1896
JUGEND
Nr. 33
Sie hatte sich das alles
schon zurecht gelegt. „Du
bekommst zwei Stühle und
ich bekomm’ zwei Stühle
— als Wagen. Wir kut-
schiren selbst. Hast Du
nicht die Dame in den An-
lagen gesehen? Die mit
den rothen Haaren? Die
hat auch selbst kutschirt.“
„Ja — aber die Rosen
und die Maiglöckchen?“
fragte ich wieder.
„Du, Harold, — es
brauchen ja keine Rosen und Maiglöckchen
zu sein. Auf der Wies' ist alles voll von gros-
sen Gänseblümchen, und ’ne Masse andere
Blumen ist dort. Ich glaub’, am Müller seiner
Mauer sind auch die Heckenrosen schon auf.“
Das Bild wurde genau in Augenschein
genommen, und es stellte sich heraus, dass
man ganz gut von den Wagen, Pferden, Rosen
und Maiglöckchen absehen könne, und dass
Stühle und Feldblumen zur Nachahmung eines
italienischen Blumencorsos vollständig ausrei-
chen würden.
„Morgen gehen wir auf ,die Wies“, ent-
schied ich.
„Ich nehme ’nen Korb und Du auch“, fügte
sie hinzu „für die Blumen. Wir brauchen kolos-
sal viel.“
„Wenn uns aber der „Knebbes“ erwischt?“
„Ach was — der wird schon Sonntags nicht
da sein.“
Den ganzen Samstag Nachmittag waren wir
in fieberhafter Erregung und sprachen von nichts
als von der Blumenschlacht, die am nächsten Tag
geschlagen werden sollte. Als sie schon in
den Federn lag, rief Ethel noch einmal zu
mir herüber: „Du, Harold — es muss aber |
ein riesiger Haufen Blumen sein, in Deinem |
Wagen und in meinem Wagen.“ — |
Am nächsten Morgen, ganz früh, zogen %
wir aus auf „die Wies’.“ Du warst ja oft
genug mit, auf dem wunderbaren Weideland,
das jetzt längst verbaut ist. Erinnerst Du Dich
noch an den „Müller seine Mauer“ auf der
einen Seite, wo wir immer die Heckenrosen
stahlen? Na— also Ethel und ich steuern
lustig d’rauf los. Zehn Minuten, bevor man
an die Wies’ kam, stand früher das Haus,
wo der „Knebbes“ wohnte. Neulich hab’ ich
ihn noch gesehen: er ist jetzt steinalt. Vor
dem haben wir einen Heidenrespekt gehabt, was? Wenn er
so ankam, im vollen Bewusstsein seiner Amtswürde als Flur-
schütz, seine Uniform von oben bis unten voll von Knöpfen,
prachtvollen Goldknöpfen, denen er seinen schönen Namen
„Knebbes“ im Munde der Jugend verdankte — grimmig
und brummig, mit dem dicken Buch in der Tasche: ’s war
ein Original. Unwillkürlich machten wir Halt vor seinem
Haus und warfen einen scheuen Blick hinüber. Die Fenster-
läden waren geschlossen.
„Siehst Du, Harold“, sagte Ethel triumphirend, „er schläft
noch.“ Ich gab mich zufrieden, und wir stampften muthig
hinein in „die Wies’“, in das schöne, duftende Gras, das uns
fast bis an die Schulter reichte. Es wogte und blühte um
uns her, grün, blau, weiss, und richtig: an dem Müller seiner
Mauer gab es schon Heckenrosen. „Vorwärts“, sagte ich,
und stürzte mich darauf zu. Wir heimsten ein, so viel wir
tragen konnten, ganze Arme voll Blumen. Ethel’s Gesicht
strahlte und leuchtete vor Freude.
„Du, Harold“, rief sie ein über’s andere Mal, „das wird fein!“
„Famos!“ Immer mehr Blumen. Die Körbe waren bis
zum Rande gefüllt.
„Jetzt noch ein paar Heckenrosen oben drauf!“
Ich kletterte auf einen Stein und riss einen prächtigen
Zweig ab. Ethel stand unter mir mit ihrem Korb, um ihn
aufzufangen. Ihre Augen waren ganz verklärt vor Freude.
