JUGEND
1896
Nr. 36
Jugend-Märchen, I
Gez. von Julius Diez.
Die schöne Marizza
Eine Geschichte aus Mähren
von Gustav Morgenstern, Wien.
(Preisarbeit.)
Plimplim, Zimzim, Plimplim, Zimzim!
Das ist Trajan Muntjan, der wackere Lehrer
des Dorfes. Seine Finger gleiten über die
Saiten der Kobsa, und er selbst wirft sehn-
suchtsvolle Blicke zur schönen Marizza hinauf,
die spindeldrehend an dem Fenster sitzt. Sie
würdigt den Musikanten keines Blickes.
»O Marizza, ich bin ein so gebildeter und
gelehrter Mensch, und Du würdigst mich
keines Blickes. So viele Schulen, in die ich
gegangen bin, und Du schaust mich nicht
einmal an ?«
Plimplim, Zimzim, Plimplim, Zimzim!
Der Musikant begann zu singen:
Trauervoller, sehnsuchtsvoller Glockenklang,
Wilde Tauben ziehen an dem Glockenstrang.
Wie das klinget, wie das singet ringsumher!
Ohne Liebe war’ das Leben gar so leer.
Plimplim, Zimzim ! Die Töne verklangen.
»Marizza, Marizza !«
»Was giebt’s?«
»Willst Du mir nicht ein ganz klein wenig
Deine Augen leuchten lassen? So schau’
doch einmal her!«
Und Trajan Muntjan holte aus seiner
Tasche eine Schnur weisser Glasperlen hervor.
»Marizza, magst Du?«
Marizza schlug aber ihr Fenster zu, dass
es nur so klirrte.
Trajan Muntjan, der wackere Lehrer des
Dorfes, seufzte tief auf und schlich traurig
von dannen.
# *
Wiegendes, wogendes, blühendes Feld,
Niemand ist treuer, als ich auf der Welt.
Schwalben, wie Ihr mein Vielliebchen erseht,
Fragt sie doch, fragt, warum sie mich verräth?
Ilia Lupul, der würdige Pope des Dorfes,
sang mit milder Baritonstimme das schöne
Lied, und schaute sehnsuchtsvoll zur schönen
Marizza hinauf, die spindeldrehend an dem
Fenster sass. Der Sänger begann von Neuem:
Grüne Blätter, grüner Mohn,
Geb’ mir alle Mühe,
Dich vergessen kann ich nie,
Nicht für tausend Kühe;
Hätt’ ich einen Ochsenstall,
Gold und Edelsteine,
Alles, Alles gab’ ich her,
Wärst Du nur die Meine.
Die schöne Bäuerin drehte ruhig ihre
Spindel und blickte nicht auf.
»Marizza, Marizza!«
»Was ist denn?«
»Aber ich bitte Dich, schau doch ein
wenig herunter. Geh’ schau’, was ich da habe.«
Und damit zog er aus der Brusttasche
eine ganze Menge gelber, grüner, blauer und
rother Seidenbänder hervor.
»Möchtest Du das haben, Marizza?«
Marizza schlug aber ihr Fenster zu, dass
es nur so klirrte.
Ilia Lupul, der würdige Pope des Dorfes,
zog traurig von dannen.
% ■» *
»Marizza!«
Das war Nicolai Kukoschin, bitte, der
Grundbesitzer, der grosse Herr.
»Ja?« fragte die schöne Marizza.
»Kennst Du mich denn auch, ei, Du mein
süsses Turteltäubchen Du?«
»O ja, ich kenne Dich.«
»Du kennst mich, ei, Du mein kleines
übermüthiges Engelchen Du? Nun also, wer
bin ich denn, ha?«
»Du? Du bist der allerärgste Wirthshaus-
brüder und Schürzenjäger der ganzen Gegend.«
»Getroffen, ei, Du mein liebes, kleines
Kätzchen. Aber ich laufe keiner Schürze
mehr nach, die Du nicht trägst, und nur
unter Deinem Fenster will ich so schöne
Lieder singen, wie nur eine Nachtigall ver-
mag.«
»Oh, Du kannst auch singen?«
»Aber natürlich. Aufgepasst, Du sollst
etwas hören, und wie Schönes noch dazu.«
Und er begann mit gröhlender Bassstimme:
Grüne Blätter, grüner Mohn,
Schönes Weib, gefällst mir schon.
Ach, Dein Auge lockt mich her,
Dich vergess’ ich nimmermehr.
»Nun, ist das ein Lied, Marizza, was?«
»Sehr schön, aber die Nachtigall singt
doch nicht so.«
»Nicht?«
»Nein, aber mein Dimitri hat einen Ochsen,
der brüllt so.«
»O, wie irrst Du Dich! - Und hör’ mir aut
mit Deinem Dimitri! Das ist ein gewöhn-
licher, niedriger Bauer, der Dich gar nicht
werth ist. So ein schönes, reizendes, herr-
liches Weibchen, wie Du. So ein ordinärer
Bauer.«
»Nikolai Kukoschin! Ich habe heute beim
Melken den Henkel von meinem Milchtopf
abgebrochen.<
II
578
Ger., von Julius Di«,
1896
Nr. 36
Jugend-Märchen, I
Gez. von Julius Diez.
