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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 1.1896, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 31 (1. August 1896)
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Nr. 31

JUGEND

1896

brennendere Schlafsehnsucht empfunden. Da — wahrhaftig,
er war es! — es war mein Schlaf I Er tuschelte einen
Augenblick mit meinem Schatten neben nur, dann tanzte
er auf der Landstraße vergnügt, mit höhnischen Grimassen,
vor mir her, sprang und wirbelte aus seinen sadendünnen
Beinchen so toll dahin, daß die Fetzen seines frackartigen
Gewandes und die wehenden Bartcoteletten nur so um
ihn her flogen.

Jetzt — jetzt oder nie mußte ich mich meines Schlafes
wieder bemächtigen. Ich versuchte, mich ihm vorsichtig
zu nähern, aber er wich mir aus und hielt sich in Dunst
und Staub in immer gleichmäßiger Entfernung von mir.

Da erfaßte mich eine unsagbare Wuth und Begier
nach dein Burschen; mit mächtigen Sätzen sauste ich ihm
nach, immer wilder hinter ihm her. Jetzt bog er in einen
breiten Waldweg ein, der schnurstracks in das Thal hinab-
lief. Immer ungestümer wurde unsere Jagd - immer ver-
zweifelter. Endlich — seine Kräfte schienen zu ermatten —
die Entfernung zwischen nur und ihm verminderte sich sicht-
lich — von fern her erglänzten schon die weißen Mauern
des Forsthauses — da, da, brach er völlig erschöpft dicht
vor mir zusammen. Wie ein wüthendes Raubthier stürzte
ich mich über meine Beute, rang sie unter mich, unckrallte
sie mit beiden Annen, und — und —- und —

Es dämmerte schon, die Stämme glühten um mich
her in: Abendgolde, als ich erwachte.

Ein Wonnegefühl durchürang mich; selig sog ich die
kühlen Lüste ein; ich hatte meinen Schlaf wieder gefunden.

Durch die Sträucher blinkte es weiß her; eine Dame
kam langsam, sinnend, ein Buch in der l)and, den Seiten-
weg herabgewandelt. (D, Götter, es war Donate l
Sie erkannte mich; meine Gegenwart sagte ihr alles.
Dunkle Röthe überflammte ihr wachsblasses Antlitz. Mein
Schlaf gab nur den Muth der Jugend wieder. Ich bat
sie, sie begleiten zu dürfen. Sie willigte lächelnd ein.
Nicht lange dauerte es, so schlugen wir Seitenwege ein,
erst nach zwei Stunden erreichten wir endlich das Forst-
haus — selig, sehr selig, als Verlobte! —

Es war ihre Sorge um mich gewesen, welche ihr
schlaflose Nächte bereitet hatte.

Seit diesem Abend schliefen wir wieder, jetzt, wie Du
weißt, bereits seit fünf Jahren als glückliche Eheleute,
ohne uns durch das Gebrüll unserer drei sehr lieblichen
Bälge stören zu lassen.

Ich habe meinen Schlaf nie wieder von Angesicht
zu Angesicht gesehen. Er hütet unsere Nächte.

„Und den Dichter?"

Den lassen wir nun auch schlafen. Iuiiu» k°hmey».

Er Stand am Meere, bleich und riesengross.
Erschauernd rauschten seine weiten Flügel,

Wie schwarze Segel von des Windes Stoss,

Und warfen Schatten über Thal und Hügel.

Er stand vereinsamt, stolz und reuelos,

Doch in den tiefen Augenhöhlen brannten
Das Fieber und die Sehnsucht des Verbannten.

Vom Strand herauf zog eine Weiberschaar
Mit gellendem Gekreisch und wildem Singen.

Sie trugen Rosen im ergrauten Haar,

Um ihre dürren Knochenglieder hingen
Die närrisch bunten Fetzen, und es war,

Als wollten sie im Schmuck von jungen Schönen
Die eig’ne scheussliche Gestalt verhöhnen. —

Er kannte diese widrig trunk’ne Brut,

Sein Blick mass Jede spöttisch und verdrossen:
Die hatte einst in seinem Arm geruht,

Und Jene seiner Küsse Gift genossen.

Nur Eine war ihm fremd. Wie Sonnengluth
Fiel ihr um Hals und Brust die gold’ne Mähne,
Und weisser war sie, als der Flaum der Schwäne.

Fast kindlich, voller Neugier, voller Lust
Versanken ihre Augen in den seinen;

Sie trennte von der Schaar sich unbewusst,

Sie rang, sie strebte jubelnd zu dem Einen.

Es lag ihr junges Haupt an seiner Brust,

Die Lippen, sorgenlos und sonder Bangen,
Erschlossen sich in seligem Verlangen.

Doch all’ der Trotz, der ihm im Herzen sass,

All’ seines Grolles, seiner Rachsucht Flammen,
Und all’ der Hohn, der seine Seele frass,

Sie zischten auf, sie ballten sich zusammen
Wie giftgefüllte Schlangen unterm Gras, —

Und, bebend zwischen Hass und Liebesgluthen,
Stiess er das Weib hinunter in die Fluthen.

Er stand am Meere, bleich und riesengross.
Erschauernd rauschten seine weiten Flügel,

Wie schwarze Segel von des Windes Stoss.

Es klang ein Lachen über Thal und Hügel,

Sein Lachen, feindlich, kalt und hoffnungslos:

„Ihr Engelein, sing’t eure Lobchoräle,

Der Teufel rettet eine Menschenseele!" —

PAUL ALTHOF,

498
Register
Paul Althof: Lucifer
Fidus: Zeichnung ohne Titel
[nicht signierter Beitrag]: Vignette
 
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