Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Nr. 30

JUGEND

1898

k


Zierleiste von J. Diez.

Im Zuchthaus

Der Grossherzog besucht das Zuchthaus seines Landes.
Er wird von dem Director und seinen Beamten empfangen
und herumgeführt. Schliesslich, nachdem er alle Einricht-
ungen besichtigt hat, bleibt er stehen.

Grossherzog: M .. m ... . m . . jä, mein lieber Director,
Alles sehr schön, sehr schön . . . Aber sagen Sie mir, mein
lieber Director, wo, wo . . wo sind nur eigentlich die Herren
Strafgefangenen?

Director: In den einzelnen Zellen, Königliche Hoheit.

Grossherzog: M .. so. In den einzelnen Zellen. Sehr
schön. — Sagen Sie, mein lieber Director . . . m . . ä .. . es
würde mich sehr interessiren, die Bekanntschaft des Einen
oder des Andern dieser Herren zu machen. Wäre das
möglich?

Director: Gewiss, Königliche Hoheit. Wünschen König-
liche Hoheit einen schweren oder einen leichten Verbrecher
zu sehen?

Grossherzog: M .. ä .. wenn ich bitten darf, einen
schweren, einen recht schweren, lieber Director.

(Hierauf wird dem Grossherzog der gewünschte Ver-
brecher vorgeführt.)

Grossherzog (betrachtet ihn durch die Lorgnette):
M . . m . . jä. Sehr schön. — Sagen Sie mir, mein Lieber:
wie lange halten Sie sich hier schon auf, wenn ich fragen
darf?

Verbrecher (mürrisch): Fufzehn Jahr.

Grossherzog: Fünfzehn Jahre ... sieh, sieh ... eine
schöne Zeit. Und was . . weswegen, wenn ich fragen darf ..
ä . . haben Sie hier Ihren Aufenthalt genommen?

Verbrecher: Wegen Mord.

Grossherzog: M .. m . . mä.. wegen Mordes. So, so.
Sehr interessant. — Und . . und . . . sagen Sie mir, mein
Lieber: wen, wenn ich fragen darf, wen haben Sie . . ä . .
gemordet?

Verbrecher: Meine Mutter.

Grossherzog: O, Ihre Frau Mutter? — Hm. Jä.

Sehr schön. — Und . . ä . - wie lange also . . gedenken Sie
sich hier noch aufzuhalten?

Verbrecher: Lebenslänglich.

Grossherzog: Hm, lebenslänglich. So, so. Danke
sehr. Ich will Sie nicht länger aufhalten. — — Also, mein
lieber Director: dem Manne sind die letzten fünf Jahre seiner
Strafe in Gnaden erlassen. o. e. h.

Getheiltes Leid . . .

\von Emanuel Grosser.

Der Hugo, der ist mein bester Freund,

Er hat es stets treu und ehrlich gemeint,

Mir stets seine offene Meinung gesagt,

Noch eh’ ich ihn immer darum gefragt.

Ich hab’ ihm mein ganzes Vertrauen geschenkt,
Gesagt, was mich freut, ihm gesagt, was mich kränkt;

Ihn angepumpt, ihn allein auf der Welt —

Ja, hab’ ihn sogar meinem Lieb vorgestellt. —

Und als die Stunde des Scheidens kam,

Von meiner Heimat ich Abschied nahm,

Da hat mir der Hugo die Börse gespickt,

Und die Hand mir gedrückt und in’s Aug’ mir geblickt . . .

Ich hab’ in der Fremde die Nächte durchwacht,

An mein Liebchen gedacht und Verse gemacht;

Ich hab’, wenn der Frühling die Blumen geküsst,

In den Himmel geschaut und die Zukunft begrüsst . . .

Und während ich in der Ferne sass,

Viel Thränen vergoss und mein Herz nicht vergass,

Da hat auch mein Mädel zu Hause geweint,

Und mein Freund hat aus Freundschaft mitgegreint.

Die Thränen, sie haben sein Herz erweicht,

Er hat ihr aus Freundschaft die Hand gereicht,

Und sie . . . hielt sie fest. Und nun sind sie vereint!

. . . . Der Hugo, der ist doch mein bester Freund!

Geniecultus

Sagt, was ihr wollt —, der gute, mittelmässige Hans,'
Sagt, was ihr wollt —, die brave, liebe Durchschnittsgans,
Das ist, Philister, eure wahre Sympathie —:

Aus Modezwang nur huldiget ihr dem Genie!

ROBERT OECHSLER.

482
Index
Julius Diez: Zierleiste
Emanuel Grosser: Getheiltes Leid
O. E. H.: Im Zuchthaus
Robert Oechsler: Geniecultus
 
Annotationen