Nr. 31
- JUGEND
1896
Straßen und an ihrem Fenster vorüber. Eugen aber blühte
und strotzte täglich verführerischer an ihren Fenstern vor-
über. Ich war unsagbar unglücklich! Ich floh die Menschen;
ich schreckte bei jedem Geräusch zusammen.
Einmal, es mochte zwei Uhr in der Nacht sein, saß
ich bei einem sehr starken Aufguß im blinkenden Mondlicht
auf dem Balkon. Auch in Donatens Schlafzimmer brannte
noch Licht. Es war mir ein Trost, auch sie konnte nicht
schlafen. Da — ganz deutlich - sah ich meinen Schlaf neben
nrir stehen, nachlässig an die Balkonthür gelehnt; er sah
elend und verfallen aus, wie fein Herr. Ich wagte kaum
zu athmen, um ihn nicht zu verscheuchen, aber er schien
ruhig zu warten. Richtig, da schlich mein Schatten heran,
der Nacht-Urlaub hatte, immer dicht hinter ihm her.
Lautlos glitten die Beiden an mir vorüber, schwangen
sich über das Balkongeländer, und im Nu waren sie an
den Telephondrähten, die sich von meinem Hause zu dem
Donatens hinüberzogen. UnheinWch glitzerten die feinen
Stahlfäden im Mondlicht auf. plötzlich sah ich meine
beiden Freunde auf dieser luftigen Fährte sich über den
Abgrund schwingen und bemerkte unter Donatens Fenster
einen unruhig hin und her wogenden Reigen von vier
nebelhaften Wesen, unter denen ich auch den Schattenriß
Donatens deutlich zu erkennen glaubte. Merkwürdig!
Mein Zustand wurde bedenklich. Ich hatte bereits
Selbstmordgedanken. Aber auch in ihrem Schlafzimmer
brannte das Licht in jener Nacht länger.
(Einmal begegnete ich ihr — ach! an Eugen's Seite,
gerade, als sie aus der Malstunde kam. Ich drückte
mich in einen Hausflur hinein und beschloß — zu sterben.
Ich beabsichtigte nämlich, mich von dem Rathhausthurm
just zu ihren Füßen herabzustürzen, wenn sie wieder aus
der Malstunde kam; später unterließ ich es.
Mein Arzt rieth mir dringend, zu verreisen. Ich
sollte meinen Schlaf in Wald und Bergen wieder suchen.
War er dorthin geflogen? Wie konnte der alte Mann das
wissen? Aber ich blieb, denn ich wagte nicht, Eugen ganz
das Feld zu räumen. Da vernahm ich, daß auch Donatens
Arzt ihrer Schlaflosigkeit wegen ihr einen Aufenthalt im
einsamen Forsthause am Gebirge empfohlen hatte. Und
sie reiste ab; nun konnte ich es auch wagen. Ich beschloß,
mich in ihrer Nähe niederzulassen, um sie doch zuweilen
von ferne her beobachten zu können.
Es war ein glutheißer Mittag, als mein Zug an jener
Bahnstation anlangte, von der aus ich meine Fußtour be-
ginnen sollte. Nach einem kräftigen Mahl und Trunk machte
ich mich auf die Wanderung.Mein Schatten war mir treu
zur Seite. Ich wanderte mehrere Stunden in prallster
Sonnenhitze. Mit neidvoller Bewunderung blieb ich an
einem Bachrande stehen, an denr ein Wanderbursche in
prasselnder Sonnenglut schlief; man sah ordentlich, wie sein
Schlaf ihm den ganzen Aörper wohlig durcharbeitete. Unter
einer breiten Buche am Wege lag ein halbes Dutzend glück-
selig schlafender Mäher; ihr Schnarchen stieg wie ein rasseln-
der Triumphgesang in die Baumschatten empor.
