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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 1.1896, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 30 (25. Juli 1896)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3224#0065
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1896

Nr. 30

* JUGEND «

„Das wirst Du wohl bleiben lassen... da
— da hast Du meine Nase . . . wir wollen doch
mal sehen, ob Du die Unverschämtheit hast..."

„Georges, ich sage Dir zum letzten Male:
lass mich los! Ich zähle bis drei: Eins!. . .
Zwei! . . ."

Krick I Die zwei blanken Zahnreihen er-
schnappten die Nasenspitze und bissen aus aller
Kraft.

„Aul Aul kför' aufI VH! Ah! Du thust
mir weh ! .... Ls ist lächerlich... der dicke
tserr gegenüber schaut uns zu, er reißt die
Augen und den Mund auf —■ was soll er sich
nur denken? Ls ist verrückt, verrückt!"

Er betastet mit dem Zeigefinger vorsichtig
seine Nasenspitze, wo, umgeben von einem
weißen Reifen, ein kleiner rother Champignon
aufgebläht war.

„Ich Hab' Dir's gleich gesagt", entschuldigte
sich die friedfertige Gattin. „Liehst Du: Du
hättest besser gethan, in's Bureau zu gehen.
Deine Gegenwart regt mich auf, was ist da zu
machen?... Poulou, wenn Du nicht aufhörst
an der Thürklinke zu lutschen, Han' ich Dir
Eine 'runter! . . ."

In diesem Augenblick erscholl ein furcht-
barer Donnerschlag. Der dicke kserr auf dem
Balkon verlor in seinem Fauteuil beinahe das
Gleichgewicht. Der schöne Schwarze im Trikot
lehnte sich aus dem Fenster. Der Jagdhund
im zweiten Stock bellte. Die Wäscherinnen
kamen alle auf die Straße heraus und hoben
die Nase zum ksimmel. Die Passanten fingen
an zu laufen. Die Concierge auf dem Trottoir
wachte auf und bemerkte mit Entrüstung, daß
ein Gassenjunge eine leere Petroleum-Kanne an
einen Fuß ihres Stuhles gebunden hatte, die
bei der ersten Bewegung umfiel und einen
Höllenspektakel verursachte.

Ein zweiter Donnerschlag und klitsch I klatsch I
fielen die Regentropfen aus die Straße und zeich-
neten dunkle Sterne, breit wie Thalerstücke,
auf das staubige Trottoir. Die junge Frau sah
stumm und ganz bleich die Schleusen des Him-
mels sich öffnen. Ihr Gatte stand neben ihr
und sog mit Wollust die erfrischte Lust ein.
von der Dachrinne über ihren Köpfen fiel ein
seiner Regenstaub nieder und berieselte den
Beiden das Gesicht.

„Ahl wie das wohlthntl" sagte Georges.
„Aber was hast Du denn?"

Seine Frau sah ihn an oder betrachtete
vielmehr die Nasenspitze, welche sie so übel zu-
gerichtet hatte, und brach plötzlich in Thränen aus.

„£uq>l" rief er bestürzt.

Sie warf sich mit dem Kopf an seine Schulter
und schluchzte bitterlich.

„Vhl Georgesl Georges!"

„Lucy, meine kleine Frau, warum weinst
Dn? Liebst Du mich nicht mehr?"

„Vdochl Doch!... Aber ich war schlecht...
und böse. . . und . . ."

„Nein, Liebste, nein! . . . Sieh, wie es reg-
net; das ist gut, das erquickt... ich war selbst
ein wenig..."

„Nein, Georges, ich war an Allem Schuld ...
ich bitte Dich um Verzeihung. Deine arme
Nase! . . . Bitte beiße mich auch, strafe mich,
thue mir wehl..."

Sie bot ihm schelnüsch die Nasenspitze; aber
er küßte sie auf den Mund und auf die Regen-
fiuth folgte eine Fluth von Liebkosungen.

>Mon p’tit homme! Ma p’tite femme!
Tu m’aimes, dis? Dis-le, Dis-le! C’dtait le
temps? Oui, c’est le temps! Ce sont les
nerfs, ma cherie! Elle a et<5 m^ante la
’tite femme, mais eile ne le sera plus. Et le
Monsieur aussi, il a Ae mdchant, boudeur,
rageur! II ne leferaplus! Ma cocotte! Mon
gros poulet! . . .<

Plötzlich riß die junge Frau sich los.

„Mein Gott, der Poulou ist im Regen . . .
willst Du hereinkommen, unartiger Bengel!..."

Sie öffnete die Balkonthüre. Poulou saß
auf dem Zinkboden in einem richtigen Sitzbad,
umgeben von einer Flotte von kleinen Papier-
schiffchen, die lustig aus den Wellen schaukelten.

Es fielen die letzten Tropfen. Der dicke
asthmatische Herr auf dem Balkon glänzte vor
Freude, denn er hatte endlich Lust bekommen.
Der schöne Schwarze hatte nicht nur sein Vber-
hemd, sondern sogar seine Weste wieder ange-
zogen. Die Wäscherinnen drückten mit verdop-
pelter Energie auf ihre Bügeleisen. Und die
Concierge kam mit ihrem Besen auf die Straße
und benützte den Regenguß, um mit wichtiger
Miene das Trottoir abzukehren.

Rene Montbois (Paris).

Tragödie

Meine Sommerhosen sind verdorben,
Meine schönen, hellen Sommerhosen,
Jede Freude ist mir hingestorben
Und entblättert stehen meines Lebens

Rosen.

Als ich gestern an die kleine Hexe,

An mein Liebchen schrieb, den Schelm,

den losen,

Sprangen mir zwei böse Tintenklexe
Auf die schönen, hellen Sommerhosen.

Liebchen, deute mir nun dies Mirakel!
Ach, es kommt vom Schreiben nur und

Kosen!

Und es ist wahrhaftig ein Spektakel!
Solche schönen, hellen Sommerhosen!

Trauernd steh’ ich vor dem Kleider-
schranke,

Ernst betracht’ ich die einst fleckenlosen,
Und mich quält fortwährend der Gedanke:
Hin sind deine schönen Sommerhosen!

Victor O-n.

GTSSg*3D

Erziehung

Ich hab’ einst einen Knaben geseh’n,

Der konnte vor lauter Lust nicht geh’n;
Er konnte nur hüpfen und tanzen und

springen —

Wer sollte solch Leben zur Ruhe zwingen!

Heut ist seine Brust mit Orden besternt.
Ei freilich hat er das Gehen gelernt!

Und erst aufs Kriechen versteht er

sich gut —

Was doch die Erziehung für Wunder thut!

F. GLUNZ.

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Register
Arthur Lajos Halmi: Im Café Luitpold
Victor O-n.: Tragödie
Ferdinand Glunz: Erziehung
 
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