Champs Elysees Oscar Graf.
Wenn zwei Künstler das nämliche Modell
kopiren, entstehen immer zwei Kunstwerke ver-
schiedenen Charakters. Wenn sich die englische,
die französische und die deutsche Architektur eine
klassische Säulenform aneignen, entstehen drei
Säulen von grundverschiedenem Charakter. Bei
einem so delieaten Kunstgebilde wie der korinthi-
schen Säule fällt dem geübten Auge sogar der
Unterschied zwischen ihrer Berliner, ihrer Leipziger
und ihrer Münchner Form auf, indem die Ber-
liner Form etwas spießbürgerlich-majestätisches,
die Leipziger Form etwas Kleinlich-elegantes, die
Münchner Form ettvas Aristokratisch-vornehmes
in ihrem Wüchse zeigt. Aehnlich verhält es sich
mit der Uebernahme fremder Moden. Die Kragen
und Aufschläge der Pariser Frauentoiletten werden
jenseits des Kanals breiter, mit schmaleren Ein-
fassungen, derart, daß möglichst viele Flächen zur
Geltung gelangen. Was in Paris abgerundet
war, wird in London eckig, meistens spitzwinklig.
Der breiträndige Hut wird breiter, die zierliche,
kleine Capotte wird noch kleiner und erinnert in
ihrer winzigen Form an die Sattelhütchen aus
der Glanzzeit der Kaiserin Eugenie. Die Eng-
länderin hat von Natur aus breite Schultern
und schmale Hüften. In ihrer Toilette verbreitert
sie ihre Schultern, soweit es irgend geht, und
trägt den Rock um die Hüften knapper geschlossen,
als ihn die Französin bei ihrem, um vieles pro-
portionirteren Wüchse trägt. Wer sich ein tref-
fendes Bild dieser Thatsachen verschaffen will,
vergleiche nur einmal die Zeichnungen ein und
desselben Künstlers, des bekannten Jllustrator's
des „Journal Amüsant", Mars, der zugleich
das eleganteste, englische Frauenjournal, „Ladies
Pictorial", mit regelmäßigen Beiträgen versieht.
So weit sich solche Modebilder von der Natur
entfernen mögen, sie sind doch der beste Beleg
für die Direkttve des herrschenden Geschmackes.
Die englische Salontoilette hat für unser
Gefühl etwas Gothisches, etwas Mittelalterliches
aus der Zeit der spitzen Schnabelschuhe, der
kurzen, breiten Mäntelchen, der Schellenkappen,
der verstauchten Gesticulationen, wie sie uns
durch die Bilder der frühsten italienischen Meister
überliefert ist. Aber dazu kommt noch etwas
Anderes. Der nämliche fatale Hang zur Ge-
schmacklosigkeit, der den Londoner seine St. Pauls-
kathedrale durch ztvei chinesische Pagodenthürmchen
und die Nationalgalerie durch eine romanische
Kuppel hat verunzieren lassen, weiß sich auch
noch in der gewähltesten Soireetoilette durch
diesen oder jenen kleinen Zug bemerkbar zu
machen. Man denke sich doch einmal eine Dame
von klassischen Zügen, üppigem rothblondem
Haar, hochgewachsen, in weitdecolletirter Ball-
robe, übersät von Diamanten, die einen mäch-
tigen, schwarzgeränderten Kneifer auf der Nase
trägt, einen Kneifer, wie ihn die Astro logen
am spanischen Hofe zur Zeit Murillo's trugen.
Eines solchen Vandalismus ist kaum eine Frau
einer anderen Nation fähig, auch wenn sie die
Hand nicht vor den Augen sieht. Aber die
Engländerin ist wohl auch gar nicht in dem
Grade für den Salon und glänzende Toiletten
geschaffen wie die Französin. Der Aufenthalt
im Freien, Reiten, Jagen und körperliche Spiele
sind ihr Element, und diesen Passionen weiß sie
auch durch eine entsprechende Art, sich zu kleiden,
iin vollsten Maße zu entsprechen.
Den himmelweiten Unterschied zwischen einer
französischen und einer englischen Frauenschön-
heit zu definiren, versteigt sich der Franzose im
Unwillen zu dem Paradox, die Engländerin ver-
stehe das Geheimnis;, eine sehr schöne Frau zu
fein, ohne einen einzigen Reiz zu besitzen; ander-
seits, in einem Anflug von Anglomanie, nennt
er das benachbarte Albion, der zarten, weißen,
durchsichtigen Haut seiner Frauen wegen, ein
Schwanennest. Der Charakter der englischen
Frauenschönheit ist ein landschaftlicher, derjenige
der Französin ein architektonischer. Die Eng-
länderin wirkt durch den märchenhaften Zauber
ihrer Erscheinung, die Französin durch dieModel-
lirung und durch die Contouren ihres Körpers.
