Nr. 32
JUGEND
1896
;Gezeichnet_von M. Feldbauer.
Pariser Nachtstück
vom 14. Juli*) Qm P10 QUO )
Die Mitternacht ist längst vorbei,
Es ist bereits bald halber Drei,
Weihs früher noch zu laut, ist dies
Gespensterstunde in Paris.
Verstummt ist die fete nationale,
Stumm liegt die Place de l'etoile,
Stumm liegen Kneipen und Cafe’s,
Stumm liegen die Champs Klysees,
Kein Flüstern regt sich im Eoskett,
Sogar die Halbwelt ist zu Bett.
Nur hin und wieder zeigt sich still
Ein spähender sergent de ville.
Im Schlafe liegt das Seinebabel —
Da, horch’, es kommt ein Comfortabel 1
Er rollt heran in müdem 1 rott,
Der Kutscher ruft nicht: Hüh cocotte!
Er schläft auf seiner voiture
Als würde er bezahlt dafür.
Und schläfrig trabt vor dem Gefährt
Rapp’ Tunis, das berühmte Pferd.
Doch huh 1 Wie Du genau erkennst,
Sitzt auf dem Rappen ein Gespenst:
Im halberloschnen Mondenstrahl
Erblickst Du den brav’ gdn£ral.
Bleich siehst Du ihn, den wesenlosen,
In goldnem Käppi, rothen Hosen.
Die Beine hat er ausgespreizt,
Den Schnürrock trägt er gross-bekreuzt.
So reitet er um drei Uhr früh,
Wie einst, revenant de la revue.
Er sieht sich oft und schmerzhaft um,
Denn, ach! es fehlt das Publikum.
Er lauscht gespannt, doch hört er rien
Kein’s ruft: A bas les sales Prussiens!
Kein Zuruf, der das Herz ihm labt,
Der Kutscher schnarcht, der Rappe trabt,
Kein Mensch, der ihm ein Vivat kräht,
Nicht mal der treue Deroulbde.
Stumm liegen Gärten und Cafes,
Stumm liegen die Champs Elysdcs.
So reitet der verfloss’ne Held
Des Nachts durch’s Elysäer Feld
Auf Tunis, dem berühmten Pferd,
Wenn sich der Juli-Festtag jährt.
So reitet er, bis aus dem Busch
Ein Fahrgast ruft: Au rnoulin rouge!
Ein Ruck, ein Schlag, ein Stoss — und jäh
Fährt in die Höh’ der Herr cocher.
Und wie ein Hauch mit einem Mal
Verduftet der brave gLnLral.
Der Bischof von Bonn,
Der ahnt nichts davon
Und geräth zur falschen Audienz;
Statt zum Erben der Krone
Fährt der Kutscher ihn, ohne
Zu fragen, zur Erz-Eminenz.
Trotz Schmerzen im Bein
Lässt dieser ihn ein
Und spricht: „Wer bist Du, mein Sohn?“
Dem andern wird’s heiss,
Er stammelt leis:
„Der Bischof Weber von Bonn;
Und Sie, mein Herr,
Wem hab’ ich die Ehr’
Mich zu empfehlen in Gnaden?“
„Ich leide Schmerz
Am Bein und bin Erz-
Bischof von Freiburg in Baden.“
Bestürzung — Tableau 1 —
Der altkatho-
Lische Bischof Weber von Bonn,
Der wünschet mit Schwung
Gute Besserung,
Dann läuft er auf und davon. A Mo.
') Die Zeitungen berichteten jüngst, dass der alt-
katholische Bischof von Bonn durch ein Versehen seines
Kutschers statt zum Erbgrossherzog von Baden zum Erz-
bischof von Freiburg gelangte, was den Beiden grosse
Verlegenheit bereitete.
•) Wie gemeldet wird, ist Boulangers berühmter Rappe „Tunis“ zur Zeit zum Droschkenpferd herab-
gesunken und zieht den Fiacre No. 7x83
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JUGEND
1896
;Gezeichnet_von M. Feldbauer.
