Nr. 52
JUGEND
1890
„Das'weiss Ich nicht,“ antwortete er,
„es finden uns auch viele schön. Willst
Du mich nicht lieben? Meine Treue ist
grösser als die der Menschen.“
„Was gefällt Dir denn an mir?“ fragte sie.
„O Alles,“ war seine galante Entgeg-
nung. „Besonders Dein Knie—.“
Er wollte mit seiner plumpen Hand
darauftatschen, aber Leukothea verabreichte
ihm wieder rechtzeitig eine Abkühlung.
„Ich will Dich erhören,“ sprach sie dann
langsam, „wenn Du mir etwas Neues
bringst. Ich sterbe vor Langeweile. Es
muss aber eine Ueberraschung sein, hörst
Du, eine Seltenheit. Je seltener es ist,
desto grösser wird dann Dein Lohn.“
Er blickte sie zweifelnd an, dann be-
sann er sich eine Zeit lang und fragte
schliesslich: „Ist das Dein Ernst?“
„Gewiss, Du Thier,“ erwiderte Leu-
kothea und gab ihm einen Klaps. „Jetzt
geh fort und thue das.“ Als er nicht
gleich aufstand, sprang sie selbst blitz-
schnell in ihr blaues Meer hinab, das die
Tochter sogleich innig umschloss. !Der
Kentaur blickte ihr wehmüthig nach. Dann
erhob er sich seufzend und trabte von
dannen.
* * *
Leukothea dachte längst nicht mehr
an Alpheios. Es war manche Woche
vergangen. Eines Abends sass sie bei
Sonnenuntergang wieder auf der Klippe
und sah ohne Gedanken in den versinken-
den Feuerball. Auf einmal vernahm sie
einen weichen Flötenton, dann noch einen,
und schliesslich ward ein Lied hörbar.
Bald darauf tauchte hinter der Pappel der
Kentaur auf; er hatte die Backen aufge-
blasen und bearbeitete aus Leibeskräften
eine Syrinx. Er kam immer näher, bis
er dicht vor der Nereide stand. Sie be-
obachtete ihn aufmerksam und wunderte
sich, dass er ruhig fortspielte. Endlich
setzte er das Instrument ab, lächelte selbst-
zufrieden und sagte stolz:
„Nun, reizende Leukothea, habe ich
Dir eine Freude gemacht?“
„Womit denn ?“ fragte sie erstaunt.
„Dünkt Dich mein Flötenspiel keine
Ueberraschung?“ entgegnete er. „Siehe,
ich bin Dir zu Liebe nach Arkadien ge-
wandert, bin dort tagelang umhergeirrt,
bis ich den göttlichen Pan fand und habe
mir von ihm das Syrinxspiel lehren lassen,
um Dir etwas Neues zu bringen. Wüsstest
Du, was ich alles dabei ausgestanden habe.
Bist Du nicht zufrieden? Hast Du je-
mals himmlischere Töne vernommen?“
„O Du Weiserl“ sagte sie spöttisch.
„Deswegen läufst Du nach Arkadien?
Komm’ mit mir hinunter, da hörst Du
ganz andere Musik. Das nenne ich mir
eine Ueberraschung!“ Sie riss ihm die
Syrinx aus der Hand, zerbrach sie und
warf die Stücke in die Fluth.
Der Kentaur machte ein sehr dummes
Gesicht. Sie kehrte sich weiter nicht an
ihn. Aergerlich darüber, dass er ihr den
Sonnenuntergang verdorben hatte, tauchte
sie in das Gewoge des thrakischen Meeres.
* * *
Und abermals gingen einige Wochen
dahin. An einem frischen Morgen liess
sich der Kentaur wieder sehen. Leu-
kothea war gerade an das Tageslicht ge-
stiegen, als er über Stock und Stein
dahergetrabt kam. — „Diesmal wirst Du
mir gnädig sein müssen, meine Geliebte“,
JUGEND
1890
„Das'weiss Ich nicht,“ antwortete er,
„es finden uns auch viele schön. Willst
Du mich nicht lieben? Meine Treue ist
grösser als die der Menschen.“
„Was gefällt Dir denn an mir?“ fragte sie.