Auf einmal brüllt eine Stimme dicht hinter mir:
„Gehscht Du runner, Du Lausbu!“
Mit einem Satz bin ich am Boden. An Flucht war nicht
mehr zu denken. Dicht vor uns zitternden Opfern steht der
Knebbes. Seine Knöpfe funkeln drohend im Sonnenlicht,
S3S
JUGEND
Nr. 33
Sie hatte sich das alles
schon zurecht gelegt. „Du
bekommst zwei Stühle und
ich bekomm’ zwei Stühle
— als Wagen. Wir kut-
schiren selbst. Hast Du
nicht die Dame in den An-
lagen gesehen? Die mit
den rothen Haaren? Die
hat auch selbst kutschirt.“
„Ja — aber die Rosen
und die Maiglöckchen?“
fragte ich wieder.
„Du, Harold, — es
brauchen ja keine Rosen und Maiglöckchen
zu sein. Auf der Wies' ist alles voll von gros-
sen Gänseblümchen, und ’ne Masse andere
Blumen ist dort. Ich glaub’, am Müller seiner
Mauer sind auch die Heckenrosen schon auf.“
Das Bild wurde genau in Augenschein
genommen, und es stellte sich heraus, dass
man ganz gut von den Wagen, Pferden, Rosen
und Maiglöckchen absehen könne, und dass
Stühle und Feldblumen zur Nachahmung eines
italienischen Blumencorsos vollständig ausrei-
chen würden.
„Morgen gehen wir auf ,die Wies“, ent-
schied ich.
„Ich nehme ’nen Korb und Du auch“, fügte
sie hinzu „für die Blumen. Wir brauchen kolos-
sal viel.“
„Wenn uns aber der „Knebbes“ erwischt?“
„Ach was — der wird schon Sonntags nicht
da sein.“
Den ganzen Samstag Nachmittag waren wir
in fieberhafter Erregung und sprachen von nichts
als von der Blumenschlacht, die am nächsten Tag
geschlagen werden sollte. Als sie schon in
den Federn lag, rief Ethel noch einmal zu
mir herüber: „Du, Harold — es muss aber |
ein riesiger Haufen Blumen sein, in Deinem |
Wagen und in meinem Wagen.“ — |
Am nächsten Morgen, ganz früh, zogen %
wir aus auf „die Wies’.“ Du warst ja oft
genug mit, auf dem wunderbaren Weideland,
das jetzt längst verbaut ist. Erinnerst Du Dich
noch an den „Müller seine Mauer“ auf der
einen Seite, wo wir immer die Heckenrosen
stahlen? Na— also Ethel und ich steuern
lustig d’rauf los. Zehn Minuten, bevor man
an die Wies’ kam, stand früher das Haus,
wo der „Knebbes“ wohnte. Neulich hab’ ich
ihn noch gesehen: er ist jetzt steinalt. Vor
dem haben wir einen Heidenrespekt gehabt, was? Wenn er
so ankam, im vollen Bewusstsein seiner Amtswürde als Flur-
schütz, seine Uniform von oben bis unten voll von Knöpfen,
prachtvollen Goldknöpfen, denen er seinen schönen Namen
„Knebbes“ im Munde der Jugend verdankte — grimmig
und brummig, mit dem dicken Buch in der Tasche: ’s war
ein Original. Unwillkürlich machten wir Halt vor seinem
Haus und warfen einen scheuen Blick hinüber. Die Fenster-
läden waren geschlossen.
„Siehst Du, Harold“, sagte Ethel triumphirend, „er schläft
noch.“ Ich gab mich zufrieden, und wir stampften muthig
hinein in „die Wies’“, in das schöne, duftende Gras, das uns
fast bis an die Schulter reichte. Es wogte und blühte um
uns her, grün, blau, weiss, und richtig: an dem Müller seiner
Mauer gab es schon Heckenrosen. „Vorwärts“, sagte ich,
und stürzte mich darauf zu. Wir heimsten ein, so viel wir
tragen konnten, ganze Arme voll Blumen. Ethel’s Gesicht
strahlte und leuchtete vor Freude.
„Du, Harold“, rief sie ein über’s andere Mal, „das wird fein!“
„Famos!“ Immer mehr Blumen. Die Körbe waren bis
zum Rande gefüllt.
„Jetzt noch ein paar Heckenrosen oben drauf!“
Ich kletterte auf einen Stein und riss einen prächtigen
Zweig ab. Ethel stand unter mir mit ihrem Korb, um ihn
aufzufangen. Ihre Augen waren ganz verklärt vor Freude.
Auf einmal brüllt eine Stimme dicht hinter mir:
„Gehscht Du runner, Du Lausbu!“
Mit einem Satz bin ich am Boden. An Flucht war nicht
mehr zu denken. Dicht vor uns zitternden Opfern steht der
Knebbes. Seine Knöpfe funkeln drohend im Sonnenlicht,
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