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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 1.1896, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 40 (3. Oktober 1896)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3224#0210
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Nr. 40

JUGEND

1896

dagegen an; sie wollte nicht mit; sie
öffnete halb die Augen. Ja! da war noch
ihr Stübchen, aber auch dieses schien
fremd und wesenlos. Vroni seufzte: „Also
das war das Sterben!“ Oder war sie schon
gestorben? Eine widerstandslose Schlaff-
heit kam über sie, und die that wohl.
„Heilige Maria, bitt für uns!“ betete sie.
Heber ihr, über der grauen Welt stand
der Stern, und — da war auch die Mutter-
gottes im blauen Mantel drüben von der
Kirche, zu der Vroni das Wachsherz hinaus-
getragen hatte. Licht und rosig stand sie
unter dem Stern, jetzt aber sank Vroni;
schnell ging es abwärts. Der Stern und
die Muttergottes wurden ganz klein, —
hinab — hinab -— und es wurde so finster
und kühl; das war der Tod.

Vroni schauerte in sich zusammen,
sie fühlte es kalt über Arme und Brust
hinstreichen und erwachte. Grelles, rothes
Licht umflimmerte sie. Sie schloss die
Augen wieder und lag regungslos da. Der
Kopf schmerzte, und die Glieder waren
wie zerschlagen, als hätte sie einen weiten
Weg gemacht. Es schien ihr auch, als
wäre sie weit fortgewesen und als könnte
sie sich nicht mehr zurechtfinden. Etwas
Trauriges war geschehen; was war es?
Vroni schlug wieder die Augen auf. Allent-
halben noch das rothe Licht, auf den Wän-
den, auf der Bettdecke, auf dem Polster
neben ihr, und dort auf dem Tische blinkte
etwas wie ein Rubin, — ein leeres Fläsch-
chen. — — O! jetzt wusste Vroni Alles!
Sie hatte sterben wollen. War sie nicht
todt? Warum lebte sie noch? Es war
ihr doch, als ob Alles aus gewesen wäre.
Sinnend blinzelte sie in die Morgensonne

und wusste nicht, wie ihr ward. Doch plötzlich erfasste sie eine köstliche
Unruhe, wie eine warme Welle jungen Blutes ergoss es sich über ihr Herz:
„Ich lebe!“ jauchzte sie auf, sprang aus dem Bette und stürzte an das Fenster.
Da stand die Sonne, eine mächtige
purpurne Kugel, und um sie her, hoch
am klaren Himmel, hingen verstreute
Wölkchen, rosig angeleuchtet, dass
sie wie ausgelassene Engelkinder aus-
schauten, welche im glashellen Blau
schwimmen. Der Morgenwind kam
und brachte die Düfte all der thauigen
Gärten mir, über die er hingestrichen.

Unter dem Fenster aber hatte sich
über Nacht ein kleiner, im Gemäuer
verlorener Fliederstrauch über und
über mit blauen Blüthen bedeckt.

Vroni hob ihre nackten Arme in den
Sonnenschein hinauf; sie lachte über
das ganze Gesicht und rief: „Grüss
Gott, Sonne!“

Von der Strasse schaute ein Vor-
übergehenderverwundert zu dem Mäd-
chen hinauf, das ganz in Morgen-
licht gebadet, lachend der Sonne
die Arme entgegenstreckte;
er musste auch lachen
und antwortete:

„Grüss Gott!

Xinjj ah, ©clichfe, Sdjaffcti zu beschwören;

Ons jSrjjal hrängt, es brü|M jirlj her 33uy —

O In)| uns ttirijf hie [Tillen ©ohfen stören —

Brei lieyf hie mth hns sei uns genug!

Die Gohken geh'n, hnntif wir |ie hcrye|[en,
jSie witndevll ahfeifs ihren eignen 2ng —

<jUfla jie geräumt, hns [ollen wiv ermessen —

Bj'ei Üegk hie ^shvk, unh hns fei uns genug I

Xinff vnh'n, Geliebte; iah' [ie vnh'n hie Gohten!

Kein Herz, hem nicht hie ÖCCelf ein Her; evfchlng —
Oie (jQimpel Jlaffern über [vohen Konten —

K^ei liegt hie unh hns [ei uns genug I

üictor Hardung.

'U'

Auf vinon Wuflichen

Dch knnfenh Logen füllt nun Oeiu Geschmier;

K><» Kng utih [Zchwinhel wächst Oir Golh in Klumpen.
Omni wnnhelst Ou OieH mählich in Kapier,

UCnh has ist freilich her Beruf her X/umpeu. ®tto «mit,

6a o
Register
Victor Hardung: Freie Fahrt
Arthur Lajos Halmi: Zeichnung zum Text "Grüß Gott, Sonne!"
Otto Ernst: Auf einen Käuflichen
Franz (Frantisek) Kupka: Elfen-Liebe
 
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