Nr. 29
JUGEND
1898
Am Dichter-Tisch
Zu München im Hofgarten schlürft’ ich heut’
Mit meinem „Verhältniss“, der Rosi,
Stillfreudig wie and’re brave Leut’
Meinen Mokka im Cafö Tambosi.
Das Wetter war schön. Die Münchener Creme
Lustwandelte in den Arkaden
Und gaffte daselbst einander bequem
Nach Antlitz, Toilette und Waden.
An den Wänden prangt Rom und Puteoli,
In Distichen grausam bedichtet,
Davor fliesst der Brunnen der Poesie,
Von dem Wirthe, Herrn Putscher, errichtet.
Symbolistisches Wasser stürzet hervor. —
In dem Elemente, dem nassen,
Spült holdester Kellnerinnen Flor
Die benützten Caffeetassen.
Die Sonne schien hell. Drei theuere Stück
Schaumkuchen ass Rosi, die holde,
Am Brunnentempelehen spielte Musik
Aus Tristan und Isolde.
Und Sonne und Leute genoss ich froh,
Und Rosi Musik und Kuchen;
Da hör’ ich auf einmal unisono
Sechs Stimmen hinter mir fluchen.
Und höre an einem Nebentisch
„Philister und Heerdenvieh“ schmähen,
Schau, schau — am Caffee ergötzten sich
Sechs modische Kunstkoryphäen.
Die schreien und lärmen,sie seien„modern“,
Und schimpfen auf andere Leute
Und reden genau wie die alten Herrn
Und nicht einmal so gescheute.
Sechs Jünglinge — haben gelbe Schuh,
Grüne Slipse und rothe Kragen,
Und schwören Verachtung Allen zu,
Die normale Cravatten tragen.
In den Münchener Hofgarten Arkaden
Sprach der Erste: „Die Kunst ist übel daran,
Symbolismus ist mein Leben!“
Sprach der Zweite: „Ist längst schon abgethan,
Muss endlich was Neues geben.“
Sprach der Dritte: „Neue Sensation
Aus allen Gebieten mir hol ich;
Islamitisch und jüdisch war ich schon
Und nächstens werd’ ich katholisch.
Schrieb gestern ein Epos, ganz loyal,
Und heute ein Stück demokratisch,
Im Grunde ist mir die Welt egal,
Denn der Genius ist problematisch.“
Der Vierte rief — und goss hinab
Den dritten Vermouth de Torino —
„Die Kunst muss sozialistisch sein,
Nanni — ein Glas Maraschino.“
Der Fünfte schrie: „Alle Kunst ist Dung,
Und Mist sind Eure Gedichte!
Die sexuelle Entäusserung!
Da liegt’s — Das ist die Geschichte!“
Der Sechste säuselt: „Wir alle sind
Schlappschocken. — Im höchsten Liede
Der Strom der „grossen Müdigkeit“ rinnt,
Ach müde — so müde — so müde.
Und die Kunst ist die grosse Müdigkeit
In sensitiven Symbolen.“
Er lispelt’s und Hess von der dienenden Maid
Sich das viertö Stück Punschtorte holen.
„Ha!“ brüllte der Fünfte „Blöder Dunst!
Gesund! Bei Wodan und Freya!
Nur malerisch kraftvoll thier-menschliche
Kunst,
Tu tu tüh! Dagloni, Dagleia!“
„Nein,“ säuselt der andere, „längst überlebt!
Grobgehirnige Naturalismen!
Nur wo die „grosse Müdigkeit“ bebt,
Sind Fühlfäden-Kunstnervosismen.“
Gezeichnet von H. Egersdörfer.
Darauf begannen die Sechse sich
Einander kritisch zu „retten“,
Sie gaben sich’s zu, dass sie dichterisch-
Dämonische Augen hätten.
Sie begossen wechselseitig mit Ruhm
Ihre Stirnen und Augenpaare
Und entwickelten sich ihr Künstlerthum
Aus der Farbe ihrer Haare.
Dann sprachen von ihren Slipsen sie,
Von Hunden und gelben Schuh’n,
Dann wieder von ihrem Kunstgenie,
Hatten Alle nichts Rechtes zu thun.
Und als sie tranken den sechsten Likör,
Da blühte die Kunst unsäglich,
Beim siebenten lag das Philisterheer
Am Boden und wimmerte kläglich.
Beim achten Liköre gebaren aus sich
Die „Neu-Renaissance“ die Lümmel,
Beim neunten sanken sie unter den Tisch
Und die deutsche Kunst stieg zum Himmel.
Und als sie tranken den zehnten Likör,
Schrie der Dekadente nach Waffen,
Der Uebermensch aber weinte sehr,
Die Philister begannen zu gaffen.
Und als sie tranken den elften Likör,
Fing der Geist an aus ihnen zu lallen,
Und als sie getrunken den zwölften Likör,
Vergassen sie zu bezahlen.
Vergassen zu zahlen und drückten sich viel
An die Dichterbusen, die Theuern,
Und gingen nach Hause voll Wonnegefühl,
Um die Menschheit daselbst zu erneuern.
Ich ging dann spazieren im grünen Hag
Mit meinem „Verhältniss“, der Rosi,
So geschehen am heiligen Bennotag
Zu München im Cafe Tambosi.
THEODOR LESSING.