„O Alles,“ war seine galante Entgeg-
nung. „Besonders Dein Knie—.“
Er wollte mit seiner plumpen Hand
darauftatschen, aber Leukothea verabreichte
ihm wieder rechtzeitig eine Abkühlung.
„Ich will Dich erhören,“ sprach sie dann
langsam, „wenn Du mir etwas Neues
bringst. Ich sterbe vor Langeweile. Es
muss aber eine Ueberraschung sein, hörst
Du, eine Seltenheit. Je seltener es ist,
desto grösser wird dann Dein Lohn.“
Er blickte sie zweifelnd an, dann be-
sann er sich eine Zeit lang und fragte
schliesslich: „Ist das Dein Ernst?“
„Gewiss, Du Thier,“ erwiderte Leu-
kothea und gab ihm einen Klaps. „Jetzt
geh fort und thue das.“ Als er nicht
gleich aufstand, sprang sie selbst blitz-
schnell in ihr blaues Meer hinab, das die
Tochter sogleich innig umschloss. !Der
Kentaur blickte ihr wehmüthig nach. Dann
erhob er sich seufzend und trabte von
dannen.
* * *
Leukothea dachte längst nicht mehr
an Alpheios. Es war manche Woche
vergangen. Eines Abends sass sie bei
Sonnenuntergang wieder auf der Klippe
und sah ohne Gedanken in den versinken-
den Feuerball. Auf einmal vernahm sie
einen weichen Flötenton, dann noch einen,
und schliesslich ward ein Lied hörbar.
Bald darauf tauchte hinter der Pappel der
Kentaur auf; er hatte die Backen aufge-
blasen und bearbeitete aus Leibeskräften
eine Syrinx. Er kam immer näher, bis
er dicht vor der Nereide stand. Sie be-
obachtete ihn aufmerksam und wunderte
sich, dass er ruhig fortspielte. Endlich
setzte er das Instrument ab, lächelte selbst-
zufrieden und sagte stolz:
„Nun, reizende Leukothea, habe ich
Dir eine Freude gemacht?“
„Womit denn ?“ fragte sie erstaunt.
„Dünkt Dich mein Flötenspiel keine
Ueberraschung?“ entgegnete er. „Siehe,
ich bin Dir zu Liebe nach Arkadien ge-
wandert, bin dort tagelang umhergeirrt,
bis ich den göttlichen Pan fand und habe
mir von ihm das Syrinxspiel lehren lassen,
um Dir etwas Neues zu bringen. Wüsstest
Du, was ich alles dabei ausgestanden habe.
Bist Du nicht zufrieden? Hast Du je-
mals himmlischere Töne vernommen?“
„O Du Weiserl“ sagte sie spöttisch.
„Deswegen läufst Du nach Arkadien?
Komm’ mit mir hinunter, da hörst Du
ganz andere Musik. Das nenne ich mir
eine Ueberraschung!“ Sie riss ihm die
Syrinx aus der Hand, zerbrach sie und
warf die Stücke in die Fluth.
Der Kentaur machte ein sehr dummes
Gesicht. Sie kehrte sich weiter nicht an
ihn. Aergerlich darüber, dass er ihr den
Sonnenuntergang verdorben hatte, tauchte
sie in das Gewoge des thrakischen Meeres.
* * *
Und abermals gingen einige Wochen
dahin. An einem frischen Morgen liess
sich der Kentaur wieder sehen. Leu-
kothea war gerade an das Tageslicht ge-
stiegen, als er über Stock und Stein
dahergetrabt kam. — „Diesmal wirst Du
mir gnädig sein müssen, meine Geliebte“,