Nr. 45
JUGEND
1896
lit einem hellen Aufjauchzen springt sie die breiten,
weissen Stufen der grossen Freitreppe herunter, — direkt
in seine ausgebreiteten Arme. Dann küssen sie sich, als
wären sie, statt zwei Stunden, zwei Jahre getrennt gewesen.
„Du Lieber, Guter!“
„Mein kleiner, goldiger Schatz!“
Schnell fahren sie auseinander; ’s ist aber nur der alte
Jakob mit den Gewehren. Der kennt sie Beide, so lange sie
leben. Freundlich dankend nimmt sie dem Alten die Flinte
ab und hängt sie um.
„Der Jäger-Kaspar hat noch ’ne zweite Kitt Hühner auf-
gegangen, gnädige Frau!“
„Hurrah! Das ist fein! Da gibt’s doch mal was Ge-
scheidtes!“
Und die „gnädige Frau“ macht einen kleinen Luftsprung
und klatscht vergnügt in die Hände.
Ein schöner englischer Hühnerhund springt laut bellend
an ihr empor, ein schwarz-brauner Täckel und ein feiner
Fox-Terrier jagen sich um die Bosquets.
„Aber Bay! Ruhig da! Hierher Flock!“
Glücklich lächelnd sieht der junge Gutsherr auf seine
reizende, kleine Frau.
Kaum achtzehn!
Die schlanke Gestalt im praktischen, kurzen Lodenkleid,
den Filzhut keck auf das goldene Kraushaar gestülpt, sieht
sie allerliebst aus. Der frische Herbstwind hat ihre immer
rosigen Wangen noch lebhafter gefärbt, die grauen Augen
blitzen lustig. Und das impertinente, kleine Häschen! Mit
einem ganz vernünftigen Ansatz, strebt es plötzlich fast ein
wenig in die Höhe. Sie wird immer ärgerlich, wenn er sie
damit neckt. Drei Monate sind sie nun verheiratet!
Die Sommerhitze war es freilich nicht immer allein, die
ihm die Zeit her oft recht warm gemacht hat. Er seufzt
— aber nur so ganz leise und schüchtern und nimmt Bay
an die Leine.
„Es wird schon noch!“
Dann ziehen sie fröhlich hinaus.
Es ist eine ganze Strecke, bis sie zu dem gewählten
Jagdrevier kommen; aber es wandert sich gut bei dem klaren,
herrlichen Herbstwetter.
„Dort ist noch ein Storch, Gert!“
„Natürlich!“
Sie wird ein bischen roth und lacht verlegen auf.
Eine Heerde Schafe zieht an ihnen vorüber, der Schäfer
trägt ein Neugeborenes im Mantel eingeschlagen auf dem
Arm. Das Mutterschaf war gestern verendet.
Lollo nimmt das zarte Geschöpfchen und streichelt das
weiche, noch rein weisse Fell.
In ihr regt sich etwas Neues, — Fremdes!
So matt und hilflos ist’s!
Ihr Gesicht an das warme Thierchen drückend, will sie
verbergen, dass ihr die Augen feucht werden.
Aber als ihre Mutter todt war, vertraten die Stelle des
guten Schäfers gleich fünf Personen. Der Vater, die drei
Brüder und Tante Therese.
Sie kichert leise. Die weiche Stimmung ist verflogen.
Wie sie zu Hause Alle um sie heruntertanzten und ihr
den Willen taten. „Götzendienst“ nennt es Gert. Der
Garstige! Ach so Liebe, Gute!
Sie schielt nach ihm, der so ruhig und fest an ihrer
Seite schreitet. Nein! Der ist nicht „so“! Der ist sogar
manchmal — sie streift ein bischen scheu seine hohe, männ-
liche Gestalt und das ehrliche, gescheite Gesicht.
Jetzt biegen sie in einen kleinen, aufwärts ziehenden
Wiesenpfad und dann in eine Reihe von Aeckern.
Geber einer Gruppe grau-grüner Schlehdornbüsche und
roth- und gelbgefärbter Buchen flattert eine Wildtaube.
Lollo reisst die Flinte herunter, zielt und fehlt.
„Die neue ,Uranga‘ von Papa taugt nichts; ein Universal-
Selbstspanner-Drilling, wie Baron Reuling ihn hat, wäre mir
weit lieber gewesen.“
„Aber Lollo!“
Nä jä!“
„Uebrigens verdirbst Du die Jagd — sieh, Bay hat
schon die Nase am Boden.“
»Ja, ja!“
722
JUGEND
1896
lit einem hellen Aufjauchzen springt sie die breiten,
weissen Stufen der grossen Freitreppe herunter, — direkt
in seine ausgebreiteten Arme. Dann küssen sie sich, als
wären sie, statt zwei Stunden, zwei Jahre getrennt gewesen.
