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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 1.1896, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 35 (29. August 1896)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3224#0136
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lfnndspetersilie wäre richtige Petersilie, lind kante an den Stengeln,
kriegte Krämpfe und war bald todt. Sie waren alle mit zur^
Leiche gegangen.

ksuh — das blaffe Mädchen schaudert; es ist ihm kalt, trotz-
dem die Sonne auf den blonden Scheitel scheint, und von dem flachen
Feld hinter'm verfallnen Lattenzaun ein heißer Luftstrom herüber
weht. Jetzt baute der reiche Bamberski Kartoffeln dort, im vorigen
therbst war's Roggenstoppel.

Die Lille hält die magern Finger in den Sonnenstrahl, roth
scheint es unter der welken Haut — ach, da war doch noch Blut
drin, und sie ,»einte schon, sie hätte gar keinen Tropfen mehr im
Leib, immer war ihr kalt, so eiseskaltl Sie schüttelt sich und dann
kauert sie sich zusammen, stemmt die Arme auf die Knie und ver-
birgt den Kopf in den Händen. — — —

Bienaschen's Lille mar krank gewesen — sehr lange — als
sie sich legte, blühte hier der alte Birnbaum, und das Gras stand
im ersten Maigrün. Kein Mensch hätte gedacht, daß sie mit dem
Leben davon kommen würde; die kluge Frau ging in der Hütte
aus und ein. Und was das gekostet hatteI Wenn man auch nicht
viel Wesens machte, allerhand Tränkchen wurden geholt — und
dann das kleine Grab an der Äirchhofsmauer, ein Sarg mußte
doch sein, der Herr Vikar mußte auch mitgehen und der Lantor.
Die Wittwc Bienasch ballte die Faust, wenn sie an Alois Bamberski
dachte, und arbeitete ingrimmig für zwei in ihrem Tagelohn. Und
die Lille — ? die wußte von alledem nichts, lag im Bett in wilden
Fieberphantasien und krallte die Finger in die zerschlissene Decke;
die alte Großmutter saß daneben, wehrte ihr die Fliegen ab und
betete den Rosenkranz.-

Es ist sehr still in dem verwilderten Grasgarten, leise rauscht
der Wind im alten Birnbaum, die Schirlingsdolden nicken; drüben
vom blühenden Kartoffelfeld kommt Vogelgezwitscher —tirili, tirili — /
ein sanftes Schlummerlied.

Fern, ganz fern klingt Tanzmusik.

Die Lille rührt sich nicht.

Da knarrt die Thür der Hütte, ein altes Weib tritt heraus,
legt die Hand über die Augen und blinzelt hin nach dem Birn-

Zeichnung von Hermann Gröber.

bäum. Kopfwackelnd kommt sie näher — eine gebrechliche, runzlige
Alte — tausend Fälschen im Gesichte, der Mund eingeschrumpft,
die Augen ganz versunken. „Lille," sagt sie leise und tippt der
Sitzenden auf den Scheitel — „Lille!"

Die fährt auf — Gott sei Dank, cs war nicht die Mutter, die
schinipfte immer : „Da haste's nun, des kimmt dervon!" — Ls war
die Großmutter! „Großmutter," murmelt sie — „was soll ich?"

„Reinkommen sollste, Kindl" Die Alte streichelt über die blonden
Haare, bückt den gebeugten Rücken noch tiefer und sieht der Enkelin
ins Gesicht. — „Mußt »ich weinen, Lille, weine man nichl Wär'
man erscht gesund — das annere vergißt sich! Die kluge Frau hat
gestern gesagt, Du wärscht nu ge — genesen I" Die Zunge stolpert
über das ungebräuchliche Wort.

„Ich — PI" Das Mädchen will lächeln — der junge Mund
hat das Lächeln verlernt, er zieht sich nur in Falten — müde senkt
es den Kopf zur Seite, bis der an der Brust der Alten liegt.
„Großmutter", flüstert es, „biste böse uf mir? Sag', kann ich noch
eenmal wieder froh wärn?"

„Li, ei" — die Alte wiegt sich hin und her, über ihr runzliges
Gesicht fliegt ein röthlicher Schein — „freilich, freilich! Weißte", —
sie legt ihre welke Backe dicht an die des Mädchens — „is mir er-
gangen wie Dir — Han doch noch en braven Mann gekriegt un
bin noch froh geworden. Des is nu mal nich annersch! Sei froh,
Lille, Du bis nu „genesen", sagt sei"

Schwerfällig steht die Enkelin auf und stützt sich auf den zittern-
den Arm der Großmutter; langsam wanken beide Gestalten der
Hütte zu. —

Im verwilderten Grasgarten ist niemand mehr, die Sonne
verschwunden; es wird Nacht, vom Hochzeitshaus herüber siedelt
die Musik, man hört sie deutlicher durch die Stille. Ueber die Felder
geht der Abendwind — der alte Birnbaum rüttelt sich — da —
patsch! Eine Frucht ist niedergesaust und zerschellt am Stein, d'rauf
die Füße des Mädchens geruht haben.

Sie war wurmstichig.

Aber and're Früchte hängen noch oben, gesunde, feste — die
werden schon gelb.

Nr. 35

» JUGEND *

1896

562
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Hermann Groeber (Gröber): Zeichnung ohne Titel
 
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