1896
JUGEND
Nr. 39
Am sechsten Tag war alles fix und fertig.
Der Baumeister ging noch einmal treppauf
treppab, besah sich Alles genau und war
sehr zufrieden. Er schmückte das Haus
mit Blumengewinden, steckte eine grosse
Fahne auf das Dach und blies mit einer
Posaune vom Thurm nach Nord und Süd,
nach Ost und West.
Es dauerte nicht lange, da kamen auf
allen Strassen die Karossen angefahren,
die Kutscher hielten vor dem grossen Por-
tal, das sich öffnete, und viele Herren und
Damen traten ein, von dem Baumeister
herzlich willkommen geheissen. Nur we-
nige reisten wieder zurück, die meisten
blieben da, so gut gefiel es ihnen. Am
besten gefiel es dem Grafen Adam von
Pardeis und einer schönen Indierin, die den
seltsamen Namen Chavvah Ischa führte.
Die beiden waren die ersten Gäste des
Königs in dem stolzen Palaste und blieben
immer da.
Ja, ein König herrschte über alle, der
sass auf einem prächtigen Thron, rings
umgeben von seinen Vasallen und Tra-
banten.
Auf dem Haupte trug er eine güldene
Krone, in der rechten Hand das Szepter,
in der linken den Reichsapfel, von der
Schulter herab wallte ein herrlicher Her-
melinmantel in grandiosen Falten. Zu
den Füssen des Thrones aber sass der
Hofnarr und machte Witze. Er sagte, die
Krone sei gar nicht von Gold, sondern
von Zeitungspapier, das Szepter sei ein
Kochlöffel, der Hermelinmantel sei eine
aite Pferdedecke und der Reichsapfel eine
Borstorfer Frucht, die der König von der
schönen Indierin erhalten habe.
Der König lächelte mild zu den dienst-
lichen Spässen des Hofnarren. Als dieser
aber plötzlich ein tüchtiges Stück aus dem
Reichsapfel herausbiss, geruhte der König,
ihm allerhöchstselbst das Szepter wuchtig
um die Ohren zu schlagen. Herrlich an-
zuhören waren die Lieder, die der Hof-
sänger vortrug. Dieser begabte Mann
gehörte der allerneuesten Richtung an.
Statt eines Notenblatts hielt er den Lokal-
anzeiger in der Hand und sang dem Hof
Geschäftsempfehlungen, Versteigerungen
und Börsennachrichten vor, und das so
schön und so erhebend, dass das entzückte
kunstverständige Publikum immer mehr
von ihm hören wollte.
Das machte allerdings den Hofdichter,
der — nach seinen langen Haaren zu ur-
theilen — sehr genial veranlangt war
nicht wenig eifersüchtig, und er benützte
die Pause, während welcher der Sänger
sich die Thränen der Rührung trocknete,
um mit der Rezitation seines neuesten
Gedichtes zu beginnen. Der Hofpoet
dichtete in Volapük, was natürlich kein
Mensch verstand. Aber gerade darin lag
das Geheimniss seines Erfolges. Alle
sahen sich entzückt an und flüsterten: Ach
wie herrlich, wie göttlich, wie zart em-
pfunden, wie wahr, wie tief!
Dort stand eine Gruppe gelehrter
Männer in tiefsinnigem Gespräch. Der
eine zeigte an einer Tafel die Quadratur
des Zirkels. Der andere hatte aus Karten-
blättern und Streichhölzern ein Modell
des von ihm erfundenen perpetuum mobile
hergestellt und erklärte dasselbe seinen
Nachbarn, die ihm mit achtungsvollem
Lächeln ihr Ohr liehen, und wirklich, das
Rädchen drehte sich fortwährend, so lange
der Erfinder daraufblies. Ein dritter stand
auf einem Stuhl und hielt einen Vortrag
über die von ihm gefundene Lösung der
socialen Frage. Diese ebenso sinnige wie
einfache Lösung bestand in der Ausprä-
gung von Zwanzigmarkstücken in Kupfer.
Der vierte im Bund war ein Theologe,
der ein Hühneraugenpflaster erfunden hatte.
Mit diesem heilte er alle menschlichen
Gebrechen, worüber erTausende von Zeug-
nissen aufweisen konnte.
Einem Kriegsobersten, den seine strate-
gischen Studien zur Gründung einer wasser-
dichten Universalreligion geführt hatten,
hielt ein berühmter Schriftsteller einen
Vortrag aus seiner Brochüre „Heber die
Bedeutung des Kommas in Wagners Nibe-
lungentrilogie.“
Nebenan beugten sich drei Minister
über eine grosse Tafel, auf welcher sich
eine Erdkarte befand. Sie beschäftigten
sich mit Grenzregulirungen. Jeder hatte
einen Pinsel mit Farbe in der Hand, der
eine mit gelber, der andere mit rother,
der dritte mit blauer Farbe. Anfangs ging
alles gut, so lange der Eine in Australien,
der Andere in Afrika, der Dritte im Süd-
pol herum malte. Als sich aber die Pinsel
in Europa in die Quere kamen, da sprachen
sie viel von historischer Berechtigung und
europäischem Gleichgewicht, kamen in
heftigen Streit, zerrissen die Karte und
fuhren sich mit der Farbe in’s Gesicht.
Das war ein grosser Skandal, und der
Hofnarr, der gleichzeitig Redakteur der
„Reichsposaune“ war, musste zur Beruhi-
gung Aller mit lauter Stimme verkünden,
dass die Kabinette sich in vollster, unge-
trübtester Uebereinstimmung befänden.
Die kleine Meinungsdifferenz sei eine rein
sachliche und nicht der Rede werth ge-
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JUGEND
Nr. 39
Am sechsten Tag war alles fix und fertig.
