher, eines
Tages mit in die Literaturgeschichte zn kommen,
an den Rockschößen des Neffen.

Der Märtyrer

versendet alle Woche eine Notiz an die Zeit-
ungen, daß seine Tragödie „Nucins Scävola"
demnächst au einer ersten Berliner Bühne in
Scene gehen werde. Jeden Monat mindestens
kommt die Nachricht, daß eines seiner Dramen
(in der Fruchtbarkeit hat er nämlich Aehnlich-
keit mit Lalderon und Lope) von der Polizei
verboten ist. Tr ist der ewig angenommene
und verbotene Autor, fjält sich für furchtbar
gefährlich, ist aber im Grunde der solideste,
pünktlich steucrzahlende Staatsbürger. Seine
Mittel erlauben ihn, den Dichtsport. Tr ahnt
gar nicht, wie dankbar er der Polizeicensur und
den Direktoren sein muß.

Der Protektor.

Kleiner beweglicher Mann, der jeden Nachmittag
zur bestimmten Stunde Lerele hält. Ist für
Alles Neue begeistert und kennt alle Welt, Pro-
tegirt namentlich die jüngere Literatur, deren
Produkte er init einem wahren Feuereifer gegen
hämische Nörgler vertheidigt. Ist freiwilliger
Manager ohne Honorar, z. B. für Hauptmann.
Ist jedem aufstrebenden Talent ein ermuntern-
der und wohlwollender Freund. Ist einer deu
letzten Idealisten und hat nicht die geringsten
materiellen vortheile von seinem Beruf als Pro-
tektor. — Jeder Durchfall eines Schützlings be-
rührt ihn wie ein persönliches Unglück, jeder
Erfolg verklärt seine Mienen, hat gesunden
Menschenverstand, und die Herrn Dichter unter-
halten sich gern init ihm, dichtet übrigens selbst
keine Zeile und schreibt nie Kritiken, lebt von
einer kleinen Rente und ist im Nebenhandwerk
ein Matador des Schachspiels.

Der Plagiatriecher,

einer der unangenehmsten Mitbürger. Leidet
an Verfolgungswahn und wittert überall Pla-
giate. Ls kann kein Stück und kein Buch er-
scheinen, die Erfolg haben, ohne daß unser
Freund die Redaktionen bestürmt, um ihnen
mitzutheilen, daß die Idee oder eine Figur oder
zum Mindesten der Titel einem seiner Werke
gestohlen sei (die freilich noch alle im Schub-
fach liegen). Er hat cs verstanden, sich wenig-
stens auf diese weise eine gewisse, wenn auch
komische Notorietät zu verschaffen, weder Ib-
sen noch Wildenbruch, weder Zola noch Sardou
sind vor seinen Denunziationen sicher, wo er
auch nur den geringsten Anhaltspunkt findet,
ist er mit einem „Brief an die Redaktion" da.

Die pseudogenialen.

Es gibt drei Species von Solchen. —

a) Spielt den Genialen. Lxeentrische Falt-
ung der Kravatte, Sammetjaquet, künstlich in
Unordnung E gebrachtes haar. vermag für
eine bis zwei Saisons mit Erfolg zu imponiren,

Sehr raffinirter Knabe, der alle Lonjunktnren
geschickt auszunützen weiß, versteht als Litera-
turspekulant die Reklame ans dein ff. hat
immer die drei letzten französischen Bücher
gelesen und operirt mit Eitaten und Schlag-
worten daraus wie der gewandteste Prestidigi-
tatcur. von Moliöre bis Zola sind seine Kennt-
nisse freilich — o. Schreibt einen verschrobenen
und verquollenen Stil, den die Freunde für
originell ausschreien. Wechselt die literar-
ische Mode beinahe noch schneller als seine
Wäsche. Ist mit jedem ,,-ismus" bereits
durch. Fühlt sich völlig als äöcaäent, trinkt
Absyuth, kokettirt mit Neurasthenie, kopirt
alle Manieren der Lebemänner und wird —
nach seiner Angabe — von den Weibern
rninirt, trotzdem er eigentlich ein Uebermensch
ist. Da er jenseits von Gut- und Bösem steht,
bezahlt er prinzipiell keine Rechnungen.

b) Ist — im Gegensätze zu allen übrigen
Menschen — von seiner Genialität felscnfcst
überzeugt und hat die denkbar beste Meinung
von sich. Debutirte mit dem autobiographischen
Werke: „Ich" — über Mich selbst — von
Mir selbst. — Kultivirt einen recht stattlichen
Größenwahn, hält sich natürlich für verkannt,
sieht in, Durchfall eines Stückes nur das Resultat
von Intriguen, wittert bei jeder Ablehnung
eines Feuilletons verrath und vermuthet bei
einer abfälligen Kritik Gemeinheit. — Shake-
speare und Zola vielleicht ausgenommen (aber
auch die nur theilweise), existirt nichts außer
ihm, was einer auch nur geringen Beachtung
werth wäre. — versucht mit dem Ellenbogen
durch die Literatur zu kommen.