Aber über diesen Vergleich hinaus läßt sich noch
zwischen der französischen und der englischen Archi-
tektur ein ähnliches Verhältnis; beobachten wie
zwischen der französischen und der englischen
Frauenschönheit. In Frankreich hat die Archi-
tektur durch alle Zeitepochen einen selbständigen,
in sich abgeschlossenen Charakter bewahrt. Die
Prinzipien, nach denen gebaut wurde, so ab-
geschmackt sie zeitweise sein mochten, waren archi-
tektonische Prinzipien, während in England schon
Heinrich Vttt. mit einer bewußten Romantik be-
gann, mit einer Art Donquixoterie, ähnlich dem
heutigen Geschmack, der bei dem sehnlichsten Be-
dürfnis; nach LichtButzenscheiben einsetztundWart-
thürme aufführt, unter denen allnächtlich die Stadt-
polizei aus dem Trottoir auf- und niederwandelt.
Die Zeit der befestigten Burgen war vorüber;
in.Frankreich baut Franz I. den Louvre und das
Schloß Fontaineblau ohne Rücksicht auf Ver-
theidigung, nur ästhetischen Gesetzen folgend.
In England entstanden zur nämlichen Zeit die
Schlösser Windsor und Hamptoncourt, ein Spielen
mit antiquirtcn Formen, dabei so ohne Anschein
von Ernst, so en miniature ausgeführt, daß nicht
einmal heute nach dreihundert -Jahren eine Täu-
schung über den Zweck der Zinnen, Schießscharten,
Thore und Gräben möglich ist. Was aber diesen
Schlössern ihren ästhetischen Werth verleiht, ist
ihr intimes Zusammenstimmen mit der sie um-
gebenden Landschaft. Darin liegt die beabsichtigte
Wirkung. Vergeblich sucht man nach wohl-
thuenden Proportionen, nach großen Gedanken.
7)i
Wenn zwei Künstler das nämliche Modell
kopiren, entstehen immer zwei Kunstwerke ver-
schiedenen Charakters. Wenn sich die englische,
die französische und die deutsche Architektur eine
klassische Säulenform aneignen, entstehen drei
Säulen von grundverschiedenem Charakter. Bei
einem so delieaten Kunstgebilde wie der korinthi-
schen Säule fällt dem geübten Auge sogar der
Unterschied zwischen ihrer Berliner, ihrer Leipziger
und ihrer Münchner Form auf, indem die Ber-
liner Form etwas spießbürgerlich-majestätisches,
die Leipziger Form etwas Kleinlich-elegantes, die
Münchner Form ettvas Aristokratisch-vornehmes
in ihrem Wüchse zeigt. Aehnlich verhält es sich
mit der Uebernahme fremder Moden. Die Kragen
und Aufschläge der Pariser Frauentoiletten werden
jenseits des Kanals breiter, mit schmaleren Ein-
fassungen, derart, daß möglichst viele Flächen zur
Geltung gelangen. Was in Paris abgerundet
war, wird in London eckig, meistens spitzwinklig.
Der breiträndige Hut wird breiter, die zierliche,
kleine Capotte wird noch kleiner und erinnert in
ihrer winzigen Form an die Sattelhütchen aus
der Glanzzeit der Kaiserin Eugenie. Die Eng-
länderin hat von Natur aus breite Schultern
und schmale Hüften. In ihrer Toilette verbreitert
sie ihre Schultern, soweit es irgend geht, und
trägt den Rock um die Hüften knapper geschlossen,
als ihn die Französin bei ihrem, um vieles pro-
portionirteren Wüchse trägt. Wer sich ein tref-
fendes Bild dieser Thatsachen verschaffen will,
vergleiche nur einmal die Zeichnungen ein und
desselben Künstlers, des bekannten Jllustrator's
des „Journal Amüsant", Mars, der zugleich
das eleganteste, englische Frauenjournal, „Ladies
Pictorial", mit regelmäßigen Beiträgen versieht.
So weit sich solche Modebilder von der Natur
entfernen mögen, sie sind doch der beste Beleg
für die Direkttve des herrschenden Geschmackes.
