* JÜGENC) -
1896
Julius Die\.
Mein Gott, was ist denn? es kommt doch nur darauf an,
dass man sowas nicht immer gleich tragisch nimmt. — Dann
musste er lachen, über die Alte: so hundsgemein es auch
war, die gerettete Tochter gleich anzukeifen, dass sie mit
dem neuen Hut in’s Wasser gesprungen, — es war doch
sehr komisch gewesen.
Er streckte behaglich die Glieder. Sein Schwager war
ein Esel mit all seiner Philosophie, das war jetzt erwiesen.
Neulich erst hatte er declamirt: jede Handlung geschehe aus
Egoismus, nur sei sich der Handelnde dessen nicht immer
bewusst. Dummes Zeug. Er war eben ’reingesprungen, ganz
instinctiv, ganz ohne Berechnung und Absicht. Wo war da
von Egoismus auch nur eine Spur? Er würde sich schief-
geschämt haben, hätte er’s nicht so gemacht. Ja, wenn er’s
gethan hätte, um sich zu rühmen, um Rettungsmedaille zu
kriegen und sowas! Aber davon war eben keine Rede, er hatte
im Gegentheil alles gethan, seine Spur zu verwischen: dem
Droschkenkutscher drei Mark, damit er die Wohnung ver-
schweige, dem Burschen ein „Donner und’s Messer nochmal,
dass Du dicht hältst, verstanden?“ Kein Mensch sollte etwas
erfahren. Das sollte sein Lohn sein, das eigene Bewusst-
sein — und das war doch kein Egoismus, he?
Uebrigens, wenn er der Kleinen . . .? Das wäre doch
eigentlich nicht so übel. Als tiefstes Geheimniss! Er fühlte
schon, wie sie ihn küsste dafür. Dergleichen lieben die
Weiber. — Da klopfte es an, und ein Schutzmann trat ein.
„Herr Leutnant verzeihen, ich bringe den Rock und Hut.“
„Den Teufel, wie haben Sie das denn herausgekriegt?
Ich hatte dem Kutscher doch strengstens . ..“
„Hier in der Tasche sind Briefe an Sie, — verzeihen
Herr Leutnant.“
„Dumme Geschichte. Ich will nicht, dass es bekannt
wird. Nachher setzt es Briefe, das kennt man, und in den
Zeitungen steht ja jetzt auch jeder Quark. Verstehen Sie?
Ich will nicht, dass es bekannt wird.“
„Verzeih’n Sie, Herr Leutnant, es war meine Pflicht,
auf dem Polizeibureau Meldung zu machen, und ausserdem
muss ich Sie bitten, mir noch die näheren Umstände . . .“
Widerspruch half nichts. Wie ein Verbrecher das Ge-
ständnis seiner That ablegt, so beichtete Robert. Nur dass
er selbst in ernster Gefahr seines Lebens gewesen, bestritt
er entschieden: sie hätte sich nicht mehr gemuckst, und wenn
er mit ihr zusammen nicht weiter gekonnt hätte, wäre er selber
allein noch zehnmal gemüthlich zur Treppe gekommen.
„Sind Sie nun fertig?“
„Zu Befehl, Herr Leutnant. Guten Morjen.“
„Morgen.“
Fluchend zog er sich an. Da haben wir’s also! Und
mit dem Extrageheimniss war’s aus, für das ihn die Kleine
liebhaben sollte. Nur dass der Schwager ein Esel, das war
dasselbe geblieben. Ein richtiger Esel. Auch die verdorbenen
Sachen ärgerten ihn jetzt und der Thaler an den Kutscher.
So dicke hat man’s doch auch nicht.
Drei Tage Stubenarrest?! Das war doch geradezu schnöde.
Wenngleich das Verbot, in Civil auszugehen, vor Kurzem
erst wieder verschärft war, — in solchem Fall konnte, ja
musste der Oberst ein Auge zudrücken. Nein, das war rup-
pig. Und überhaupt — Teufel Commiss holen! Aeh.
Und gerade heute hatte er mit der Kleinen in’s Variete
gewollt! Nicht einmal abschreiben konnte er mehr: den
Burschen zu ihr in’s Geschäft schicken, ging ja doch auch
nicht. Möglicher Weise zerplatzte dadurch das ganze Ver-
hältniss. Weiber sind nun ’mal so.
Rettungsmedaille, das hatte der Oberst versprochen, na
ja, und allerlei schöne Worte drumrum. Mässiger Trost.
Zunächst ’mal sehr öde.
