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1896

JUGEND

Nr. 35

Die Diener

künftige Verkörperung ausnahmslos durch den Komiker, wenn man
es nicht vielleicht noch vorziehen sollte, sie durch Statisten zn besetzen
Kommerzienräthe, Fabrikherrn re. sind die Bösewichter der Komödie»
und haben schaudervoll zu endigen. Fordert der Konflikt eines Stückes!
daß der Auftritt eines Schutzmanns, einer Militärperson it. dgl- nicht
z» umgehen ist, so wird die Bühne a tempo verdunkelt, und dem In-
stinkt der Zuschauer, Aepfel, Eier und ähnliches auf die Bühne zu
werfen, wird keinerlei Zwang auferlegt. Endlich sind es noch Hosen-
rollen, die entsprechend der Emanzipation des weiblichen Geschlechts,
eine besonders poetische Berücksichtigung finden sollen; ein sechs-aktiges
Lebensbild „Doktorin Faust" ist bereits in Vorbereitung. Auch Opern
werden möglichst oft zu Gehör gebracht werden, da gerade sie im
Stande sind, klar zu machen, was durch eine genügende Anzahl von
Stimmen erreicht werden kann. Am Schluß einer jeden Vorstellung
wird vom Theaterchor die Marseillaise angestimmt und vom Re-
gisseur in englischer Sprache ein Hoch auf die deutsche Kunst aus-
gebracht.

Noch erfahren wir, daß das neue Ensemble, nach Art der
Meininger, zahlreiche Provinzgastspiele plant; am ersten Mai jedoch
findet eine pompöse Festvorstellung statt: es wird eine mehraktige
Posse gegeben, in welcher die Führer und Veranstalter des Ganzen
einige Hauptpartieen übernommen haben; jedem Einzelnen soll die
Rolle aus den Leib geschrieben sein, und so kann es nicht fehlen —
die Täuschung der Menge wird eine vollkommene. Theodor Franckc.

Gedanken von Zeno

Es giebt genug unglückselige Komponisten; ihre Musik ist
zwar nicht direkt entlehnt oder gestohlen, aber sie besteht, lächer-
lich genug, aus lauter Vermeidungen und Ausweichungen; sie
schlängelt sich und sieht uns nicht gerade in die Augen. — Das-
selbe gilt auch von vielen Dichtern und Denkern: sie sind be-
ständig auf der Flucht vor Nachahmungen und Plagiaten und
auf äer Sucht, nach Originalem. Keiner will als Schüler gelten,
keiner nach einem Lehrmeister schmecken.

Durch die dramatische Dichtung nähert sich die redende Kunst
der bildenden, was sich zunächst durch einen Gegensatz kenn-
zeichnet: Diese will Körper beseelen, jene Seelen verkörpern.
Auf ihrem höchsten Gipfel, in der grossen und wahren Kunst
gelingt auch dieses Nachschaffen der Natur. Wir gewinnen er-
schütternde Eindrücke vom Fluss und Leben im Marmor, wie
von hinreissender Naturwahrheit in gedichteten Handlungen. Aber
bei beiden gehört eine gewisse Entfernung des Beschauers da-
zu, um diesen Eindruck zu wahren. Die Künste vertragen das
zu genaue Hinsehen und Betasten nicht; man verdirbt sich den
Zauber und gewahrt, dass der marmorne Körper kein wirkliches
Leben hat, und dass auf der Bühne die Seele des Dichters nicht
in wirklichen Körpern, sondern in leicht zerfliessenden Schemen
wandelt. Kunst kann eben die Natur nicht erreichen, nur ihr
nachschaffen. Also Nachsicht!

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Künstlerische Objektivität ist nicht Ausmerzung, sondern
Ueberwindung des Subjekts, denn wenn zu etwas ein Subjekt und
zwar ein starkes gehört, so ist es eben die Kunst. Aber unter-
worfen soll es sein.

CO

Hart an den Feind und stets die Stirne vorn!

Der Tod am Ende sei Dein heisser Sporn.

Er lehre Dich, statt würdelos verderben,

Im Angriff oder in der Schanze sterben.

Der Feigling schleicht, bis ihn die Zeit zerreibt —-
Du willst ein Held sein, nun, so reite vor.

Den Hammer in der Faust und hinterm. Ohr
Die Taubenfeder, die den Frieden schreibt.

CO

Wie gross, wie befreiend ist doch Arbeit, wahre Arbeit! Das
fühlt erst der Gelähmte.

CO

Freundschaft unter Frauen ist ein Gewächs, von dem man
im August noch nicht weiss, ob es im September süsse oder
bittere Frucht bringt.

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Rudolf Wilke: Die Diener
 
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