Nr. 37
JUGEND
1896
»»»»» Was der Zigeuner sang:
Als mein Bruder geboren wurde
Ls war eine stürmische, dunkele Nacht,
Und der Regen trommelte auf die Leinwand,
Die Leinwand der wagenplane.
Das rechte Rad des Karrens kreischte,
wenn es herumkam,
Da saß ich in unserm wagen und weinte,
Denn meine Mutter weinte. —
Und im wagen war es kalt, denn cs war
Lin dreieckiger Riß in der plane,
Und wenn man hinaussah,
Sah man die Regentropfen in den Pfützen
springen,
In den Schmntzpfützen des Landwegs.
Und mein Vater raucht' aus der kurzen pfeife,
Die er dem Bauern in Hessen stahl,
Als wir in dem Dorfe waren, wo der Fluß fließt,
Den die Dorfleute „Neckar" nannten
Da schrie meine Mutter, und mein Bruder
wurde geboren,
Und mein Vater goß ihr Schnaps in den Mund,
Und der Mondlichtstrahl durch den Riß
Glitzerte auf der Flasche.
Unser Pferd aber ging still weiter,
Ls hieß Tivadar
Und das rechte Rad des Wagens kreischte, —
wenn es herumkam
Beim Weiterfahren. —
Als wir rasteten
Im westen stieg eine Wolkenbank auf,
Als wir im wirthshaus faßen
Und zu dem kleinen Fenster hinaussahen.
Da war ein Mann,
Der sprach von seinem Hofe und seiner Stube,
In der die Fliegen gegen die Scheiben am
Fenster flogen,
Und seine Frau spann,
Und in dem Schaukelbette sein Knabe lag,
Und er sagte, er wäre zufrieden,
Denn das Getreide des Feldes wäre herein,
Der Winter käme bald, und der knirschende
Schnee,
Und er hätte die heiße Stube, und seine Tochter,
Die wollte ein anderer Bauer heimführen
Und zwei Tage nach Weihnachten wollten sie
backen.
Da war auch ein anderer Mann,
Der nicht so viel Hatto,
Der sagte, er wäre auch zufrieden,
Denn die weiden wären billig gewesen im
Sommer
Und die Körbe theucr,
Die Rosen hätten so schön in seinem
Gärtchen geblüht,
Die er gepflanzt hätte,
Und Holz wäre in seinem Hofe, rechts vor
der Thüre,
Für den ganzen Winter,
Das wäre fein Schatz für die kalte Zeit.
Und er sprach von seinen Kindern,
Lr hatte sechs, —
Und er war sehr, sehr zufrieden!
Da schirrte Vater den Tivadar
An die alten schlechten Ziehstricke,
Und Mutter nahm Bruder und ihre Pfeife
Und setzte fick in's Wagenstroh.
Ich aber ging daneben
Und zählte immer, immer weiter
Die Bäume an der Straße.
Da war einer, der stand im Graben fast
Und hatte zu viel Wasser, und bloße wurzeln,
Der ließ die rothen und gelben Blätter hängen,
weil er keinen Boden hatte.
Und ich dachte an die Dorfleute
Mit ihren Häusern.
Und als ich mich umdrehte nach der Schenke,
Glühte der Abend in den Fenstern,
Und blauer Rauch war über dom Schornstein.
2a stelen die ersten Gewittertropfcn,
— wir fuhren in das Gewitter hinein —
Ich glaube, ich habe geweint I
Als Nehmecs erschlagen wurde
Nehmecs hatte meine Schwester lieb,
Sie trug die rothen Korallen über braunen Schultern
Und ein rothes Kleid. '
Da zankte er mit Vater an dem Kreuzwege,
wo wir lagerten,
Und Vater stieß ihn in's Feuer,
Daß die Scheite knisterten nnd der Kessel übcrlief,
An dem sich Nehmecs verbrannte.
Da würgte Nehmäcs den Vater, bis er todt war,
Und hat ihn hinter einer Lsche begraben.
Und sich an die Lsche gelehnt,
Und ein langes Lied gespielt
Auf seiner braunen Geige.
Da hat Schwester erst geweint und dann gelacht
Und ist mit in seinen wagen gegangen,
Und ich und Mutter und die anderen
wir haben alle braunes Bier getrunken
Die ganze Nacht.
Aber Nehmecs hat gar nichts getrunken
Und immer gespielt.
Die Geige hat geweint und geschluchzt,
weil er so wild spielte-—
Und als die Sonne aufging
Hinter den» Steinbruch
Und über die Weizenfelder schien,
Die am Walde lagen,
Da hat Nehmecs auch Tivadar
An die geflickte Deichsel gespannt,
Und wir zogen dem Schatten des Pferdes nach,
von Vaters Grabe weg,
wo wir so viel Bier tranken.
Und Nehmdcs wagen zog voran,
In dem es ganz still war,
Nur hat manchmal die Geige geklappert
Gegen die Holzreisen,
Ueber denen die Leinwandxlane hing.
Als es aber wieder Abend wurde,
Da war Nehmecs auch todt,
Den meine Schwester vergiftet hatte.
Und sie haben die braune Geige
Mit in das Loch geworfen,
In dem sie ihn verscharrten.
^ 1 1 1 ‘ Börries v. Münchhausen.