470
JUGEND
1898
Am Dichter-Tisch
Zu München im Hofgarten schlürft’ ich heut’
Mit meinem „Verhältniss“, der Rosi,
Stillfreudig wie and’re brave Leut’
Meinen Mokka im Cafö Tambosi.
Das Wetter war schön. Die Münchener Creme
Lustwandelte in den Arkaden
Und gaffte daselbst einander bequem
Nach Antlitz, Toilette und Waden.
An den Wänden prangt Rom und Puteoli,
In Distichen grausam bedichtet,
Davor fliesst der Brunnen der Poesie,
Von dem Wirthe, Herrn Putscher, errichtet.
Symbolistisches Wasser stürzet hervor. —
In dem Elemente, dem nassen,
Spült holdester Kellnerinnen Flor
Die benützten Caffeetassen.
Die Sonne schien hell. Drei theuere Stück
Schaumkuchen ass Rosi, die holde,
Am Brunnentempelehen spielte Musik
Aus Tristan und Isolde.
Und Sonne und Leute genoss ich froh,
Und Rosi Musik und Kuchen;
Da hör’ ich auf einmal unisono
Sechs Stimmen hinter mir fluchen.
Und höre an einem Nebentisch
„Philister und Heerdenvieh“ schmähen,
Schau, schau — am Caffee ergötzten sich
Sechs modische Kunstkoryphäen.
Die schreien und lärmen,sie seien„modern“,
Und schimpfen auf andere Leute
Und reden genau wie die alten Herrn
Und nicht einmal so gescheute.
Sechs Jünglinge — haben gelbe Schuh,
Grüne Slipse und rothe Kragen,
Und schwören Verachtung Allen zu,
Die normale Cravatten tragen.
In den Münchener Hofgarten Arkaden
Sprach der Erste: „Die Kunst ist übel daran,
Symbolismus ist mein Leben!“
Sprach der Zweite: „Ist längst schon abgethan,
Muss endlich was Neues geben.“
Sprach der Dritte: „Neue Sensation
Aus allen Gebieten mir hol ich;
Islamitisch und jüdisch war ich schon
Und nächstens werd’ ich katholisch.
Schrieb gestern ein Epos, ganz loyal,
Und heute ein Stück demokratisch,
Im Grunde ist mir die Welt egal,
Denn der Genius ist problematisch.“
Der Vierte rief — und goss hinab
Den dritten Vermouth de Torino —
„Die Kunst muss sozialistisch sein,
Nanni — ein Glas Maraschino.“
Der Fünfte schrie: „Alle Kunst ist Dung,
Und Mist sind Eure Gedichte!
Die sexuelle Entäusserung!
Da liegt’s — Das ist die Geschichte!“
Der Sechste säuselt: „Wir alle sind
Schlappschocken. — Im höchsten Liede
Der Strom der „grossen Müdigkeit“ rinnt,
Ach müde — so müde — so müde.
Und die Kunst ist die grosse Müdigkeit
In sensitiven Symbolen.“
Er lispelt’s und Hess von der dienenden Maid
Sich das viertö Stück Punschtorte holen.
„Ha!“ brüllte der Fünfte „Blöder Dunst!
Gesund! Bei Wodan und Freya!
Nur malerisch kraftvoll thier-menschliche
Kunst,
Tu tu tüh! Dagloni, Dagleia!“
„Nein,“ säuselt der andere, „längst überlebt!
Grobgehirnige Naturalismen!
Nur wo die „grosse Müdigkeit“ bebt,
Sind Fühlfäden-Kunstnervosismen.“
Gezeichnet von H. Egersdörfer.
Darauf begannen die Sechse sich
Einander kritisch zu „retten“,
Sie gaben sich’s zu, dass sie dichterisch-
Dämonische Augen hätten.
Sie begossen wechselseitig mit Ruhm
Ihre Stirnen und Augenpaare
Und entwickelten sich ihr Künstlerthum
Aus der Farbe ihrer Haare.
Dann sprachen von ihren Slipsen sie,
Von Hunden und gelben Schuh’n,
Dann wieder von ihrem Kunstgenie,
Hatten Alle nichts Rechtes zu thun.
Und als sie tranken den sechsten Likör,
Da blühte die Kunst unsäglich,
Beim siebenten lag das Philisterheer
Am Boden und wimmerte kläglich.
Beim achten Liköre gebaren aus sich
Die „Neu-Renaissance“ die Lümmel,
Beim neunten sanken sie unter den Tisch
Und die deutsche Kunst stieg zum Himmel.
Und als sie tranken den zehnten Likör,
Schrie der Dekadente nach Waffen,
Der Uebermensch aber weinte sehr,
Die Philister begannen zu gaffen.
Und als sie tranken den elften Likör,
Fing der Geist an aus ihnen zu lallen,
Und als sie getrunken den zwölften Likör,
Vergassen sie zu bezahlen.
Vergassen zu zahlen und drückten sich viel
An die Dichterbusen, die Theuern,
Und gingen nach Hause voll Wonnegefühl,
Um die Menschheit daselbst zu erneuern.
Ich ging dann spazieren im grünen Hag
Mit meinem „Verhältniss“, der Rosi,
So geschehen am heiligen Bennotag
Zu München im Cafe Tambosi.
THEODOR LESSING.
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