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Nr. 24

JUGEND

1897

stieg auf, daß es nichts Gleichgiltigeres
gibt, als Rosen, wenn die Natur an ihren
Besitz doch dieselben Ungleichheitsgefühle
knüpft, wie an ihre Entbehrung. Das
eben war der welthistorische Irrthum,
daß man in das Haben oder Nichthaben
von Gegenständen den Grund der Freuden
oder Leiden verlegte. Nein, nicht ob ich
cs habe oder nicht habe, entscheidet meine
Gefühle — sondern ob Andere es nicht
haben oder haben. Nur die ganz feinen und
reinen Seelen, die reich genug sind, von
ihrem eigensten Innerlichsten zu leben,
mögen das Mbjekt genießend in sich ein-
ziehen, ohne über seine Grenzen hinaus-
zuempfinden; die Masse aber wird sich nie
am Reiz der Dinge befriedigen, sondern
ihre Erregungen an den Besitz knüpfen,
weil der Nachbar ihn entbehrt, an die Ent-
behrung, weil der Nachbar im Besitz ist. Nur
der erste unmittelbare Eindruck geänderten
Besitzes mag die Vergleichung übertönen;
unsre schnell angepaßte Empsindlichkeit aber
reizen die feineren Unterschiede des neuen
Niveaus bald ebenso heftig, wiejenefrüheren
und groben. Und immer wieder treibt uns
die Illusion in die Sisyphusmühe äußerer
Ausgleichung, bis dahin, wo die Natur ihr
die Grenze steckt und wo wir erkennen, daß
das Leiden, dem wir nach außen entfliehen
wollten, uns von innen her nachjagt.

Vb und wann die Bürger unseres Mär-
chenlandes das einsahen, wie oft die Revo-
lution — immer um den noch gebliebenen
Rest der Ungleichheit — sich wiederholten,
weiß ich nicht. In hundert Jahren wird
man es vielleicht wissen. Aber in tröstlicher
Gleichgiltigkeit gegen all' diese Wandlungen
lebten die Rosen ihre selbstgcnugsame Schön-
heit weiter. — — G. S.

Lichtgestalten

Sahst Du noch nicht
Um Sonnenuntergang
Gestalten grüssen,
Goldumleuchteie,

Aus der Wolken
Schwebenden Landen?

Was von erhabenen
Seelen Ewiges
Aus dem Vergänglichen
Aufwärts stieg:

Siehe, so wandelt
In seligen Höhen
Segnend es

Ueber den Suchenden hin,
Und zu seines Volkes
Lichteskindern
Blickt der Umdunkelte
Dankbar auf.

Ferd. Avenarius.

Hm f|eM

Eine Skizze aus dem Teufels-
moore

von Krieör. WrKer.

prägen Sinnes windet sich das
csE) braune Gewässer der Homme
durch das Teufelsmoor und die ans-
gedehnten sumpfigen Wiesennieder-
ungen tut Norden Bremens. Sie ist
die Hauptverkehrsstraße für die ern-
sten, schweigsamen Bewohner jenes
Küstern, unheimlichen Moores, die
als Pioniere der Kultur seit 200
Jahren unter mühseligem Schaffen
allmählich Vordringen in die von
alter Zeit her verschrieene Einöde und
Sumpfwildniß. Meist einsam, rings
umgeben von Moor, auf künstlich
errichtetem Sandhügcl, „Wurt" oder „Warf",
hausend, verarbeiten Mann, Weib und Kind
jahraus jahrein den schwammigen, schwank-
enden Moorboden zu Torfziegeln. Der an der
Luft getrocknete Torf wird daun im Herbst in
schwarzen, sargähnlichen Kähnen, oft „Seelen-
verkäufern", auf anstrengender Fahrt durch die
Hvmme und durch Kanäle nach Bremen be-
fördert, um dort gegen geringen Verdienst als
Brennmaterial abgesctzt zu werden.

Goldiger Herbstunchmittag!

Behäbig und in friedlicher, weltentrückter
Stille ruht unter dem mächtigen, grünbe-
moosten Strohdache das „Anwesen" des Torf-
bauern Lühr Siebers. Einige alte vom Winde
zerzausteBirken glänzen in herbstlicher Farben-
pracht und schmiegen sich Schutz suchend dem
altbefreundeten Hause an. Leise flüstern die
alten Jungfern im Winde, die neuesten Klatsch-
geschichten austauschend über ihre vom Schick-
sal weniger begünstigten Schwestern drau-
ßen im traurigen Moore. Einige verspätete,
Nimmersatte Hühner suchen den Platz vor-
der großen Einfahrtsthiir nach den letzten
Resten des Futters ab: hin und wieder wägt
der Wind zu uns herüber ein gedämpftes
Schweinegrunzen. In leichten Wellen ver-
läßt der bläuliche Rauch des Herdfeuers die
große, geöffnete Thür, nachdem er vorher die
unter der Decke der Hausdiele hängenden
Schinken und Würste zart schmeichelnd um-
kost hat.

„Klapp — Klapp — Klapp — Klapp ..."
schlagen plumpe Holzschuhe den aus Lehm ge-
stampften Boden der Diele und bald erscheint
in der Thür Jan Siebers, der Sohn des
Hauses, blond und kernig, mit Pelz, Reise-
tasche und Ruderstange beladen. Bedächtig
schreitet er dem kleinen engen Haushafen, für
2 bis 3 Torfkähne berechnet, zu, dabei einen
Wind und Wetter prüfenden Blick in die Weite
sendend. Jetzt tritt auch Mutter Siebers aus
dem Rahmen der Thür. Sie hat wie gewöhn-
lich etwas vergessen.

„An denn gröt ock Trina Heinken von
mi, un wäs man cn beten freundst mit ähr."
Hart und klangarm rief's die stattliche, um-
fangreiche Bauersfrau ihrem Sohne nach.
Ohne den Kopf zu wenden, nickte Jan kaum
merklich.

Soeben, in der fünften Nachmittags-
stunde, war die außer der Adresse kaum leser-
lich geschriebene Postkarte von Vater Lühr aus
Bremen angekomen. Sic war verabredet und
ihre Ankunft bedeutete, daß Lühr das erste
Boot voll Torf verkauft habe und Jan nun
mit dem zweiten, bereits beladenen Schiff
schnell folgen möge. So hatte denn Mutter
Siebers ihren Jan mit Schwarzbrot und Speck
versehen und ihn zum baldigen Antritt der

Leo Prochownik (München).

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Register
Leo Prochownik: Zierleiste
Ferdinand Avenarius: Lichtgestalten
Friedrich Pirker: Im Nebel
 
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