Die schöne Marizza
Eine Geschichte aus Mähren
von Gustav Morgenstern, Wien.
(Preisarbeit.)
Plimplim, Zimzim, Plimplim, Zimzim!
Das ist Trajan Muntjan, der wackere Lehrer
des Dorfes. Seine Finger gleiten über die
Saiten der Kobsa, und er selbst wirft sehn-
suchtsvolle Blicke zur schönen Marizza hinauf,
die spindeldrehend an dem Fenster sitzt. Sie
würdigt den Musikanten keines Blickes.
»O Marizza, ich bin ein so gebildeter und
gelehrter Mensch, und Du würdigst mich
keines Blickes. So viele Schulen, in die ich
gegangen bin, und Du schaust mich nicht
einmal an ?«
Plimplim, Zimzim, Plimplim, Zimzim!
Der Musikant begann zu singen:
Trauervoller, sehnsuchtsvoller Glockenklang,
Wilde Tauben ziehen an dem Glockenstrang.
Wie das klinget, wie das singet ringsumher!
Ohne Liebe war’ das Leben gar so leer.
Plimplim, Zimzim ! Die Töne verklangen.
»Marizza, Marizza !«
»Was giebt’s?«
»Willst Du mir nicht ein ganz klein wenig
Deine Augen leuchten lassen? So schau’
doch einmal her!«
Und Trajan Muntjan holte aus seiner
Tasche eine Schnur weisser Glasperlen hervor.
»Marizza, magst Du?«
Marizza schlug aber ihr Fenster zu, dass
es nur so klirrte.
Trajan Muntjan, der wackere Lehrer des
Dorfes, seufzte tief auf und schlich traurig
von dannen.
# *
Wiegendes, wogendes, blühendes Feld,
Niemand ist treuer, als ich auf der Welt.
Schwalben, wie Ihr mein Vielliebchen erseht,
Fragt sie doch, fragt, warum sie mich verräth?
Ilia Lupul, der würdige Pope des Dorfes,
sang mit milder Baritonstimme das schöne
Lied, und schaute sehnsuchtsvoll zur schönen
Marizza hinauf, die spindeldrehend an dem
Fenster sass. Der Sänger begann von Neuem:
Grüne Blätter, grüner Mohn,
Geb’ mir alle Mühe,
Dich vergessen kann ich nie,
Nicht für tausend Kühe;
Hätt’ ich einen Ochsenstall,
Gold und Edelsteine,
Alles, Alles gab’ ich her,
Wärst Du nur die Meine.
Die schöne Bäuerin drehte ruhig ihre
Spindel und blickte nicht auf.
»Marizza, Marizza!«
»Was ist denn?«
»Aber ich bitte Dich, schau doch ein
wenig herunter. Geh’ schau’, was ich da habe.«
Und damit zog er aus der Brusttasche
eine ganze Menge gelber, grüner, blauer und
rother Seidenbänder hervor.
»Möchtest Du das haben, Marizza?«
Marizza schlug aber ihr Fenster zu, dass
es nur so klirrte.
Ilia Lupul, der würdige Pope des Dorfes,
zog traurig von dannen.
% ■» *
»Marizza!«
Das war Nicolai Kukoschin, bitte, der
Grundbesitzer, der grosse Herr.
»Ja?« fragte die schöne Marizza.
»Kennst Du mich denn auch, ei, Du mein
süsses Turteltäubchen Du?«
»O ja, ich kenne Dich.«
»Du kennst mich, ei, Du mein kleines
übermüthiges Engelchen Du? Nun also, wer
bin ich denn, ha?«
»Du? Du bist der allerärgste Wirthshaus-
brüder und Schürzenjäger der ganzen Gegend.«
»Getroffen, ei, Du mein liebes, kleines
Kätzchen. Aber ich laufe keiner Schürze
mehr nach, die Du nicht trägst, und nur
unter Deinem Fenster will ich so schöne
Lieder singen, wie nur eine Nachtigall ver-
mag.«
»Oh, Du kannst auch singen?«
»Aber natürlich. Aufgepasst, Du sollst
etwas hören, und wie Schönes noch dazu.«
Und er begann mit gröhlender Bassstimme:
Grüne Blätter, grüner Mohn,
Schönes Weib, gefällst mir schon.
Ach, Dein Auge lockt mich her,
Dich vergess’ ich nimmermehr.
»Nun, ist das ein Lied, Marizza, was?«
»Sehr schön, aber die Nachtigall singt
doch nicht so.«
»Nicht?«
»Nein, aber mein Dimitri hat einen Ochsen,
der brüllt so.«
»O, wie irrst Du Dich! - Und hör’ mir aut
mit Deinem Dimitri! Das ist ein gewöhn-
licher, niedriger Bauer, der Dich gar nicht
werth ist. So ein schönes, reizendes, herr-
liches Weibchen, wie Du. So ein ordinärer
Bauer.«
»Nikolai Kukoschin! Ich habe heute beim
Melken den Henkel von meinem Milchtopf
abgebrochen.<
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578
Ger., von Julius Di«,