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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 1.1896, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 28 (11. Juli 1896)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3224#0030
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Nr. 28


1896

» JUGEND

grossen Scheiben des Nordwestfensters dringt vom Hof her
eine schwüle, dumpfe Luft —da hat man wahrhaftig Hitze genug.

Also Petroleumkocher, du musst wandern!

Er packt das Geschirr zusammen, während seine Frau
ihn bittet, auch ja um Gotteswillen die Versetzerin auf den
neuen Triumphbrenner aufmerksam zu machen.

„Hör Hansel, der Brenner! Vergiss den Brenner nicht.
Am liebsten ginge ich selber mit. Du lässt Dich immer
über’s Ohr hauen.“

Aber er schwört, dass er diesmal gerieben sein wird,
und weil ihm der Durst schon in der Kehle brennt, läuft
er eilig davon.

Sie soll das Atelier schön machen, hat sie ihm ver-
sprochen. Aber lieber möchte sie weinen. Und in wunder-
licher Trauer sinnt sie, wie närrisch doch die Künstler sind,
wie sie nie ein Geld haben, und wie sie, wenn mal ein bis-
chen sich zu ihnen verirrt, es gleich in Tand ausgeben.
Aber schliesslich tröstet sie der Gedanke, dass sie doch
keinen lieber mag als den Hans.

Dann macht sie sich an’s Werk, kehrt den Staub ein
bischen in alle Ecken, legt über den Tisch, da die Decke
längst heidi ist, ihr letztes schneeweisses Hemde. Dann
kräuselt sie sich Löckchen, schnürt die noch etwas starke
Taille in ein Corsett und zieht eine Seidenbluse an, die auf
ihrem Körper fast wieder schön wird.

Und ganz leise wagt sich ein bisschen Freude in ihrem
Kopfe einzunisten. Sie summt ein Liedchen vor sich hin,
an dessen Sinn sie selbst kaum denkt.

„So leben wir, so leben wir,

So leben wir alle Tage. . .“

Und da das Kind wieder schreit, nimmt sie es zu sich.
Die alte Angst wacht wieder auf: wenn das Elend dauert, was
dann wohl aus diesem schwachen Ding wird?

So leben wir, so leben wir, sususu. . .

Aus dem Soldaten- wird allgemach ein Wiegenlied. Der
Kleine beruhigt sich, und mit dem ausdruckslosen Gesicht
eines Philosophen schläft er in seinem Waschkorb ein.

Schliesslich kommt Hans auch wieder. Antoinette stürzt
ihm entgegen.

Wie viel hat die Versatzfrau Dir gegeben ?

Wie viel? Das weiss er selbst kaum mehr. . . So vier
Mark circa.

„Hansel, was? Vier Mark? Aber ich hab’ Dir doch ge-
sagt, unter sieben solltest Du ihn nicht fortgeben. Ach, mein
schöner Petroleumkocher! Nun können wir nur noch kalte
Küche essen. ..“

Ihr eigener Vorschlag fällt ihr jetzt fürchterlich auf’s Herz.

Er steht ganz zerknirscht da, und nur das Eine kann ihn
trösten, dass wenn er sieben Mark bekommen hätte, das Geld
auch alle wäre.

Langsam kramt er seine Sachen aus. Da kommt ein
Büchschen Kaviar, Anchovis, Antoinettens Lieblingsspeise,
und Lachsschinken, den er sehr chik auf einer umgedrehten
Palette servirt. Dazu Brötchen, frische Butter, selbst das Eis
hatte er nicht vergessen. Und für das Kind hat er eine grosse
Kanne Milch mitgebracht, die Kanne hatte die gütige Milch-
frau ihm geliehen.

„Nun, Sonne der Freuden, gehe auf!“

So viel schöne Frauen in glänzenden Toiletten sind ihm
unterwegs begegnet, dass er den Glauben an das Glück wieder-
gefunden hat. Warum sollen sie sich nicht freuen, wo alle
andern fröhlich sind?

Doch in Antoinettens Gesicht liegt noch die alte Trauer.
Da stellt er sich ganz entzückt über die Pracht des Ateliers.
Welch’ ein hinreissender Gedanke, das Hemd der Liebsten
als Tafeltuch! Dass das Messer keinen Stil hat, schadet weiter
nichts. Dafür hat er ein kostbares Sektglas erstanden.

„Siehst Du, Schatz, aus der Flasche können wir nicht
trinken. Unsere Wassergläser sind kaput. Und da die billigen
Sektgläser einfach scheusslich waren, hab’ ich ein besseres
genommen. Es kostet nur eine Mark. . .“

Wie sie auch dann noch den Kopf schüttelt, nimmt er
sie um die Taille.

„Kind, pass’ nur auf! Wenn der Pfropfen springt, dann
springst Du selbst vor Freude an die Decke.“

Der Wein liegt in der Waschschüssel. Er kann kaum
erwarten, bis er sich abgekühlt hat. Dann macht er die erste
Flasche auf. Bum, kracht der Pfropfen — sie schrickt zu-
sammen, als sei ein Schuss durch’s Atelier gefahren. Der
Schaum zischt über das schlanke Kelchglas. Flugs getrunken;
seine Augen brennen vor Begier. Wie schmeckts? Sie nickt.

„Es schmeckt schon gut. Besser als Kindsbrei und Hafer-
schleim.“

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Angelo Jank: Zeichnung zum Text "Ein goldenes Licht auf dunklem Grunde"
 
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