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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 1.1896, Band 2 (Nr. 27-52)

DOI Heft:
Nr. 28 (11. Juli 1896)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3224#0031

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JUGEND

Nr. 28

1896

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Er trinkt auch. Langsam lässt er sich die
Perlen auf der Zunge prickeln, mit der ver-
haltenen Lüsternheit eines Feinschmeckers.

„Ah! Pik! Pikfein! Wirklich... acht!“

Antoinette muss lachen.

„Du machst ein Gesicht, als hättest Du
Dein Lebtag lauter Sekt getrunken.“

Er denkt nach, wann er wohl das letzte
Mal welchen gekostet haben mag. So gerne
möchte er jetzt ein bisschen renommiren.
Aber er kommt nicht d’rauf — es muss halt
lange her sein.

Und überntüthig nimmt er sein Weibchen
auf den Schooss.

„Nur munter! Munter! Trinken!..“ Mit
den Kaviarsemmeln stopft er ihr den Mund
voll. Aber weil sie noch immer traurig ist,
fängt er zu schelten an. Ihr ist das wohl
nicht gut genug, der Schleckerin! Sie möchte
Austern haben.

„Ach Gott, ja“, meinte sie. „Das alles ist
ja wunderschön. Aber was sollen wir morgen
essen ?“

Wie ein Gespenst huscht die Vorahnung
von Morgen an ihnen vorüber. . . Aber er
will vergnügt sein! Er will sich freun! Und
wie der Sekt so über das Spitzglas schäumt,
da läuft ihm die Phantasie über.

Aus Mitleid fängt er an zu schwindeln.

Ja, alle Wetter, das hat er ganz verschwitzt.
Also wie er so über die Strasse geht, trifft
er einen alten Freund, der den grossartigen
Auftrag hat, ein Restaurant auszumalen. Und
der Goldmensch hat ihn gefragt, ob er dabei
helfen will. Fünf Mark pro Tag! Ebenso viel
wie ein Maurer verdient — hat der Freund
triumphirend gesagt. Ausserdem noch freie
Kost!

„Also wirklich, wir haben wieder was zu
essen?“

Nun athmet Antoinette auf.

„Nicht blos zu essen“, sagt er. „Jeden Tag
können wir uns den Magen verderben. Natür-
lich werde ich das Restaurant mit Hummern,
Lachsen und Rehrücken ausmalen — nach
der Natur. Die Vorlagen bringe ich dann
jeden Abend heim.“

Gott, wie sie schlingen werden! Sie hat
sich schon in Gedanken den Magen ver-
dorben !

„Nein, nein! So viel darf ich nicht essen,
sonst wird mir meine Taille zu stark.“

Aber den Sekt stürzte sie hinab. Und mit
einem Mal wird’s ihr im Kopf ganz wunder-
lich. In ihrer Seele zünden rothe Lampions
sich an. Ein ungeheurer Muth erfüllt sie,
eine Lust, mehr, immer mehr zu trinken.

Da steht schon eine Flasche leer.

Aber sie können heut ja im Champagner
schwelgen. Bums, kracht eine zweite Flasche.
Immer hurtiger laufen die Perlen hinab. Er
hat sie zärtlich umschlungen — und da wacht
wie ein Frühling, der lang unter Frost be-
graben lag, das Glück in ihr auf.

Sie zieht den Liebsten noch näher zu sich,
damit er sie recht küssen kann. Und während
dicke Thränen ihr aus den Augen kugeln,
schluchzt sie:

„Ach mein Hansel, mein Affe! Mein lieber,
süsser Kerl, ist das Leben schön! Ist das
schön!! ist das schön!!!...“

Sie ruht in seinem Arm, von Küssen fast
erstickt. Er schmeichelt ihr alles Schöne vor,
wie sie glücklich sein werden. Bald! Bald!
In ein paar Wochen, ein paar Tagen! Und
schon möchte er, schier allzukühn, der trägen
Zeit voraneilen — da meldet sich der kleine
Schreihals in der Wiege, als wenn er Unheil
ahnte, und erhebt ein fürchterliches Geschrei.
Antoinette muss herzlich lachen.

Dieses Guckindiewelt hat mehr Vernunft
als sein verwegener Herr Papa.

Mit allerliebstem Schwanken, gewiegt von
ihren trunk’nen Sinnen, steht sie auf und holt
die Milchkanne. Gott sei Dank, dass sie etwas
hat, um den Hunger des Kleinen zu stillen.

Die Milch giesst sie in eine dicke Cham-
pagnerflasche, setzt den Sauger drauf und legt
dies SurrogatderMutterbrustin denWaschkorb.

Der Säugling trinkt mit heftigen Zügen.
All’ die Champagnerblasen steigen ihm in
die Beine, dass er vor Vergnügen strampelt.
Er trinkt und trinkt, und schliesslich schläft
er ein, den Schlaf aller gerechten und frommen
Christen.

Vater und Mutter aber kosen weiter. Wie
ein Amselpaar, das sich noch lockt, noch
scheu sich flieht auf hohen Zweigen, klingt
zwischen ihnen die sehnsuchtsvolle Liebes-
melodie: Aber bald! Aber bald! . . .

Noch einen Kuss, und Antoinette macht
die Augen zu. Gut’ Nacht! Draussen ver-
sinkt im Farbenrausch die Sonne. Leuchtende
Flammen tanzen über die nackten Wände.
Bunte Bilder tanzen in Holders Seele.

Und es beginnt zu dunkeln. Der letzte
Abendschein schmiegt sich leicht auf Antoi-
nettens Antlitz. Wie schön sie ist! Auf dem
dunklen Grunde liegt sie da, ein goldnes
Licht, in all’ dem kargen Elend eine wunder-
schöne Blume.

Dreimal füllt Holder noch sein Glas. Drei-
mal trinkt er. Auf sein Weib! Auf seine
Kunst! Und darauf, dass er doch mal durch-
kommt!

Dann sinkt sein Kopf zurück.

Die Nacht kommt mit ihrer dunklen
Schwester, der Vergessenheit.

Das Heute

Sonnen verstäuben im Weltenraum;

Völker und Götter,

Wie fallende Blätter,

Sinken verwehend vom Schöpfungsbaum.
Aber in Ewigkeit, strahlend erneut,
Wandelt die leuchtende Welle, das Heut,
Blühet die lachende Sonnenstunde:
Athmender Hauch aus Allvaters Munde,
Blitzender Tropfen, spiegelnd die Welt,
Der von den schöpfenden Eimern fällt.

julius lohmeyk.

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Register
Julius Diez: Zierleiste
Julius Lohmeyer: Das Heute
 
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