Der Bursche trat ein. „’n Stadtbrief, Herr Leutnant.“
Er lachte verschmitzt, denn die Handschrift war zweifellos
weiblich. Auch Robert erkannte das gleich, aber die von
der Kleinen war’s nicht. Wer denn? Er winkte dem Burschen
hinaus und las.
„Geehrter Herr Leitnant! Sie haben gewiss in die
beste Meinung gehandelt und deshalb wär ich Sie auch
ganz aufrichtig verbunden. Aber das Schlimme is man,
mit den Leben da is mir garnichs geholfen, das is ja das
Unglück und deswegen that ichs ja auch. Nu haben Sie
mir noch drei Tage voll sehr viel Kummer verschafft, und
ich habe den Pastor versprechen gemusst nich wieder ins
Wasser zu gehn, was doch das sicherste sein soll und
auch nich so Weh tuth. Tohdt aber muss ich, es geht
nich anders, sons kriech ich dass Kind, und der Mensch
is ich weis nich wohin. Ach Herr Leitnant das Leben is
schweer und das Sterben auch, aber das ist doch kürtzer.
Ich schreibe diess man, das Sie wissen ich geh diese Nacht
untern Zug und will in die Pahr mir noch iebrige Stunden
nich böse denken von Sie, denn wenn ich mir auch sehr
fürchte, das ich das nu Alles noch Mal muss und schlimmer,
so kan ich ja doch nich anders als meinen das Sie mir
was Guthes tuhn wollten. Es grüsst Sie achtungsvoll Ihre
Martha Zimmermann.“
Robert sprang auf. Um Gotteswillen, was thun? Auf
die Bahnhöfe laufen? Alarm, Visitirung der Strecken —?
Ja wer weiss denn: wann und wo?
Und wozu? Dem armen Geschöpf besten Falls noch
wieder drei Tage voll sehr viel Kummer verschaffen .. .?
Drei Kameraden erschienen, um Robert Gesellschaft zu
leisten. Sie begriffen nicht, warum er den Stubenarrest so
sentimental nahm, und uzten ihn tüchtig: das sei sehr ge-
sund, wenn man es mit dem Mädelnachlaufen so übertreibe
wie er. In’s Wasser sogar!
Als sie um Zwölf endlich gingen, warf er sich weinend
auf’s Bett und lag, von den schrecklichsten Bildern verfolgt,
in Kleidern bis an den Tag.
Am Abend schon stand es in der Zeitung.
Die Rettungsmedaille, hat er nie getragen.
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Julius Die\.
Mein Gott, was ist denn? es kommt doch nur darauf an,
dass man sowas nicht immer gleich tragisch nimmt. — Dann
musste er lachen, über die Alte: so hundsgemein es auch
war, die gerettete Tochter gleich anzukeifen, dass sie mit
dem neuen Hut in’s Wasser gesprungen, — es war doch
sehr komisch gewesen.
Er streckte behaglich die Glieder. Sein Schwager war
ein Esel mit all seiner Philosophie, das war jetzt erwiesen.
Neulich erst hatte er declamirt: jede Handlung geschehe aus
Egoismus, nur sei sich der Handelnde dessen nicht immer
bewusst. Dummes Zeug. Er war eben ’reingesprungen, ganz
instinctiv, ganz ohne Berechnung und Absicht. Wo war da
von Egoismus auch nur eine Spur? Er würde sich schief-
geschämt haben, hätte er’s nicht so gemacht. Ja, wenn er’s
gethan hätte, um sich zu rühmen, um Rettungsmedaille zu
kriegen und sowas! Aber davon war eben keine Rede, er hatte
im Gegentheil alles gethan, seine Spur zu verwischen: dem
Droschkenkutscher drei Mark, damit er die Wohnung ver-
schweige, dem Burschen ein „Donner und’s Messer nochmal,
dass Du dicht hältst, verstanden?“ Kein Mensch sollte etwas
erfahren. Das sollte sein Lohn sein, das eigene Bewusst-
sein — und das war doch kein Egoismus, he?
Uebrigens, wenn er der Kleinen . . .? Das wäre doch
eigentlich nicht so übel. Als tiefstes Geheimniss! Er fühlte
schon, wie sie ihn küsste dafür. Dergleichen lieben die
Weiber. — Da klopfte es an, und ein Schutzmann trat ein.
„Herr Leutnant verzeihen, ich bringe den Rock und Hut.“
„Den Teufel, wie haben Sie das denn herausgekriegt?
Ich hatte dem Kutscher doch strengstens . ..“
„Hier in der Tasche sind Briefe an Sie, — verzeihen
Herr Leutnant.“
„Dumme Geschichte. Ich will nicht, dass es bekannt
wird. Nachher setzt es Briefe, das kennt man, und in den
Zeitungen steht ja jetzt auch jeder Quark. Verstehen Sie?
