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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 1.1896, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 39 (26. September 1896)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3224#0195

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Nr. 39

1896

. JUGEND •

wesen, und die Beziehungen zu den aus-
wärtigen Mächten seien die allerbesten.

Der Hofmaler, welcher der Schule der
„Jungen“ angehörte, stellte sein aller-
neuestes Gemälde aus. Er hatte auf einen
riesigen Rahmen ein Stück Leinwand ge-
spannt und dasselbe von oben bis unten
mit Theer angestrichen. Die Kunst-
verständigen bewunderten das Gemälde
in begeisterten Worten. „Welch herrliches
Stillleben!“ sagte der Eine, — „diese
Ananas, und die Trauben, und der halbe
Hummer und die Fliege auf dem Wein-
glas, herrlich!“ Ein Anderer sagte: „Eine
prachtvolle Landschaft! Nein, welch ein
Baumschlag, welch durchsichtiger, blauer
Himmel, man riecht förmlich Frühling
und Waldluft!“ Der Dritte meinte, er
habe noch niemals eine Schlacht so
packend und wahrheitsgetreu dargestellt
gesehen, namentlich der rauchlose Pulver-
dampf und der linke Stiefel des Kanoniers
im Vordergrund seien tief empfunden.
Der Hofnarr aber trat zum Maler und
lobte das Portrait über die Massen, die
Aehnlichkeit sei überraschend, die Auf-
fassung des Charakters geistvoll, die Kar-
nation eine stupende. „Aber sagen Sie
mir“, setzte der Hofnarr vertraulich hin-
zu, „wen soll das Bild eigentlich vor-
stellen?“ Der Maler war mit seinem Er-
folg sehr zufrieden und rief: „Meine Herr-
schaften, Sie haben alle Recht, mein Bild
ist Stillleben und Landschaft, Historie und
Porträt. Jeder kann darin sehen, was er
zu sehen wünscht. Aber das gehört ja
gerade zu den Aufgaben und erhabenen
Zielen der allerneuesten Richtung, dass
sie der Phantasie des Beschauers sowenig
wie der des Künstlers Zügel anlegt.“
„Und wie nennen Sie das Bild?“ fragte
ein alter General. „Das Bleibende im
Wechselnden !“ antwortete der vortreffliche
Mann. Der General nickte beifällig und
wurde gleich von einem Philologen mit
Beschlag belegt, der auf einem
Tische eine Bleisoldatenschlacht
aufgestellt hatte und nach seinen
erschöpfenden Forschungen kei-
nen Zweifel mehr darüber hegte,
dass der grosse Friedrich und
der grosse Napoleon taktische
Stümper gewesen seien, welche
eben nur manchmal Glück gehabt
hätten.

Dort hatte ein Bildhauer seine Werk-
stätte aufgeschlagen. Auch er gehörte der
allerneuesten Schule an, nämlich der Schu-
le, welche die Technik vollständig ver-
achtet und nur auf den geistigen Gehalt
des Kunstwerks sieht. Der Künstler ver-
schmähte infolgedessen die Verwendung
von roher Materie und trug alle seine
Bildwerke nur im Kopfe. Dies hatte den
Vortheil, dass seine Thonmodelle nicht
eintrockneten, und seine Marmorstatuen
zur Winterszeit nicht in Stroh gebunden
zu werden brauchten, dagegen den Nach-
theil, dass seine Bronzefiguren nicht pati-
niren wollten. Es war gerade hoher Be-
such im Atelier, und der Bildhauer führte
in begeisterten Beschreibungen alle seine
Werke vor. Der König blieb namentlich
lange voreinem bezaubernden Venus-Torso,
der nur noch aus der Spitze des kleinen
Fingers der linken Hand bestand, in Be-
trachtung versunken und meinte, es wäre
doch eine dankbare Aufgabe für die Kunst,
diesen Torso zu ergänzen.