59°
JUGEND
1896
»»»»» Was der Zigeuner sang:
Als mein Bruder geboren wurde
Ls war eine stürmische, dunkele Nacht,
Und der Regen trommelte auf die Leinwand,
Die Leinwand der wagenplane.
Das rechte Rad des Karrens kreischte,
wenn es herumkam,
Da saß ich in unserm wagen und weinte,
Denn meine Mutter weinte. —
Und im wagen war es kalt, denn cs war
Lin dreieckiger Riß in der plane,
Und wenn man hinaussah,
Sah man die Regentropfen in den Pfützen
springen,
In den Schmntzpfützen des Landwegs.
Und mein Vater raucht' aus der kurzen pfeife,
Die er dem Bauern in Hessen stahl,
Als wir in dem Dorfe waren, wo der Fluß fließt,
Den die Dorfleute „Neckar" nannten
Da schrie meine Mutter, und mein Bruder
wurde geboren,
Und mein Vater goß ihr Schnaps in den Mund,
Und der Mondlichtstrahl durch den Riß
Glitzerte auf der Flasche.
Unser Pferd aber ging still weiter,
Ls hieß Tivadar
Und das rechte Rad des Wagens kreischte, —
wenn es herumkam
Beim Weiterfahren. —
Als wir rasteten
Im westen stieg eine Wolkenbank auf,
Als wir im wirthshaus faßen
Und zu dem kleinen Fenster hinaussahen.
Da war ein Mann,
Der sprach von seinem Hofe und seiner Stube,
In der die Fliegen gegen die Scheiben am
Fenster flogen,
Und seine Frau spann,
Und in dem Schaukelbette sein Knabe lag,
Und er sagte, er wäre zufrieden,
Denn das Getreide des Feldes wäre herein,
Der Winter käme bald, und der knirschende
Schnee,
Und er hätte die heiße Stube, und seine Tochter,
Die wollte ein anderer Bauer heimführen
Und zwei Tage nach Weihnachten wollten sie
backen.
Da war auch ein anderer Mann,
Der nicht so viel Hatto,
Der sagte, er wäre auch zufrieden,
Denn die weiden wären billig gewesen im
Sommer
Und die Körbe theucr,
Die Rosen hätten so schön in seinem
Gärtchen geblüht,
Die er gepflanzt hätte,
Und Holz wäre in seinem Hofe, rechts vor
der Thüre,
Für den ganzen Winter,
Das wäre fein Schatz für die kalte Zeit.
Und er sprach von seinen Kindern,
Lr hatte sechs, —
Und er war sehr, sehr zufrieden!
Da schirrte Vater den Tivadar
An die alten schlechten Ziehstricke,
Und Mutter nahm Bruder und ihre Pfeife
Und setzte fick in's Wagenstroh.
Ich aber ging daneben
Und zählte immer, immer weiter
Die Bäume an der Straße.
Da war einer, der stand im Graben fast
Und hatte zu viel Wasser, und bloße wurzeln,
Der ließ die rothen und gelben Blätter hängen,
weil er keinen Boden hatte.
Und ich dachte an die Dorfleute
Mit ihren Häusern.
Und als ich mich umdrehte nach der Schenke,
Glühte der Abend in den Fenstern,
Und blauer Rauch war über dom Schornstein.
2a stelen die ersten Gewittertropfcn,
— wir fuhren in das Gewitter hinein —
Ich glaube, ich habe geweint I
Als Nehmecs erschlagen wurde
Nehmecs hatte meine Schwester lieb,
Sie trug die rothen Korallen über braunen Schultern
Und ein rothes Kleid. '
Da zankte er mit Vater an dem Kreuzwege,
wo wir lagerten,
Und Vater stieß ihn in's Feuer,
Daß die Scheite knisterten nnd der Kessel übcrlief,
An dem sich Nehmecs verbrannte.
Da würgte Nehmäcs den Vater, bis er todt war,
Und hat ihn hinter einer Lsche begraben.
Und sich an die Lsche gelehnt,
Und ein langes Lied gespielt
Auf seiner braunen Geige.
Da hat Schwester erst geweint und dann gelacht
Und ist mit in seinen wagen gegangen,
Und ich und Mutter und die anderen
wir haben alle braunes Bier getrunken
Die ganze Nacht.
Aber Nehmecs hat gar nichts getrunken
Und immer gespielt.
Die Geige hat geweint und geschluchzt,
weil er so wild spielte-—
Und als die Sonne aufging
Hinter den» Steinbruch
Und über die Weizenfelder schien,
Die am Walde lagen,
Da hat Nehmecs auch Tivadar
An die geflickte Deichsel gespannt,
Und wir zogen dem Schatten des Pferdes nach,
von Vaters Grabe weg,
wo wir so viel Bier tranken.
Und Nehmdcs wagen zog voran,
In dem es ganz still war,
Nur hat manchmal die Geige geklappert
Gegen die Holzreisen,
Ueber denen die Leinwandxlane hing.
Als es aber wieder Abend wurde,
Da war Nehmecs auch todt,
Den meine Schwester vergiftet hatte.
Und sie haben die braune Geige
Mit in das Loch geworfen,
In dem sie ihn verscharrten.
^ 1 1 1 ‘ Börries v. Münchhausen.
59°