Der Baumeister ging noch einmal treppauf
treppab, besah sich Alles genau und war
sehr zufrieden. Er schmückte das Haus
mit Blumengewinden, steckte eine grosse
Fahne auf das Dach und blies mit einer
Posaune vom Thurm nach Nord und Süd,
nach Ost und West.
Es dauerte nicht lange, da kamen auf
allen Strassen die Karossen angefahren,
die Kutscher hielten vor dem grossen Por-
tal, das sich öffnete, und viele Herren und
Damen traten ein, von dem Baumeister
herzlich willkommen geheissen. Nur we-
nige reisten wieder zurück, die meisten
blieben da, so gut gefiel es ihnen. Am
besten gefiel es dem Grafen Adam von
Pardeis und einer schönen Indierin, die den
seltsamen Namen Chavvah Ischa führte.
Die beiden waren die ersten Gäste des
Königs in dem stolzen Palaste und blieben
immer da.
Ja, ein König herrschte über alle, der
sass auf einem prächtigen Thron, rings
umgeben von seinen Vasallen und Tra-
banten.
Auf dem Haupte trug er eine güldene
Krone, in der rechten Hand das Szepter,
in der linken den Reichsapfel, von der
Schulter herab wallte ein herrlicher Her-
melinmantel in grandiosen Falten. Zu
den Füssen des Thrones aber sass der
Hofnarr und machte Witze. Er sagte, die
Krone sei gar nicht von Gold, sondern
von Zeitungspapier, das Szepter sei ein
Kochlöffel, der Hermelinmantel sei eine
aite Pferdedecke und der Reichsapfel eine
Borstorfer Frucht, die der König von der
schönen Indierin erhalten habe.
Der König lächelte mild zu den dienst-
lichen Spässen des Hofnarren. Als dieser
aber plötzlich ein tüchtiges Stück aus dem
Reichsapfel herausbiss, geruhte der König,
ihm allerhöchstselbst das Szepter wuchtig
um die Ohren zu schlagen. Herrlich an-
zuhören waren die Lieder, die der Hof-
sänger vortrug. Dieser begabte Mann
gehörte der allerneuesten Richtung an.
Statt eines Notenblatts hielt er den Lokal-
anzeiger in der Hand und sang dem Hof
Geschäftsempfehlungen, Versteigerungen
und Börsennachrichten vor, und das so
schön und so erhebend, dass das entzückte
kunstverständige Publikum immer mehr
von ihm hören wollte.
Das machte allerdings den Hofdichter,
der — nach seinen langen Haaren zu ur-
theilen — sehr genial veranlangt war
nicht wenig eifersüchtig, und er benützte
die Pause, während welcher der Sänger
sich die Thränen der Rührung trocknete,
um mit der Rezitation seines neuesten
Gedichtes zu beginnen. Der Hofpoet
dichtete in Volapük, was natürlich kein
Mensch verstand. Aber gerade darin lag
das Geheimniss seines Erfolges. Alle
sahen sich entzückt an und flüsterten: Ach
wie herrlich, wie göttlich, wie zart em-
pfunden, wie wahr, wie tief!
Dort stand eine Gruppe gelehrter
Männer in tiefsinnigem Gespräch. Der
eine zeigte an einer Tafel die Quadratur
des Zirkels. Der andere hatte aus Karten-
blättern und Streichhölzern ein Modell
des von ihm erfundenen perpetuum mobile
hergestellt und erklärte dasselbe seinen
Nachbarn, die ihm mit achtungsvollem
Lächeln ihr Ohr liehen, und wirklich, das
Rädchen drehte sich fortwährend, so lange
der Erfinder daraufblies. Ein dritter stand
auf einem Stuhl und hielt einen Vortrag
über die von ihm gefundene Lösung der
socialen Frage. Diese ebenso sinnige wie
einfache Lösung bestand in der Ausprä-
gung von Zwanzigmarkstücken in Kupfer.
Der vierte im Bund war ein Theologe,
der ein Hühneraugenpflaster erfunden hatte.
Mit diesem heilte er alle menschlichen
Gebrechen, worüber erTausende von Zeug-
nissen aufweisen konnte.
Einem Kriegsobersten, den seine strate-
gischen Studien zur Gründung einer wasser-
dichten Universalreligion geführt hatten,
hielt ein berühmter Schriftsteller einen
Vortrag aus seiner Brochüre „Heber die
Bedeutung des Kommas in Wagners Nibe-
lungentrilogie.“
Nebenan beugten sich drei Minister
über eine grosse Tafel, auf welcher sich
eine Erdkarte befand. Sie beschäftigten
sich mit Grenzregulirungen. Jeder hatte
einen Pinsel mit Farbe in der Hand, der
eine mit gelber, der andere mit rother,
der dritte mit blauer Farbe. Anfangs ging
alles gut, so lange der Eine in Australien,
der Andere in Afrika, der Dritte im Süd-
pol herum malte. Als sich aber die Pinsel
in Europa in die Quere kamen, da sprachen
sie viel von historischer Berechtigung und
europäischem Gleichgewicht, kamen in
heftigen Streit, zerrissen die Karte und
fuhren sich mit der Farbe in’s Gesicht.
Das war ein grosser Skandal, und der
Hofnarr, der gleichzeitig Redakteur der
„Reichsposaune“ war, musste zur Beruhi-
gung Aller mit lauter Stimme verkünden,
dass die Kabinette sich in vollster, unge-
trübtester Uebereinstimmung befänden.
Die kleine Meinungsdifferenz sei eine rein
sachliche und nicht der Rede werth ge-
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