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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 1.1896, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 50 (12. Dezember 1896)
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Nr. 50

JUGEND

1890

Der alte Koraz in neuer AerdeutsAung

von Christian Morgenstern (Berlin).

III, 9.

„Als ich Hahn noch im Uorbe war,

Und kein anderer Mund sich auf das braune Mal

Deines schneeigen Nackens bog —

Bonibenkreuzelement I Mädel die Zeit war schön!"

„„Als Du sonst keine Flamme hatt'st,

Und kein anderer Zopf Dir in die Augen stach -

Ach, wie stolz war die Gretel da,

Und wie platzten vor Neid all' meine Freundinnen!""

„Ich poussiere die Frieda jetzt,

Waldmann spielt die und Strauß, oh I und sie singt sehr nett.

Wär's, daß eins von uns sterben müßt',

Lagt' ich: Frieda, Du bleibst. Ich sterbe gerne für Dich!"

„„Ach ich bin so verliebt in den

Erwin Müller, den Sohn des Müller senior!

Wär's daß eins von uns sterben müßt',

Sagt' ich: Erwin, ich leid' zehnmal den Tod für Dich

„Hm. Was sagtest Du wohl, wenn nun
Amor wieder den Zwist lächelnd begütigte? . . .

Wenn die Frieda passte war', und

Mein verstoßener Schatz offen fänd' Herz und Thür?.

„„Erwin freilich ist tadellos —

Du hingegen ein leichtsinniger Sausewind.

Doch trotz alle- und alledem — —

Du mein Leben und Tod, mach mit mir, was Du willst

f « //


Donec gratus eram tibi,

Nec quisquam, potior brachia candidac
Cervici iuvenis dabat:

Persarum vigui rege beatior.

,Donec non alia magis

Arsisti, neque erat Lydia post Chloen,
Multi Lydia nominis:

Romana vigui clarior llia‘.

Me nunc Thressa Chloe regit,

Dulcis docta modos et citharae sciens:
Pro qua non metuam mori,

Si parcent animae fata superstiti.

&

Das Ende

von Ernst Beyerlein, mit einer Zeich-
nung von Angela Jank.

„Grüss Gott, Käthe!“ —„Grüss
Gott, Hans!“ Sie reichten sich
flüchtig die Hände. Dann steckte
sie die ihren in die Taschen des
schlecht sitzenden Jackets, wäh-
rend die seinen hinter der Pele-
rine des fashionablen Frühjahr-
Haveloks verschwanden. Eine Weile gingen
sie nebeneinander den Feldweg am Flusse
hinauf — die Stadt im Rücken.

Drüben auf der Landstrasse pilgerten
sonntägig gekleidete Bauernfamilien la-
chend und plaudernd der Stadt zu. — Nun
blieben die Beiden fast gleichzeitig stehen.
Zum ersten Male sahen sie sich in die
Augen.

„Käthe!“ begann er unsicher, „Du hast
mich hieher bestellt... warum gerade hie-
her? .... ich habe fast eine halbe Stunde
gebraucht von meiner Wohnung weg.“

Ueber ihr schmales, blasses Gesicht
ging eine Blutwelle.

„Weil ... ich dachte . . . hast Du denn
schon vergessen? Damals wär’s freilich
hübscher hier.“ Sie stockte, senkte die

,Me torret face mutua
Thurini Calais filius Ornyti:

Pro quo bis patiar mori,

Si parcent puero fata superstiti4.

Quid si prisca redit venus
Diductosque iugo cogit aeneo,

Si flava excutitur Chloe —

Reiectaeque patet ianua Lydiae?

,Quamquam sidere pulchrior

Ille est, tu levior cortice et inprobo
Iracundior Hadria —

Tecum vivere amem, tecum obeam libens

&

Augen. „Wir haben uns lange nicht mehr
gesehen, Hans, acht Monate und elf Tage,
ich hab’s genau gezählt. . . und ich habe
täglich an Dich gedacht, nicht täglich,
sondern stündlich, in jeder Minute wenig-
stens einmal, Hans, ich habe die Nächte
von Dir geträumt, ich habe geweint und
gebetet für Dich, der Gedanke an Dich
war in schwerer Stunde meine einzige Zu-
flucht . . . wenn man so allein steht auf
der Welt; ich weiss, Du warst fort ....
ich habe mir gleich gedacht, dass Du mich
nicht mehr liebst . , . und der schreck-
liche Brief, den bin ich nicht mehr los ge-
worden ... dann war ich lange krank — vor
einigen Tagen habe ich zufällig erfahren,
dass Du wieder hier bist — ich musste Dich
sehen — o Hans, was hab’ ich gelitten!“

Sein kräftig gefärbtes Gesicht
war ernst geworden, seine Augen
studirten die Umgebung: vor
ihnen die schmucklose Ebene,
drüben die nackten Chaussee-
pappeln,linksden Fluss. Ernickte.

„Ja, Käthe, ich habe Dich aus
den Augen verloren, wie das so
geht, ich war fort, hab’ mein Exa-
men gemacht... und über alle-
dem, Du weisst ja . . . ich konnte
nicht anders schreiben in dem
Briefe, ich glaubte Dir Offenheit schuldig
zu sein; seitdem hab’ ich nichts mehr
gehört, bis gestern . . . wie geht’s Dir,
Käthe .... und dem Kleinen!?“

Sie fühlte, dass seine Blicke Musterung
hielten über ihr Gesicht, ihre Gestalt, ihr
Gewand. Das raubte ihr alle zusammen-
geraffte Sicherheit.

„Es ist ein Mädchen,“ sagte sie schüch-
tern, „Hanne heisst es, aber es ist immer
nicht so recht gesund. Es sieht Dir ähnlich,
Hans ... Deine Haare, Deine Augen, Alles
. . . willst Du es nicht einmal ansehen?“
„Ja, Käthe — gewiss, das heisst . . .
Käthe, spielen wir nicht Versteckens, rede
offen, was willst Du sagen . . . mit dem
Brief von gestern?“— Es war kühl. Ein
Frösteln ging durch ihren Körper.

8io
Register
Walter Caspari: Medaillon
Ernst Beyerlein: Das Ende
Christian Morgenstern: Der alte Horaz in neuer Verdeutschung
 
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