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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 1.1896, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 30 (25. Juli 1896)
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Nr. 30

JUGEND

1896

„Also Euch findet man auch hier? — Wie
wunderbar — und doch wie nett! — Und wie oft
habe ich Dich durchgewichst, alter Kerl! — Das
thut mir jetzt leid. — Hauptsächlich das letzte
Mal, als Du den Hasen beinahe verzehrt hattest!“—
„Ja“ — unterbrach ihn Tello — „und weisst
Du, der Hase ist auch irgendwo!“

„Wie wunderbar! . . .“ konnte Max Christoph
nur sagen.

Er ging weiter, — einer Stelle zu, an welcher
der schönste Gesang ertönte. Der klang so herr-
lich! Und dazu bewegten sich im langsamen
Tempo eine Anzahl der himmlischen Gestalten,
deren glänzendes Haar wie goldene Fäden um
sie herum fiel. Dann wurden die Töne schneller
und es kamen weisse Pferde angeflogen, auf deren
Rücken sich kleine Engel an Guirlanden von rothen
Rosen festhielten.

Das sah prachtvoll aus; die Gesichter der
kleinen Engel glänzten vor lauter Freude.

Plötzlich wäre er beinahe hingefallen; denn
er stolperte über einen Körper, der auf dem Boden
lag. — Als er ihn ansah, sah er, dass es Jemand
war, den er gekannt hatte. Aber der Betreffende
bemerkte ihn gar nicht, sondern weinte bitterlich.

„Was fehlt Dir?“ frug Max Christoph und be-
rührte mitleidig seine Schulter. „Alles ist hier
froh und heiter, — wie kannst Du da weinen?
Was fehlt Dir?“

„Meine Seele,“ antwortete der Körper und
drehte sein Gesicht Max Christoph zu. —■

Jetzt erkannte ihn letzterer. „Müller Jan-
sen,“ sagte er — „Du bist’s?“

„Ja, ich bin’s! Ohne Seele! — Meine Strafe,
weil ich Sand in’s Mehl that. — Und nun keine
Freude, — keine Seligkeit! Oh! — Du kannst
nicht begreifen, was das heisst! —“ Und er
schluchzte voll Traurigkeit laut auf.

Max Christoph überlegte einige Minuten und
schaute sehnsüchtig nach den Sängerinnen; aber
er war ein guter Kerl, und das Mitleid in ihm
war sehr stark. — „Glaubst Du,“ frug er, „dass
ich deine Seele fangen könnte? Ich konnte als
Junge famos Fliegen fangen, und habe deswegen
vom Schulmeister öfters Schläge bekommen. —
Wenn Du glaubst, dass ich es könnte? . . . .“
„Oh,“ sagte Müller Jansen, mit einem sehn-
süchtigen Blicke nach den Sängerinnen — „wie
gut von Dir! Komm’ gleich mit!“ — Und er zog
ihn fort.

Als sie am Gitter angelangt waren, fragte Max
Christoph: „Nun, wo ist denn deine Seele?“
„Dort — der dicke Brummer da! — Rasch!
Geh’ aber ganz sacht; denn sonst fliegt er fort.“
Max Christoph schlich sich auf seinen Zehen
heran. — Und richtig, da hatte er ihn! Aber nur
beinahe; — denn der Brummer flog weg, — Max
Christoph hinterher, und der Brummer flüchtete
auf den Kopf eines Engels, in dessen goldenen
Haaren er sich verwickelte.

„Hab’ ich Dich endlich!“ rief Max Christoph,
indem er ganz sanft den Kopf des schönen Engels
in seine Hände schloss. —

„Bitte sehr!“.... sagte dieser etwas kühl;
„keine Vertraulichkeiten! Du musst nicht ver-
gessen, dass Du im Himmel bist!“

Max Christoph entschuldigte sich, so gut er
konnte und brachte dann den Brummer zu Müller
Jansen, dessen grosse Freude aber plötzlich in
sichtbare Trauer verkehrt wurde; denn es war
ein anderer Brummer, und gar nicht seine

>1

Zeichnung von Leo Prochownik.