Die englische Salontoilette hat für unser
Gefühl etwas Gothisches, etwas Mittelalterliches
aus der Zeit der spitzen Schnabelschuhe, der
kurzen, breiten Mäntelchen, der Schellenkappen,
der verstauchten Gesticulationen, wie sie uns
durch die Bilder der frühsten italienischen Meister
überliefert ist. Aber dazu kommt noch etwas
Anderes. Der nämliche fatale Hang zur Ge-
schmacklosigkeit, der den Londoner seine St. Pauls-
kathedrale durch ztvei chinesische Pagodenthürmchen
und die Nationalgalerie durch eine romanische
Kuppel hat verunzieren lassen, weiß sich auch
noch in der gewähltesten Soireetoilette durch
diesen oder jenen kleinen Zug bemerkbar zu
machen. Man denke sich doch einmal eine Dame
von klassischen Zügen, üppigem rothblondem
Haar, hochgewachsen, in weitdecolletirter Ball-
robe, übersät von Diamanten, die einen mäch-
tigen, schwarzgeränderten Kneifer auf der Nase
trägt, einen Kneifer, wie ihn die Astro logen
am spanischen Hofe zur Zeit Murillo's trugen.
Eines solchen Vandalismus ist kaum eine Frau
einer anderen Nation fähig, auch wenn sie die
Hand nicht vor den Augen sieht. Aber die
Engländerin ist wohl auch gar nicht in dem
Grade für den Salon und glänzende Toiletten
geschaffen wie die Französin. Der Aufenthalt
im Freien, Reiten, Jagen und körperliche Spiele
sind ihr Element, und diesen Passionen weiß sie
auch durch eine entsprechende Art, sich zu kleiden,
iin vollsten Maße zu entsprechen.
Den himmelweiten Unterschied zwischen einer
französischen und einer englischen Frauenschön-
heit zu definiren, versteigt sich der Franzose im
Unwillen zu dem Paradox, die Engländerin ver-
stehe das Geheimnis;, eine sehr schöne Frau zu
fein, ohne einen einzigen Reiz zu besitzen; ander-
seits, in einem Anflug von Anglomanie, nennt
er das benachbarte Albion, der zarten, weißen,
durchsichtigen Haut seiner Frauen wegen, ein
Schwanennest. Der Charakter der englischen
Frauenschönheit ist ein landschaftlicher, derjenige
der Französin ein architektonischer. Die Eng-
länderin wirkt durch den märchenhaften Zauber
ihrer Erscheinung, die Französin durch dieModel-
lirung und durch die Contouren ihres Körpers.
Aber über diesen Vergleich hinaus läßt sich noch
zwischen der französischen und der englischen Archi-
tektur ein ähnliches Verhältnis; beobachten wie
zwischen der französischen und der englischen
Frauenschönheit. In Frankreich hat die Archi-
tektur durch alle Zeitepochen einen selbständigen,
in sich abgeschlossenen Charakter bewahrt. Die
Prinzipien, nach denen gebaut wurde, so ab-
geschmackt sie zeitweise sein mochten, waren archi-
tektonische Prinzipien, während in England schon
Heinrich Vttt. mit einer bewußten Romantik be-
gann, mit einer Art Donquixoterie, ähnlich dem
heutigen Geschmack, der bei dem sehnlichsten Be-
dürfnis; nach LichtButzenscheiben einsetztundWart-
thürme aufführt, unter denen allnächtlich die Stadt-
polizei aus dem Trottoir auf- und niederwandelt.
Die Zeit der befestigten Burgen war vorüber;
in.Frankreich baut Franz I. den Louvre und das
Schloß Fontaineblau ohne Rücksicht auf Ver-
theidigung, nur ästhetischen Gesetzen folgend.
In England entstanden zur nämlichen Zeit die
Schlösser Windsor und Hamptoncourt, ein Spielen
mit antiquirtcn Formen, dabei so ohne Anschein
von Ernst, so en miniature ausgeführt, daß nicht
einmal heute nach dreihundert -Jahren eine Täu-
schung über den Zweck der Zinnen, Schießscharten,
Thore und Gräben möglich ist. Was aber diesen
Schlössern ihren ästhetischen Werth verleiht, ist
ihr intimes Zusammenstimmen mit der sie um-
gebenden Landschaft. Darin liegt die beabsichtigte
Wirkung. Vergeblich sucht man nach wohl-
thuenden Proportionen, nach großen Gedanken.
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