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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 1.1896, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 28 (11. Juli 1896)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3224#0027
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1896

JUGEND

Nr. 28

BWam«nS^’

Aber jeden Morgen stand man der
Gewohnheit folgend wieder auf. Und
jeden Tag ging es schlechter. Heut aber
sagte ihm eine innere Stimme, dass
etwas kommen müsse, die Qual zu en-
den. Vielleicht war es ein dunkles, furchtbares Ende.

Die Beiden sassen sich stumm gegenüber, und das
Geschrei des Kindes klang ihnen wie Weheklagen über
ihr eigenes Elend.

Da schellte es draussen. Antoinette stand mühsam
auf, um durch’s Schlüsselloch zu sehen.

„Ein Postbote! Soll ich aufmachen?“
„Meinetwegen“, antwortete er.

Der Postbote 1 Was mag der wohl Schlimmes bringen ?

■ Dieser reichte eine Kiste herein und sagte dazu
recht freundlich: „Macht gerad’ zehn Pfennig.“

„Hast Du’s gehört, Hansel, zehn Pfennig!“

In verlegener Hast kramte er seine Hose durch,
als ob in deren Taschen, die so oft umgekehrt waren,
l dass alle Brodkrum-

meln herausgefal-
len, noch hätte Geld
sitzen können. Sein
Weib stand vor ihm,
am Tischrand sich
festhaltend, und in
ihren dunklen Au-
gen lag wieder die
alte Frage. . . Aber
doch nicht mehr
ganz die alte Angst.
Ein kleiner Teufel
kitzelte . die Grüb-
chen in ihren Wang-
en, dass sie lachen
musste.

Denn es ist doch
auch zu dumm! Man
kriegt eine Kiste, so
schwer, als wäre
Gold darin, und hat
nicht die paar Pfen-
nige für den Boten.

Schliesslich nach
ganz verzweifeltem
Suchen entdeckte sie
noch unter alten
Rechnungen einige
unbeschriebene
Postkarten.

Nun waren sie ge-
rettet. Konnten so-
gar die Grands Seig-
neurs spielen, in-
dem sie dem Boten
ein Trinkgeld gaben.

Der Mann grinste
ein wenig. Doch was
ging sie der fremde
Mensch an? Eine
seltsame Aufregung
war über sie gekom-
men. Auf die Kiste
gestürzt, den Meis-
sei eingestemmt
und, da der Hammer
fehlte, mit der alten
Bibel draufgeschla-
gen, denn die hatte einen festen Deckel.

Antoinette schaute zu, während das kleine
Wurm, das wieder heulte, an ihrer Brust lag.
Die Spannung wächst, und das Buch schlägt

voller, wenn Holder heimkam,
fragten ihre dunklen Augen:

Was wird nun werden? Was
nun?

Ihn aber hatte diese harte
Noth ganz stumpf gemacht. Die
Unmöglichkeit des Schaffens, das Kinder-
geschrei, dies furchtbare Sichaufdrängen der
Alltagswelt, der gegenüber er hilflos und un-
geschickt war, das Alles brach seine Kraft.

Er hätte am liebsten sich ganz verschliessen mögen,
diese hungrige Stimme nicht mehr hören, das dunkle Auge
nicht mehr seh’n.

Schlafen — vergessen! . . .

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Angelo Jank: Zeichnung zum Text "Ein goldenes Licht auf dunklem Grunde"
 
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