„Du Lieber, Guter!“
„Mein kleiner, goldiger Schatz!“
Schnell fahren sie auseinander; ’s ist aber nur der alte
Jakob mit den Gewehren. Der kennt sie Beide, so lange sie
leben. Freundlich dankend nimmt sie dem Alten die Flinte
ab und hängt sie um.
„Der Jäger-Kaspar hat noch ’ne zweite Kitt Hühner auf-
gegangen, gnädige Frau!“
„Hurrah! Das ist fein! Da gibt’s doch mal was Ge-
scheidtes!“
Und die „gnädige Frau“ macht einen kleinen Luftsprung
und klatscht vergnügt in die Hände.
Ein schöner englischer Hühnerhund springt laut bellend
an ihr empor, ein schwarz-brauner Täckel und ein feiner
Fox-Terrier jagen sich um die Bosquets.
„Aber Bay! Ruhig da! Hierher Flock!“
Glücklich lächelnd sieht der junge Gutsherr auf seine
reizende, kleine Frau.
Kaum achtzehn!
Die schlanke Gestalt im praktischen, kurzen Lodenkleid,
den Filzhut keck auf das goldene Kraushaar gestülpt, sieht
sie allerliebst aus. Der frische Herbstwind hat ihre immer
rosigen Wangen noch lebhafter gefärbt, die grauen Augen
blitzen lustig. Und das impertinente, kleine Häschen! Mit
einem ganz vernünftigen Ansatz, strebt es plötzlich fast ein
wenig in die Höhe. Sie wird immer ärgerlich, wenn er sie
damit neckt. Drei Monate sind sie nun verheiratet!
Die Sommerhitze war es freilich nicht immer allein, die
ihm die Zeit her oft recht warm gemacht hat. Er seufzt
— aber nur so ganz leise und schüchtern und nimmt Bay
an die Leine.
„Es wird schon noch!“
Dann ziehen sie fröhlich hinaus.
Es ist eine ganze Strecke, bis sie zu dem gewählten
Jagdrevier kommen; aber es wandert sich gut bei dem klaren,
herrlichen Herbstwetter.
„Dort ist noch ein Storch, Gert!“
„Natürlich!“
Sie wird ein bischen roth und lacht verlegen auf.
Eine Heerde Schafe zieht an ihnen vorüber, der Schäfer
trägt ein Neugeborenes im Mantel eingeschlagen auf dem
Arm. Das Mutterschaf war gestern verendet.
Lollo nimmt das zarte Geschöpfchen und streichelt das
weiche, noch rein weisse Fell.
In ihr regt sich etwas Neues, — Fremdes!
So matt und hilflos ist’s!
Ihr Gesicht an das warme Thierchen drückend, will sie
verbergen, dass ihr die Augen feucht werden.
Aber als ihre Mutter todt war, vertraten die Stelle des
guten Schäfers gleich fünf Personen. Der Vater, die drei
Brüder und Tante Therese.
Sie kichert leise. Die weiche Stimmung ist verflogen.
Wie sie zu Hause Alle um sie heruntertanzten und ihr
den Willen taten. „Götzendienst“ nennt es Gert. Der
Garstige! Ach so Liebe, Gute!
Sie schielt nach ihm, der so ruhig und fest an ihrer
Seite schreitet. Nein! Der ist nicht „so“! Der ist sogar
manchmal — sie streift ein bischen scheu seine hohe, männ-
liche Gestalt und das ehrliche, gescheite Gesicht.
Jetzt biegen sie in einen kleinen, aufwärts ziehenden
Wiesenpfad und dann in eine Reihe von Aeckern.
Geber einer Gruppe grau-grüner Schlehdornbüsche und
roth- und gelbgefärbter Buchen flattert eine Wildtaube.
Lollo reisst die Flinte herunter, zielt und fehlt.
„Die neue ,Uranga‘ von Papa taugt nichts; ein Universal-
Selbstspanner-Drilling, wie Baron Reuling ihn hat, wäre mir
weit lieber gewesen.“
„Aber Lollo!“
Nä jä!“
„Uebrigens verdirbst Du die Jagd — sieh, Bay hat
schon die Nase am Boden.“
»Ja, ja!“
722