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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 1.1896, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 28 (11. Juli 1896)
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Nr. 28

JUGEND

1896

Zeichnung von Louis Corinth.

Einige Winke für Briefschreiber
und Briefempfänger

von Viktor Dttmann.
past Dn die Beantwortung eines Briefes
vertrödelt, so beginne Dein Schreiben, zu dem
Du Dich endlich aufraffst, etwa so: „Nach reif-
licher, eingehender Nebcrlegung ic.‘‘, oder so:
„Neberbürdung mit Geschäften (oder längeres
Unwohlsein) läßt mich erst heute ic."

Seltener ist die Entschuldigung anzuwenden,
daß ein albernes Dienstmädchen den Brief in
der Tasche behalten habe, und nur ganz freche
Naturen werden mit eiserner Stirne sich in
folgender weise etwa aus der Affaire ziehen:
„Wie! Sie haben meine» Brief am \5. d.
Mts. nicht erhalten! Bitte, geben Sie mir
schleunigst Nachricht, damit ich bei der Post
wegen dieser skandalösen Nachlässigkeit rekla-
miren kann." Oester als einmal darfst Du
diesen Trick bei derselben Persönlichkeit frei-
lich nicht anwenden. Oeffne einen Brief, der
Dich auf der Adresse höher titulirt, als Dir
zukommt, mit Mißtrauen — oder besser gar
nicht. Im besten Falle wirst Du darin um
eine unbequeme Gefälligkeit gebeten, höchst
wahrscheinlich aber angepumpt. Ganz sicher
passirt Dir das Letztere, wenn im ersten Satz
des Briefes von Deiner stadtbekannten Noblesse
die Rede ist. Tompliciren sich diese Erschein-

ungen mit weiblicher Handschrift und Parfüm

— so hilft nur der Papierkorb oder der Ofen

— sonst kann die Sache sehr theuer werden.

Sehr grobe Briefe wird ein gebildeter

Mensch nie schreiben. Erstens können sie Ver-
anlassung geben zu sehr verdrießlichen Be-
leidigungsprozessen und dann bringen sie Dich
auch um den Genuß, die schönen Dinge dem
Adressaten in's Gesicht zu sagen. Am wenig-
sten werden schriftliche Grobheiten noch übel
genommen, wenn sie in einem Brief mit fünf
Siegeln stehen.

Lnipfängst Du einen Brief von weiblicher
Pand, so betrachte sorgsam die Schrift der
Adresse, bevor Dn ihn öffnest, beobachte auch,
wie die Marke aufgeklebt ist. Beides gibt zu
Restexionen Anlaß, die den Gleichmnth der
Seele fördern und dadurch ungemein wohl-
thnend auf den Organismus wirken.

Bevor Du dann den Brief lies'st, zünde Dir
eine Eigarre oder Eigarette, meinetwegen auch
eine pfeife an. Tabakswolken sind die Be-
schwichtiger der Leidenschaften; ein rauchender
Mann kann keinen Brief zornig zerknittern,
sondern er wird ruhig zu Ende rauchen und
sich mit dein Briefe eine neue Pfeife anstecken.

past Dn den Brief geöffnet, so lies zuerst
die nienials fehlende Nachschrift, Du ersparst
Dir dann oft das Lesen des vorhergehenden.

Ein richtiges Weib schreibt das wichtigste
und Gefühlvollste in der Nachschrift. Ls offen-
bart sich hierin eine erstaunliche Fülle unbe-
wußter Lebensweisheit.

Als Mann von Geschmack und verständniß
wirst Dn es dem Briefe auch in viele» Fällen
— anriechen, was Du von der Schreiberin zu
halten hast.

Ueberall, wo Du einer bindenden Zusage
entgehen und Dir ein pinterthürchen offen
halten willst, schließe mit: „Näheres folgt!"
oder „Näheres mündlich!"

Schreibst Du an ein Mädchen, das Du
liebst, so kannst Du ihr immerhin versichern,
daß der Pimmel blau, das Wasser feucht und
Deine Liebe unbegrenzt ist. Schreibst Du aber
Deinem Schneider, er möchte sich freundlichst
noch sechs Monate gedulden, so dürften solche
Betheuerungen unangebracht erscheinen.

Betrachte duftende Briefe stets mit Miß-
trauen. vom Briese heißt es wie vom Menschen:
bene ölet, qui non ölet!

So wenig als Dn einem Mädchen Mangel
an Logik vorwerfen sollst, so wenig sollst Du
ihre Schreibart tadeln. Sei ein Prinzipien-
reiter und thu' es, aber höre auf zu glauben,
daß sie Dich noch liebt.

Laß' das Aorrigiren und bedenke, daß
gerade die allerliebsten Mädchen weiter keine
Fehler haben als orthographische.

4,6
Register
Max Feldbauer: Nur Muth!
Lovis Corinth: Zeichnung ohne Titel
Victor Ottmann: Einige Winke für Briefschreiber und Briefempfänger
 
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