Seele; Max Christoph war aber dem Engel nach-
gelaufen, denn dessen wundervolle Augen er-
innerten ihn an jemand.

Bald hatte er den Engel eingeholt.

„Was willst Du?.fragte sie — denn es

war eine Sie — „ich kenne Dich ja gar nicht!“ —

„Das ist’s ja eben! ....“ sagte Max Christoph,
— „Du erinnerst mich so an jemand —“

„Das kann jeder sagen! . .. .“ antwortete der
Engel und wandte sich weg.

Und nun war Max Christoph traurig. Er setzte
sich hin und dachte nach. Ja, er war sehr traurig.

So schön war Alles, so herrlich; und doch,

ihm fehlte etwas.Er stand auf und wandelte

weiter. Ueberall nur Schönes, — nur Licht und
Glanz! — —

Da sah er eine Leiter stehen, auf der war zu
lesen: „Weg zur Erde.“ Und langsam, — den
Blick immer noch auf die Schönheiten und den
blendenden Glanz gerichtet — fing er an, sie
hinabzusteigen. Es war eine lange, lange Leiter.
Und dann stieg er schneller und immer schneller,
und plötzlich verlor er die Stufe, glitt aus und
fiel — tief — tief!.

Er sass aufrecht im Bette und rieb sich die
Augen. —

„Ach, das war ja ein Traum! Aber er war
doch schön —! Was suchte ich nur zuletzt?“ . . .

Er stand auf und fing an, sich anzukleiden.
Und dann öffnete er das Fenster, — und da lag
die Welt vor ihm, im ersten Glanze der auf-
gehenden Sonne! Er beeilte sich und stürzte
dann zum Hause hinaus.

Vor ihm die Wiesen, thaugetränkt. Ein weicher
Dunst fing an, langsam den Strahlen der Sonne
zu weichen. — Goldgelb, tiefpurpurn stieg der
Feuerball langsam am hellgrauen Himmel empor,
der allmählich eine blaue Färbung annahm.

Max Christoph eilte weiter.

Er schwang sich über eine Hecke und achtete
den Thau nicht, der an seinen Kleidern hängen
blieb. Es trieb ihn vorwärts ....

Und der Tag wurde heller, und die Lerchen
stiegen zum Himmel und sangen ihr Loblied, und

die Drosseln und Finken stimmten mit ein.-

Aber Max Christoph achtete sie nicht.

Immer weiter ging er. — Nun sprang er über
eine zweite Hecke und stand auf einer Wiese, wo
mehrere Kühe weideten. Und da blieb er stehen.
Und gar ein lieblich Bild war es, was er schaute:

Ein Mädchen stand an eine Kuh gelehnt, deren
Kopf sie streichelte. — Neben ihr die vollge-
melkten Eimer.

Jetzt näherte er sich langsam; — und als
er dicht vor ihr stand, entfuhr es ihm plötzlich:
„Jetzt weiss ich’s!“

Und da wäre beinahe ein Unglück geschehen;
denn vor Schreck wäre sie fast in die Eimer ge-
fallen, wenn er sie nicht gehalten hätte. Und er
hielt sie noch lange, nachdem sie ihr Gleichge-
wicht wieder erlangt hatte. — Er küsste sie; —
und immer sagte er nur: „Jetzt weiss ich’s!“ —
Und obwohl sie ganz gut wusste, weshalb er ge-
kommen, frug sie doch: „Max Christoph, —
weshalb kamst Du eigentlich?“

Da nahm er ihr Haupt zwischen beide Hände,
sah ihr lange tief in die Augen und sagte sehr
feierlich: „Um Dich zum Weibe zu holen, Luis’,
denn Du fehlst mir schon lange, — — selbst in
des Himmels Herrlichkeit!.“

Und er erzählte ihr seinen Traum. —

NELL.

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