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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 1.1896, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 28 (11. Juli 1896)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3224#0026
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Nr. 28

JUGEND

«

1896

Aus einem bleichen Gesicht sahen zwei dunkle Augen zu
ihm hin und diese Augen fragten: Was nun?

Er sass ihr gegenüber, die auf dem zerrissenen Sopha
lag, und wusste auf ihre Frage nichts zu antworten — nichts
als graue Hoffnungslosigkeit.

In der Hand hielt er einen Brief. Was darin stand, galt
ihnen beiden und war der letzte, bitterste Tropfen im Kelch
des Unglücks, aus dem sie so lange schon tranken, ohne
dass er jemals leer ward.

„Beehre Herrn Kunstmaler Holder mitzutheilen,
wenn Sie bis Ersten die längs fählige Miete nicht
zahlen, müssen Sie naus.

Rosina Schwandel, Hausmeisterin“.
Womit sollte er zahlen? Er hatte keinen Pfennig mehr.
Und da er nicht zahlen konnte — wohin?

Antoinette und er wechselten kein Wort. Sie sassen in
einer Ecke des grossen Ateliers, das doppelt gross aussah,
weil es so leer war ....

Doch vom Bett her fing eine helle Stimme an zu schreien:
ihr Kind, das dort in einem Waschkorb lag.

Das junge Weib stand auf und legte den Säugling an ihre
Brust. Eine Weile war’s ganz still. Aber dann fing die helle
Stimme wieder an, diese Stimme, die vom Leid der Mensch-
heit noch nichts kündete als den Hunger und das Leibweh.

Und die Mutter richtete aus bleichem Antlitz die dunklen
Augen fragender empor: Was nun?

„Mein Kind hungert! Die Milch, die ich ihm geben
kann, macht es nicht satt. Es muss mehr haben.“

Er antwortete nicht, sondern blickte gleichgiltig vor sich
hin. Eine entsetzliche Willenlosigkeit, wie sie schlimmer als
andere die Phantasiemenschen befällt, hatte ihn übermannt.
Uebrigens, was sollte er thun, um Geld zu schaffen? Malen!..
An Bildern fehlt’s wahrhaftig nicht. Aber die Käufer! Und
die kann er nicht zusammenmalen.

Hinter ihm liegen trübe Wochen, vor ihm liegt eine
trostlose Zeit. Wann wird sie enden? Vielleicht erst mit
ihm selbst.

Seit ihrer Verheiratung ist das Unglück nicht von ihnen
gewichen. Er hatte zur Ausstellung ein Bild fertig gehabt,
ein grosses Figurenbild, in das er sein letztes Geld und all
sein Talent gesteckt. Nur den Goldrahmen musste er schuldig
bleiben. Eigentlich wollte der Vergolder ihn so nicht liefern.
Aber Holder hatte hoch und heilig versprochen, bis zum
Fünfzehnten zu zahlen. Er wusste zwar nicht wie, doch
irgendwo musste er ja das Geld auftreiben. Die groben
Mahnungen, die vom Sechzehnten ab kamen, beantwortete
er nicht. Schade um die Dreiermarke! Doch am Tage vor
dem Einlieferungstermin, als er gerade ausgegangen war,
kam der Meister und nahm der eingeschüchterten Antoinette
den Rahmen wieder ab. Nun stand die Leinwand da, und er
konnte sie nicht mehr einschicken.

Kein Bild auf der Ausstellung, — das war der erste
Schlag! Dann kamen noch die Sorgen für das Kind. Um
die Wartefrau und den Arzt zu bezahlen, hatte er versetzt,
was tragbar und entbehrlich war. Von ihrem Bett aus sah
Antoinette das Atelier immer leerer werden, und immer angst-

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Wilhelm Hegeler: Ein goldenes Licht auf dunklem Grunde
Angelo Jank: Zeichnung zum Text "Ein goldenes Licht auf dunklem Grunde"
 
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