Ich wanderte auf schattenloser Straße weiter; wie ein
zitternder Schleier hing die Gluth über den Feldern und
knisterte im Tannenduft des Waldes. Traumverloren, ein
Sonnetrunkener, wanderte ich dahin; nie hatte ich eine
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Straßen und an ihrem Fenster vorüber. Eugen aber blühte
und strotzte täglich verführerischer an ihren Fenstern vor-
über. Ich war unsagbar unglücklich! Ich floh die Menschen;
ich schreckte bei jedem Geräusch zusammen.
Einmal, es mochte zwei Uhr in der Nacht sein, saß
ich bei einem sehr starken Aufguß im blinkenden Mondlicht
auf dem Balkon. Auch in Donatens Schlafzimmer brannte
noch Licht. Es war mir ein Trost, auch sie konnte nicht
schlafen. Da — ganz deutlich - sah ich meinen Schlaf neben
nrir stehen, nachlässig an die Balkonthür gelehnt; er sah
elend und verfallen aus, wie fein Herr. Ich wagte kaum
zu athmen, um ihn nicht zu verscheuchen, aber er schien
ruhig zu warten. Richtig, da schlich mein Schatten heran,
der Nacht-Urlaub hatte, immer dicht hinter ihm her.
Lautlos glitten die Beiden an mir vorüber, schwangen
sich über das Balkongeländer, und im Nu waren sie an
den Telephondrähten, die sich von meinem Hause zu dem
Donatens hinüberzogen. UnheinWch glitzerten die feinen
Stahlfäden im Mondlicht auf. plötzlich sah ich meine
beiden Freunde auf dieser luftigen Fährte sich über den
Abgrund schwingen und bemerkte unter Donatens Fenster
einen unruhig hin und her wogenden Reigen von vier
nebelhaften Wesen, unter denen ich auch den Schattenriß
Donatens deutlich zu erkennen glaubte. Merkwürdig!
Mein Zustand wurde bedenklich. Ich hatte bereits
Selbstmordgedanken. Aber auch in ihrem Schlafzimmer
brannte das Licht in jener Nacht länger.
(Einmal begegnete ich ihr — ach! an Eugen's Seite,
gerade, als sie aus der Malstunde kam. Ich drückte
mich in einen Hausflur hinein und beschloß — zu sterben.
Ich beabsichtigte nämlich, mich von dem Rathhausthurm
just zu ihren Füßen herabzustürzen, wenn sie wieder aus
der Malstunde kam; später unterließ ich es.
Mein Arzt rieth mir dringend, zu verreisen. Ich
sollte meinen Schlaf in Wald und Bergen wieder suchen.
War er dorthin geflogen? Wie konnte der alte Mann das
wissen? Aber ich blieb, denn ich wagte nicht, Eugen ganz
das Feld zu räumen. Da vernahm ich, daß auch Donatens
Arzt ihrer Schlaflosigkeit wegen ihr einen Aufenthalt im
einsamen Forsthause am Gebirge empfohlen hatte. Und
sie reiste ab; nun konnte ich es auch wagen. Ich beschloß,
mich in ihrer Nähe niederzulassen, um sie doch zuweilen
von ferne her beobachten zu können.
Es war ein glutheißer Mittag, als mein Zug an jener
Bahnstation anlangte, von der aus ich meine Fußtour be-
ginnen sollte. Nach einem kräftigen Mahl und Trunk machte
ich mich auf die Wanderung.Mein Schatten war mir treu
zur Seite. Ich wanderte mehrere Stunden in prallster
Sonnenhitze. Mit neidvoller Bewunderung blieb ich an
einem Bachrande stehen, an denr ein Wanderbursche in
prasselnder Sonnenglut schlief; man sah ordentlich, wie sein
Schlaf ihm den ganzen Aörper wohlig durcharbeitete. Unter
einer breiten Buche am Wege lag ein halbes Dutzend glück-
selig schlafender Mäher; ihr Schnarchen stieg wie ein rasseln-
der Triumphgesang in die Baumschatten empor.
Ich wanderte auf schattenloser Straße weiter; wie ein
zitternder Schleier hing die Gluth über den Feldern und
knisterte im Tannenduft des Waldes. Traumverloren, ein
Sonnetrunkener, wanderte ich dahin; nie hatte ich eine
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