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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 1.1896, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 50 (12. Dezember 1896)
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Nr. 50

JUGEND

1896

Enquete

Was halten Sie vom Radfahren
der Damen und welches Damen-Sports-
Costüm erachten Sie für passend:
Rock oder Hose?

Diese Frage, welche an Aktualität nichts
zu wünschen übrig lässt, wie der
Freundliche Leser zugeben wird, hat die
Redaktion der „Jugend'1 an ein Dutzend
wissenschaftliche und andere (Kapazitäten
hinausgeschickt — acht der Gefragten
Hessen uns in liebenswürdiger Weise Ant-
wort zukommen, und die Summe dieser
Antworten liefert jene klare, positive Lö-
sung des Problems, wie sie eben allein
mit Hilfe solcher Enqueten zu erlangen ist.

Wir geben die Antworten ohne Com-
mentar in Folgendem wieder:

Ew. Hochwohlgeboren!

Natürlich sollen sie radeln! Frisches
Blut in die Adern, frische Luft in die
Lungen, frische Lebensfreude in’s Herz!
Wenn das gegenwärtige und künftige Ge-
schlecht unserer „Mütter“ durch einen
vergnüglichen Sport seinen Körper stählt,
wird das zum Segen für Generationen.
Wenn ein Mädchen im staubigen Ballsaal
von acht Uhr Abends bis drei UhrMorgens,
geschnürt bis zum Abbrechen und durch
zugige Winkel mit blossem Halse und
Busen rasend, ohne Schaden für seine
Gesundheit tanzen kann, so werden ihm
ein paar Stunden Radfahrens in frischer
Luft gewiss nicht schlecht bekommen.
Und das Costüm: Hosen! Sie sind
bequem, praktisch und hygienisch!

Alle andern Rücksichten sind dummes
Zeug!

Dr. med. Hofrath Kühleborn

Professor der Gynäkologie an der Universität
Kyritz an der Kratter.

Geehrter Herr!

Ich weiss nicht, ob es Ihnen mit Ihrer
Frage ernst ist? Wenn Sie wollen, dass
unsere Frauen körperlich und moralisch
degeneriren, dass sich die Frauenkrank-
heiten ins X-fache vermehren, dass die
mit dem Radfahren verbundenen Rücken-
markserschütterungen, eine zerstörende
Wirkung auf das Gangliensystem der
Fahrerinnen ausübend, nach und nach die
geistige Qualität der Nation auf’s Unheil-
vollste beeinflussen, wenn Sie das wollen,
dann treten Sie immerhin für’s Fahren
ein. Auf Grund einer fünfzigjährigen
Praxis erkläre ich die seit zwei Jahren
aufkommende Radfahrmanie der Damen
schlechthin für Massenselbstmord. Und
noch eins! Es steht für mich fest, dass
das Radfahren der Frau für den Bevölke-
rungszuwachs von grösstem Nachtheil
sein muss. Wir werden schliesslich zu
einem Geschlecht absolut steriler Frauen
gelangen, und was es für die Nation be-
deutet, wenn diese eine solche Eigenschaft
auf ihre Töchter vererben, brauche ich
wohl nicht auseinanderzusetzen. Die Frage:
Rock oder Hose, wird dadurch hinfällig.
Ich bin für Keines von Beiden.

Geheimrath Dr. Warmwickler

Fürst!. Gerolsteinischer Leibarzt.


Frit% Wolf (München),

Ew. Hochwohlgeboren!

Zum Glück für die Menschheit tauchen
mit der Zunahme der Bevölkerung ein-
zelner Länder auch immer neue Industrie-
zweige auf, welche den überschüssigen
Arbeitskräften neue Quellen zur Erwerbung
ihrer Subsistenzmittel erschlossen. So
gibt der immermehr an Ausdehnung ge-
winnende Radfahrsport Hunderttausenden
reichliches Brod, beschäftigt alle erdenk-
lichen Hilfsindustrien, und ist es darum
vom Standpunkte des Volkswirthes auf’s
Wärmste zu begrüssen, wenn auch das
weibliche Geschlecht auf diese Weise zur
Hebung des National Wohlstandes beiträgt.
Zudem bewahrt der verhältnissmässig
billige Radfahrsport unsere Frauen vor der
Versuchung nach kostspieligeren Ver-
gnügungen. Die Einfachheit der Tracht,
die er mit sich bringt, ist sehr dazu an-
gethan, den Toilettenluxus einzuschränken,
und die in Anwendung kommenden
schlichten Tuche und Wollstoffe sind zu-
dem meist Erzeugniss der einheimischen
Fabrikation. Natürlich bin ich für die
Hose, denn sie eben bedingt die grösste
Einfachheit der Radfahrtoilette und damit
auch die grösste Sparsamkeit!

Ergebenst

Dr. Ernst Schnuck

Professor der Nationalökonomie.

Geehrte Redaktion!

Unsere Frauen haben bereits zu viele
Systeme entdeckt, unser sauer verdientes
Geld zum Fenster hinauszuwerfen, als dass
wir über die Entdeckung eines neuen Ver-
fahrens zu diesem löblichen Zwecke be-
sonders glücklich zu sein brauchten. Wenn
das zarte Geschlecht absolut das Bedürfniss
zur Bethätigung seiner Strampelkraft fühlt,
so kann es diese ebensogut an der Näh-
maschine effektuiren. Das Geld für die An-
schaffung von Rädern, Reparaturen, Sports-
kleidung würde die Frau viel besser auf die
Sparkasse tragen, so sie’s überhaupt übrig
hat. Hat sie’s aber nicht, so bringt sie der
Radfahrsport zum Schuldenmachen und
Schlimmerem oder sie knapst die Kosten
dem arbeitendem Manne am Haushalte
ab, d. h. sie spart zum Schaden der zur
Erhaltung seiner Arbeitskraft und Energie
so nothwendigen Ernährung. Dabei ver-
liert sie mit ihrem Sport auch noch eine
Menge Zeit, die sie im Haushalt nützlicher
verwenden könnte. Rock oder Hose? Wenn
schon, denn schon — natürlich Rock!
Denn der ist schon da, die Hose muss
erst gekauft werden und wird zudem meist
aus theueren, soliden Stoffen hergestellt.

Hochachtungsvoll

Professor Hans Glück
Nationalökonom.

Verehrteste!

Vom ästhetischen Standpunkte ist jede
Einrichtung zu begrüssen, welche die Aus-
bildung unseres Körpers fördert, geschmei-
digere, muskelkräftigere, schlankere Men-
schen hervorbringt. Der absolute Mangel
an körperlicherThätigkeit hat in den letzten
Jahrhunderten die Frauen unserer besser
situirten Stände der Degeneration nahe
gebracht, wir waren in Gefahr, eine eng-
brüstige, wadenlose, schmalhüftige und
bleichsüchtige Rasse zu werden — das
Radfahren der Frauen rettet uns vor dieser
Register
[nicht signierter Beitrag]: Enquête (Radfahren der Damen)
Fritz Wolff: "Jugend"
 
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