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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 1.1896, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 37 (12. September 1896)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3224#0170

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Nr. 37

JUGEND

1896

Allerlei Liebe

Von Ludwig Jacobowsky.

„ . . . Unsre grössten dichterischen
Schöpfungen, wie die Besiegung der Natur-
kräfte durch die menschliche Intelligenz,
sind die letzten Beweise dafür, dass der
Mensch die höchste Stufe auf der grossen
Entwicklungsreihe mit Recht verdient. Sein
ist die Erde und wird es bleiben!“, schloss
der alte Professor seine Auseinander-
setzung. „Aber ich glaube, Kind, ich habe
Dich gelangweilt. Ich werde Kurt holen!“
Er lächelte ein wenig, indess seine milden
Augen auf dem feinen, schmalen Gesicht
seiner Schwiegertochter ruhten.

„Du hast einen abscheulichen Menschen
zum Sohn, Papa. Jetzt angelt er schon
eine ganze Stunde drüben am Teufelssee
und kümmert sich nicht um mich!“

„Wir wollen ihn holen, Lili!“

„Nicht doch, Papa! Ich werde ihm nach-
her sagen, dass sein Vater ein zehnmal
besserer und hundertmal gescheidterer
Mensch ist, als sein grosser Sohn!“

Ehe der Professor ein Wort der Ab-
wehr entgegnen konnte, nahm sie das Ge-
spräch wieder auf. „Eins hast Du vergessen,
mein gelehrter Papa. Noch etwas anderes
stellt den Menschen hoch über Stein und
Pflanze und Thier: das ist die Liebe!“
Und als sie ein leises Lächeln in seinen
Mundwinkeln sah, erröthete sie ein wenig,
warf die blonden Locken zurück und fuhr
hastig fort: „Du lachst mich dummes Ding
gewiss aus, weil ich erst vier Monate ver-
heiratet bin!“

„Nein, Lili, das ist es nicht, worüber
ich mich ganz im Geheimen freue. Sondern,
dass ein Weib, wenn es liebt, in seiner
eigenen Liebe den Höhepunkt der ganzen
irdischen Schöpfung sieht!“

„Aber Papa, ich meinte es nur ganz
allgemein!“ klang es etwas zaghaft zurück.

„Und auch allgemein gedeutet hast Du
nicht Recht. Ich will nicht von den Thieren
niederer Art sprechen. Deren Zuneigung
zu einander soll man nicht Liebe nennen,
obschon uns auch diese viel Räthsel auf-
gegeben. Da gibt es eine Art Wesen, die
sich bei lebendigem Leibe von ihrer jungen
Brut aufzehren lassen. Für sie bedeutet
Liebe zu einem anderen Geschöpf ihrer Art
einfach: grausamster Tod. Und was in
ihrem seelischen Leben dabei vorgeht, ent-
zieht sich unserer Einsicht, und so will ich
von ihnen absehen. Aber eine kleine Ge-
schichte will ich Dir erzählen, die Dir zeigen
wird, ob nur—junge Frauen lieben können!“
Auf der Terrasse der kleinen Villa in
Lanke, auf der der Professor Lorenzen mit
seiner Schwiegertochter sass, hatten sich
jetzt zwei Spatzen niedergelassen und
näherten sich mit kecken Stössen dem
kleinen gelben Rohrtisch, von dem ein paar
Brotkrumen heruntergefallen waren. Jetzt
pickte der grössere Spatz ein rundes Stück
auf. Als er es wieder fallen liess, hackte
der Schnabel des anderen darnach, und
mit raschem Fluge hob er sich in die Luft,
indess sein Gefährte ihm wie geärgert
nachzwitscherte.

September Gez. V011 Jul>us Diez-

„Solche Rangen wie die beiden Spatzen
waren meine Zwerg-Papageien nicht, von
denen ich Dir erzählen will. Spatzen
haben ja gar keine Ahnung von ehelicher
Treue. Wird ein Spatzen-Eheherr Morgens
erschossen, so hat die trauernde Wittwe
Nachmittags einen neuen Gatten!“

„Und wenn die Spätzin getödtet wird...“,
warf die junge Frau ein. Sie that, als ob
es sie ärgerte, dass die Spätzin eine so
treulose Wittwe war. Ihr Zweck war er-
reicht, denn der Professor nickte ihr la-
chend zu:

„Der schliesst schon nach ein paar
Stunden einen neuen Ehebund. Da war
mein Papageipärchen von anderem Schlage.
Du weisst, dass ich zum Zwecke ornitho-
logischer Studien früher eine stattliche
Anzahl Vögel beobachtet habe, und ich
muss ehrlich gestehen, dass ich meine
Kenntniss der menschlichen Seele — es
mag apart klingen — durch Kenntniss
des Vogellebens erweitert habe. In einem
geräumigen Käfig hielt ich mir jenes Pär-
chen. Das waren ein paar hübsche Dinger.
So gross wie die Spatzen, die Du eben
gesehen hast, nur leuchtend grasgrün mit
hübschen rothen Schwanzfedern. Es sah
sehr drollig aus, wenn sie eng aneinander
gedrückt auf der Stange sassen und mich
anguckten, sobald ich ihnen frisches Wasser
reichte. Was will Menschenehe gegen
die Liebe besagen, die sie einander er-
wiesen? Gab ich ihm Futter, so ass sie
mit, und pickte sie ihre Nahrung auf, nahm
er flugs daran theil. Nie ass einer von
beiden allein. Badete sie sich in dem
kleinen Napf, hockte er daneben und ver-
folgte jede ihrer Bewegungen aufmerksam.
Immer gab es getheilte Freude, aber auch
getheilten Schmerz. Schrie das Männ-
chen einmal und sperrte den Schnabel
auf, flugs war sie dabei, und ihr Schreien
klang dann ebenso tapfer oder resignirt.
Wenn er krank war und apathisch die
Flügel hängen liess, nur manchmal ein
paar’ Klagelaute von sich gab, schrie sie
kläglich mit, hüpfte vor ihm her und füt-
terte ihn mit Aufopferung und Gewissen-
haftigkeit. Was sie dabei selber ass, habe
ich kaum sehen können, mir schien, als
hätte sie Freude genug, zuzuschauen, wie
es ihm schmeckte, und dann sprang sie
auf und ab, zierlich und besorgt, und ihr
Kinn glänzte doppelt so roth. Zwei Jahre
lang habe ich sie gepflegt und mit gleich
tiefer Antheilnahme. Denn in ihrer Lie-
be sah ich nur einen Hauch von jener
allgemeinen Leidenschaft, wie sie der
Mensch empfindet. Nichts anderes. Und
es wäre noch eine Doktorfrage, ob nicht
die Stärke der Liebe bei diesen Vögeln
im Verhältniss zu ihrem winzigen Seelen-
und Vorstellungsleben bei weitem tiefer
und gewaltiger ist, als in der höchsten
Liebe der Menschen zu einander. Des-
halb habe ich damals meiner jungen Frau
gesagt — sie war so blond wie Du, Lili,
aber nicht so sehr grande dame, sondern
mehr ein sanftes Hausmütterchen — und
da kam so recht ihre Hausfrauennatur zum
Vorschein. —: ,Sieh nur1, sagte ich, ,wenn

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