c) Die Eintagsfliege, hat einmal, vor
Jahren, ein kleines Opus geschrieben, das ge-
fallen hat und ihin das Prädikat „höchsttalent-
voll" eintrug. Ist nun schon seit zehn Jahren der
hoffnungsreiche Literat, hat aber nie wieder
etwas geschrieben, das ivie das Erstlingswerk
gefallen hätte, hat sich mit einem Wurf eben
erschöpft, weiß das selbst sehr gut, müht sich
bis zur Verzweiflung ab, den Wechsel, der auf
sein Talent gestellt ist, zu diskontiren. Guter
Kerl, schlechter Musikant. Kann auch nicht
heraus aus der Literatur — denn man muß
leben! Der Erfolg des Erstlingswerkes lastet
auf ihm und erdrückt ihn. hat aber doch
den felsenfesten Glauben an sich und den
koniuienden Tag.

Zierleiste von F. Hass.

Der Parasit

hätte sich zu jedem Berufe besser qnalificirt als
zu dein des Schriftstellers. Ist Rentier, hat
aber Thatendrang. Ist mit einem Schrift-
steller befreundet, den ein Wechsel bedroht.
Durch dessen Auslösung erkauft er sich die Mit-
arbeiterschaft. Er bekommt ein fertiges Stück
und „bearbeitet" es, d. h. er bringt einige un-
sinnige Scenen hinein, die der wirkliche Schrift-
steller schleunig wieder wegstreicht. Spricht zu-
erst von „nnserm" Stück, nach einigen Wochen
aber getrost von „meinem" Stück. Ist ein
Nassauer auf dem Par-naß. sich aber

für einen Prinzen ans Genieland, da er baar
bezahlt, was er sich schreiben läßt.

Der „Tiefinnerliche."

wenn er in's Lafö tritt, murmelt man ehr-
fürchtig seinen Namen. Der Neuling: „???" —
Der Kundige: „Das wissen Sie nicht? Der
Verfasser des,Kronos'". — Der Neuling: „Kro-
nos? So . . . was ist das?" — Der Kundige
(überlegen lächelnd): „Aber, lieber Freund, wo
leben Sie denn? Kronos — das Werk der Zu-
kunft! Aefchylos — Shakespeare, Dante, Wag-
ner, Nietzsche, Michel Angela und die dell’ Era
vereint!" — Der Neuling: „????" — Der
Kundige: „Jaja I Eine Vereinigung aller Künste
und einiger anderer Dinge: Poesie, Reklame,
Plastik, Ballet, Elektrizität, Malerei ■— alles zu-
sammen muß thätig sein, um den „Kronos" in
Scene zn setzen, wollen Sie nicht auch eine
Aktie für die Kronos-Gesellschaft mit beschränkter

Haftpflicht nehmen??"-Lommentar: der

Äntor ist ein reicher Hamburger Kaufmanns-
sohn. versteht es vortrefflich, fremde Kräfte und
anderer Leute Gelder für sich thätig sein zu lassen.
Gibt selbst keinen Pfennig für Kronos aus.
hüllt sich in mystische Glorie, versteht cs, sich
trefflich zu insceniren und empfängt alle Woche
einmal die Gläubigen, wird so lange den
berühmten Mann spielen — bis der Kronos
gedruckt vorliegt, worauf man schon seit fünf
Jahren wartet. Bisher kennen die Gläubige»
nur wenige Scenen, die so dunkel sind, daß
sie selbst erklären, daß erst die Kenntnis; des
ganzen Werkes ihnen Erleuchtung geben kann.

Der Titulardichter

sitzt in, Laft von 3—6 Uhr Nachmittags, wo
er einen kleinen Kreis von Jüngern hat. Mit
unerbittlicher Schärfe vernichtet er die Er-
zeugnisse der Zeitgenossen, „was soziales Stück
heißt, werden Sie erst sehen, wenn meine
Tragödie „Auf dem Hängeboden" heraus ist".
Er hat stets zehn Titel bei sich, aber nie be-
kommt man ein Stück zu sehen, denn vor-
läufig sucht er nach dem Mann, der die Arbeit
erfunden hat, damit er ihn Niederschlage. Er
spricht davon, daß er nächstens am hoftheatcr
ein Stück einreichen werde und daß er augen-
blicklich für Herrn Kainz eine Bombenrolle
schreibe. T>b er am Adolf-Ernst- oder am
Lentraltheater seine nächste Posse geben werde,
wisse er noch nicht. — Glücklicherweise bleibt
Alles leere Drohung. — Er ist der Dichter
ohne Land und Krone.

4;6
Register
F. Haß: Zierleiste
Julius Diez: Zeichnung ohne Titel
 
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