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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 1.1896, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 33 (15. August 1896)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3224#0104
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Nr. 33

JUGEND

1896

Segne, segne unsere Saaten,

Laß sie Dir zum Preis gerathen.

Bb er mitgebetet. Johannes weiß es nicht.

Jetzt wendet sich der Wog nach rechts und
führt in die neue Straße.

„Dein Klee steht schlecht, Johannes."

„war zu trocken."

„Auch Deine Kartoffeln wollen nicht recht."

„Ist noch zu früh."

„Wie die Sonne sticht."

Johannes hörtnicht, aber Vdenthal schaut
um, er sieht den grauen Wolkenball mit weißen:
Schaum gemischt am Himmel, wie eine kochende
Lohe.

Die Prozession tritt vom Feldweg in die
neue Straße, geht am Hügel vorbei der alten
Straße zu.

„Schönes Haus da drüben."

Johailnes bleibt stumm. An der Ecke hat
er den Altar gebaut. Dasselbe alte Mutter-
gottesbild, derselbe blaue Sammt, dieselbe!:
silbernen Leuchter, so wie sie schon viele Jahre
hindurch an diesen: Tage den: heiligsten ge-
dient.

Und wenn dann am Altäre der Priester
das heiligste den: Hügel zuwa::dte, und die
Blüthon, die Früchte, das hänsche::, Alles im
Sonnengold glänzte, da::n ging ein heiliger
Schauer durch die Seele Johannes', ein über-
irdisches Glücksgefühl.

„Das ist der Segen Gottes, Gott liebt
Deii:en Hügel und Dich."

Schon steht die Prozessio:: am Altäre, die
bunte Schaar der Kinder, das Kreuz, die blauen
Fahnen, die Frauen in ihren farblosen Röcken
und Tüchern, die weißen Mädchen mit den
Lilien. Uebor dem Altäre steht der Baldachin,
fest vor dem Altäre der Priester. Die Männer
kommen, sich um die Ecke wendend.

Der Priester hebt das Allerheiligste, und
die Gemeinde kniet ringsum im Staube.

Drei Mal hebt der Priester die Monstranz
gen Westen, dreimal gen Norden, jetzt zeigt
er sie dem Hügel.

Da, ein Brausen geht durch die Bäume,
die Blätter stiegen, schwarz jagt eine geballte
Wolke am Himmel, dumpf rollt ein Donner.

„Das ist der Fluch des Herrn."

Johannes bebt und tiefer beugt er das
Haupt zur Erde, wieder ein Brausen, ein
Donnern.

Die Kinder eilen, die Frauen laufen durch-
einander, es szerrt die Seide de<Fahnen an

den Stangen, es schwankt der Baldachin, die
Männer murmeln ihre Gebete weiter. So geht
es sch::ell den Weg hinunter. Aengstlich rufen
die Glocken der Kirche.

Einsam steht der Altar, die Lichter sind
erloschen, aber im Staube kniet noch immer
Johannes, allein in Stur:n und Regen.

Abend war es. Weit auf Feld und Weg
schlummerte die Stille, nur aus dem Gehölze
tönte der Gesang der Nachtigall, in den:
schimmernden Riedgras zirpte die Grille, aus
dem Moor guackte der Froschchor.

Zwischen den Baumstämmen des Parkes
am Rande der Landschaft war der goldene

Oie Nacht Ge2- ',on Fid"s-

Purpur geschwunden, wie eine dunkle, feste
Masse hob sich der Park aus der Ebene.

Dunkel stand am neuen Wege die Villa.
Sie, die junge Frau, war allein zu Hause.

Aus dem kleinen Fenster des weißen
Häuschens hatte Johannes den ganzen Nach-
mittag geschaut, immer wieder hin zur Villa.
Er wollte sie nicht sehen und mußte doch
immer wieder Hinschauen. Manchmal schloß
er sein Auge, „kann es kein Traum sein" ?
Dann hob er wieder den Blick, und glaubte
hinausschauen zu können weit über die Felder.
Ls war nicht so; da stand fest und trotzig die
neue Villa.

Da kam er wieder, nicht schleichend, nein,
fest und sicher schritt er über den gelben Weg,
frech trat er in's Haus, wie der Herr selbst.

Johannes fuhr empor, er stürmte in die
Küche zum heerd, als müßte er das Feuer
nehmen und es hinüber schleudern, stürmte in
dei: Garten, ergriff den Spaten, und doch
V kehrte er immer wieder in sein Zimmer
V zurück. — So kam die Nacht heran, über
Allem lag ihr dunkler Schleier, von der
Kirche her schlug die Glocke elf mal, und
elf mal ließ der Kukuk an der Uhr im Stübchen
Johannes' seinen Ruf erschallen.

Da knarrte die Thüre gegenüber. Der
Fremde verließ die Villa, schnell schritt er über
den Sand des Weges, erstieg den Hügel, um
den schmalen dunkeln Pfad zu nehmen. Noch
einmal wendet er den Blick zurück zur Villa,
da schaut er entsetzt in das geisterhafte Antlitz
des Alten. Der Spaten fuhr durch die Luft,
ein rother Streifen züngelte auf, es rauschte
das Gesträuch, es knitterten die Zweige —
dann Stille.

Stille ringsum, die Nacht hielt die Erde
umschlungen.

Da zitterte noch ein Weib in den Träumen
der Liebe — dort lag ein bleiches, todtes Haupt
in: dunklen Strauche.

Endlich entstieg die Sonne dem Nebel, in
ihren Strahlen erglänzte das Kreuz auf der
Kirche, dann schimmerten froh die rothen
Dächer, dann erglühten die Bäume, das Feld,
die Blumen, Alles wie gestern. Bald auch
ruhten die Strahlen auf dem bleichen Antlitz
im Strauche und vergoldeten die blutgefärbten
Blätter.

Die andere Seite des Hügels lag noch grau
und kalt da, mit den wachstropfen der Weihe-
kerzen.

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Register
Fidus: Die Nacht
F. H. [2]: Zeichnung ohne Titel
 
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