Viele der gelehrten Männer hielten sich
gänzlich zurückgezogen und lebten in La-
boratorien und Büchereien nur ihren
Wissenschaften. So ein Mathematiker, der
nach 27 jährigem Studium herausgefunden
hatte, dass zweimal zwei nicht vier, sondern
fünfeindrittel sei. Und er konnte das haar-
scharf beweisen. Dann ein Astronom, der
hatte sich ein ganzes Herbarium von ge-
pressten und getrockneten Sternen angelegt.
Ein berühmter Chemiker hatte gefunden,
dass durch Einwirkung von Schwefelsäure-
Anhydrid auf Tetrachlorkohlenstoff Gänse-
blümchen entständen. Er destillirte den
ganzen Tag Gänseblümchen. Als einmal
die Einwirkung '/„ Sekunde zu lange ge-
dauert hatte, da waren statt der Gänse-
blümchen Fleischpasteten entstanden, und
nun machte er immer Fleischpastetchen,
die köstlich dufteten und bei Hofe sehr
beliebt waren.

Eines Abends, als’Mer König seine Ge-
treuen um sich versammelte, und sich ge-
rade Alle tief vor ihm verneigten, bemerk-
te er, dass ein Mann, den er bis jetzt noch
nicht gesehen hatte, aufrecht stehen blieb.
Da rief er ihm zu, er solle sich auch ver-
neigen. Der aber, ein Mann von majestä-
tischem Ansehn, mit einer umfangreichen
Krone auf dem Haupte, sagte: „Ich bin es,
der auf Deine Höflichkeit Anspruch hat,
denn ich bin ein Kaiser, während Du nur
ein König bist.“ Und richtig, es war ein
Kaiser, was schon daraus hervorging, dass
die Gesinnungstüchtigsten von des Königs
Gefolge sich gleich auf die Seite des Neu-
angekommenen stellten. Rasch wurde aus
der Rumpelkammer noch ein Thron ge-
holt und neben den andern Thron ge-
stellt. Der Kaiser wollte sich aber nicht
daraufsetzen, weil er einen höheren Thron
haben wollte als der König, und so wurde
er, der Thron nämlich, in aller Raschheit
um zwölf Zoll vorgeschuht; Alles war zu-
frieden, und es gab keinen Krieg. Nur der
Hofnarr flüsterte dem König in’s Ohr, der
Andere wäre gar kein Kaiser, denn seine
Krone wäre nur ein gestrickter, auswattirter
Kaffeewärmer. Der König aber verwies
ihn zur Ruhe. — Herrliche Tage, herrliche
Feste! Alles war vereinigt, was im Leben
gross, edel, herrlich und erhaben ist, die
Blüthen der Ritterlichkeit, Vertreter der
Kraft, Heroen des Geistes, Meister der
Seele, Leuchten der Wissenschaft, Jünger
der Kunst, Helden der Feder!

„Fürwahr“, dachte der stolze Palast,
„das goldene Zeitalter ist angebrochen,
und ich bin auserwählt, dessen Träger zu
sein. Jetzt bringen sie auch noch einen
Sinnspruch über meinem Portal an. Wie
schade, wie schade, dass ich ihn nicht
selber lesen kann. Aber es muss ein herr-
licher Sinnspruch sein, der mich selber
und alle diejenigen ehrt, welche ich in
meinen Mauern beherberge.“ —

Als Peer Gynt in die Fremde
zog, und seine Mutter Aase ihn
ein Stück Wegs begleitete, kamen
sie an dem Palast vorüber. „Was
steht da oben über dem Thor an-
geschrieben ?“ fragte die des Le-
sens unkundige Mutter.

Und Peer Gynt buchstabirte:
„N-a-r Nar, r-e-n ren, h-a-u-s
NARRENHAUS.“

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Julius Diez.
Register
Otto Eckmann: Zierleiste
Julius Diez: Zeichnung zum Text "Der Palast"
 
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