Pariser Nachtstück
vom 14. Juli*) Qm P10 QUO )
Die Mitternacht ist längst vorbei,
Es ist bereits bald halber Drei,
Weihs früher noch zu laut, ist dies
Gespensterstunde in Paris.
Verstummt ist die fete nationale,
Stumm liegt die Place de l'etoile,
Stumm liegen Kneipen und Cafe’s,
Stumm liegen die Champs Klysees,
Kein Flüstern regt sich im Eoskett,
Sogar die Halbwelt ist zu Bett.
Nur hin und wieder zeigt sich still
Ein spähender sergent de ville.
Im Schlafe liegt das Seinebabel —
Da, horch’, es kommt ein Comfortabel 1
Er rollt heran in müdem 1 rott,
Der Kutscher ruft nicht: Hüh cocotte!
Er schläft auf seiner voiture
Als würde er bezahlt dafür.
Und schläfrig trabt vor dem Gefährt
Rapp’ Tunis, das berühmte Pferd.
Doch huh 1 Wie Du genau erkennst,
Sitzt auf dem Rappen ein Gespenst:
Im halberloschnen Mondenstrahl
Erblickst Du den brav’ gdn£ral.
Bleich siehst Du ihn, den wesenlosen,
In goldnem Käppi, rothen Hosen.
Die Beine hat er ausgespreizt,
Den Schnürrock trägt er gross-bekreuzt.
So reitet er um drei Uhr früh,
Wie einst, revenant de la revue.
Er sieht sich oft und schmerzhaft um,
Denn, ach! es fehlt das Publikum.
Er lauscht gespannt, doch hört er rien
Kein’s ruft: A bas les sales Prussiens!
Kein Zuruf, der das Herz ihm labt,
Der Kutscher schnarcht, der Rappe trabt,
Kein Mensch, der ihm ein Vivat kräht,
Nicht mal der treue Deroulbde.
Stumm liegen Gärten und Cafes,
Stumm liegen die Champs Elysdcs.
So reitet der verfloss’ne Held
Des Nachts durch’s Elysäer Feld
Auf Tunis, dem berühmten Pferd,
Wenn sich der Juli-Festtag jährt.
So reitet er, bis aus dem Busch
Ein Fahrgast ruft: Au rnoulin rouge!
Ein Ruck, ein Schlag, ein Stoss — und jäh
Fährt in die Höh’ der Herr cocher.
Und wie ein Hauch mit einem Mal
Verduftet der brave gLnLral.
Der Bischof von Bonn,
Der ahnt nichts davon
Und geräth zur falschen Audienz;
Statt zum Erben der Krone
Fährt der Kutscher ihn, ohne
Zu fragen, zur Erz-Eminenz.
Trotz Schmerzen im Bein
Lässt dieser ihn ein
Und spricht: „Wer bist Du, mein Sohn?“
Dem andern wird’s heiss,
Er stammelt leis:
„Der Bischof Weber von Bonn;
Und Sie, mein Herr,
Wem hab’ ich die Ehr’
Mich zu empfehlen in Gnaden?“
„Ich leide Schmerz
Am Bein und bin Erz-
Bischof von Freiburg in Baden.“
Bestürzung — Tableau 1 —
Der altkatho-
Lische Bischof Weber von Bonn,
Der wünschet mit Schwung
Gute Besserung,
Dann läuft er auf und davon. A Mo.
') Die Zeitungen berichteten jüngst, dass der alt-
katholische Bischof von Bonn durch ein Versehen seines
Kutschers statt zum Erbgrossherzog von Baden zum Erz-
bischof von Freiburg gelangte, was den Beiden grosse
Verlegenheit bereitete.
•) Wie gemeldet wird, ist Boulangers berühmter Rappe „Tunis“ zur Zeit zum Droschkenpferd herab-
gesunken und zieht den Fiacre No. 7x83
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