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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 1.1896, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 32 (8. August 1896)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3224#0087

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Nr. 32

J U G E N D

1896

Zeichnungen von Julius Die.

Frau Beate Stupibitas

Stupiditas, das gesunde Weib.

Saß am Markt und sonnt' ihren Leib.

Thät über dem Bauch die Hände falten
Und feil einen Korb voll Fische halten.

Fett glänzt ihr Haar und breit ihr Scheitel;
Auf ihre Hüften war sie eitel.

Um Hüften saß und Schultern breit
Zun, Platzen glatt ein honettes Kleid.

Schon zwanzig Minuten in guter Ruh
Sah sie einem Grgeldrchcr zu
Und sah die Kurbel sich drehn und dröhn.
Konnte daran nicht satt sich sehn,
hinter den Wangen blank und dick
(tznoll hervor der bleierne Blick.

Die Unterlippe sank so tief.

Daß ihr das Wasser vorn Munde lief.

Mit einem Male „hihi, hnhul"

Lachte sie laut und gluckste dazu;

Denn über den Markt mitWimmern und Schrei'n
Hinkte ein Hündlcin mit blutendem Bein;
Johlende Buben hinterher,

Bewaffnet mit Steinen groß und schwer. —
Kam auch daher eine Nachbarin.

Hatte ein Kind int Bündel drin:

..Ach gute Frau Stupiditas,

Ihr wißt ja doch immer zu allem was;

Seht nur die Augen von meinein Kindl
Wie roth und dick! Es wird noch blind I"
„Bindet Nußschalen drauf, thut Spinnen darein,
Die sangen die Augen blank und rein."
Stupiditas ist früh und spat
Geschwind zur Hand mit klugem Rath;

Die Leute plaudern gar gern mit ihr,

Denn reden kann sie dort und hier.

Der Bürgermeister, der Syndikus
Nicken ihr würdig vertrauten Gruß;

Die Aeltestcn, eh' sie zu Rathe gehen,

Bleiben bei ihr ein Weilchen stehen;

Der Richter und der Staatsanwalt
Machen bei ihrem Korbe Halt
Und forschen, ob sie niemand weiß,

Der der Gbrigkcit geboten den Steiß.

Dem Priester küßt sie den Mantelsaum;

Er sieht sie gern im heiligen Raum;

Der Abgeordnete Schwcnkebier
Holt sich vox populi von ihr,

Und der Professor und Meister der Schule
Läßt einen Dortrag von der Spule.

Behauptet am Schluffe mit schmunzelnder Ruhe:
„Uaber est quisque fortunae suae.“

Stupiditas stöhnt: „Ach Gatt, wie gelehrt!"
Und fühlen beide sich hoch geehrt,

Dann schwärzt sie ihm einen Dorsch mit ein.
Der tödter ist als sein Latein.

Sogar von der Gper der Herr Tenor
singt ihr ein paar Passagen vor;

Ihr Blick verschwimmt in Dampf und Dunst.
Und winselnd haucht sie: „Die Kunst, ach die

Kunst!" —

Was jagt durch die Gaffen mit Ioh und Gho?
Sie bringen einen in Ketten gebunden,

Der hat ein künstliches Brod erfunden,

Für jeden erreichbar! Zu Ende die Nothl
Darum auch schlägt man ihn heute tobt.
Stupiditas, mitten unter der Menge,

Derliert einen Scblarren im Gedränge;

Aber wild-begeistert und heiter
Schlampt sie auf einem Pantoffel weiter.
Wie schwappt ihr Fleischwcrk auf und ab!

Ein Haarschwips hängt bis zuni Kinn herab.
Die Menge rast, die Zähne gefletscht.

Einer erdrückt — ein Andrer zerquetscht —
Ein Dritter unter Nädern zermalmt,

Daß und Blut vom Pflaster qualmt;
Aber es gibt zu schan'n, zu schau'n!

Ein Erfinder wird todtgehau'n!

Der hebt noch beschwörend die Hände und spricht
Und sieht Stupiditas in's Gesicht —

Da erblaßt er tief und verstummt sogleich
Und neigt sich lächelnd dem letzten Streich,
plötzlich vom ander» Ende — ei!

Tatarata und Hochgcschrcil

<£iii weiter Platz, von Menschen erfüllt:

Ein Denkmal wird allda enthüllt.

Stupiditas, mitten in> Schwarme dicht.

Hört zu dem Redner mit sanftem Gesicht:
Hört von des Gefeierten Kampf und Noth.
Bon seiner Sorge nm's liebe Brod,

Wie er vergeblich sein' Kraft verschwendet
Und endlich im Wahnsinn einsam geendet.
Stupiditas machte das Mäulchen klein,

Gleich wie ein sanft, fromm' Mägdelein,
Sprach seufzend zur Nachbarin: „Schrecklich,

nicht?

Wie schwer das Große Bahn sich bricht!"

Da plötzlich wird es ihr licht in, Sinn:

„Ich will's ihr sagen, Gevatterin:

Die Dummheit! Die Dummheit! Wär' die

ans der Welt,

's wär um uns alle besser bestellt!"

Dtto Ernst.
Register
Otto Ernst: Frau Beate Stupiditas
Julius Diez: Zeichnungen ohne Titel
 
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