Ich will nicht, dass es bekannt wird.“
„Verzeih’n Sie, Herr Leutnant, es war meine Pflicht,
auf dem Polizeibureau Meldung zu machen, und ausserdem
muss ich Sie bitten, mir noch die näheren Umstände . . .“
Widerspruch half nichts. Wie ein Verbrecher das Ge-
ständnis seiner That ablegt, so beichtete Robert. Nur dass
er selbst in ernster Gefahr seines Lebens gewesen, bestritt
er entschieden: sie hätte sich nicht mehr gemuckst, und wenn
er mit ihr zusammen nicht weiter gekonnt hätte, wäre er selber
allein noch zehnmal gemüthlich zur Treppe gekommen.
„Sind Sie nun fertig?“
„Zu Befehl, Herr Leutnant. Guten Morjen.“
„Morgen.“
Fluchend zog er sich an. Da haben wir’s also! Und
mit dem Extrageheimniss war’s aus, für das ihn die Kleine
liebhaben sollte. Nur dass der Schwager ein Esel, das war
dasselbe geblieben. Ein richtiger Esel. Auch die verdorbenen
Sachen ärgerten ihn jetzt und der Thaler an den Kutscher.
So dicke hat man’s doch auch nicht.
Drei Tage Stubenarrest?! Das war doch geradezu schnöde.
Wenngleich das Verbot, in Civil auszugehen, vor Kurzem
erst wieder verschärft war, — in solchem Fall konnte, ja
musste der Oberst ein Auge zudrücken. Nein, das war rup-
pig. Und überhaupt — Teufel Commiss holen! Aeh.
Und gerade heute hatte er mit der Kleinen in’s Variete
gewollt! Nicht einmal abschreiben konnte er mehr: den
Burschen zu ihr in’s Geschäft schicken, ging ja doch auch
nicht. Möglicher Weise zerplatzte dadurch das ganze Ver-
hältniss. Weiber sind nun ’mal so.
Rettungsmedaille, das hatte der Oberst versprochen, na
ja, und allerlei schöne Worte drumrum. Mässiger Trost.
Zunächst ’mal sehr öde.
Der Bursche trat ein. „’n Stadtbrief, Herr Leutnant.“
Er lachte verschmitzt, denn die Handschrift war zweifellos
weiblich. Auch Robert erkannte das gleich, aber die von
der Kleinen war’s nicht. Wer denn? Er winkte dem Burschen
hinaus und las.
„Geehrter Herr Leitnant! Sie haben gewiss in die
beste Meinung gehandelt und deshalb wär ich Sie auch
ganz aufrichtig verbunden. Aber das Schlimme is man,
mit den Leben da is mir garnichs geholfen, das is ja das
Unglück und deswegen that ichs ja auch. Nu haben Sie
mir noch drei Tage voll sehr viel Kummer verschafft, und
ich habe den Pastor versprechen gemusst nich wieder ins
Wasser zu gehn, was doch das sicherste sein soll und
auch nich so Weh tuth. Tohdt aber muss ich, es geht
nich anders, sons kriech ich dass Kind, und der Mensch
is ich weis nich wohin. Ach Herr Leitnant das Leben is
schweer und das Sterben auch, aber das ist doch kürtzer.
Ich schreibe diess man, das Sie wissen ich geh diese Nacht
untern Zug und will in die Pahr mir noch iebrige Stunden
nich böse denken von Sie, denn wenn ich mir auch sehr
fürchte, das ich das nu Alles noch Mal muss und schlimmer,
so kan ich ja doch nich anders als meinen das Sie mir
was Guthes tuhn wollten. Es grüsst Sie achtungsvoll Ihre
Martha Zimmermann.“
Robert sprang auf. Um Gotteswillen, was thun? Auf
die Bahnhöfe laufen? Alarm, Visitirung der Strecken —?
Ja wer weiss denn: wann und wo?
Und wozu? Dem armen Geschöpf besten Falls noch
wieder drei Tage voll sehr viel Kummer verschaffen .. .?
Drei Kameraden erschienen, um Robert Gesellschaft zu
leisten. Sie begriffen nicht, warum er den Stubenarrest so
sentimental nahm, und uzten ihn tüchtig: das sei sehr ge-
sund, wenn man es mit dem Mädelnachlaufen so übertreibe
wie er. In’s Wasser sogar!
Als sie um Zwölf endlich gingen, warf er sich weinend
auf’s Bett und lag, von den schrecklichsten Bildern verfolgt,
in Kleidern bis an den Tag.
Am Abend schon stand es in der Zeitung.
Die Rettungsmedaille, hat er nie getragen.
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