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Nr. 27

JUGEND

1897

Tanzmusik uäljerjunb näher,eLeierkaslengedndel,
Karvussetgeqnietsch. Lokale rechts, Lokale links;
Bnden drin, Tische, Banke, Bierseidel, unzählige
Menschen. Die Lust ist dick, sie steht still, von
Sonne und Staub geschwängert; die alten Kiefern,
da hinten in der Haide, senden keinen erquickenden
Waldhauch herüber.

In der .Neuen Welt' war am meisten los:
mit Mühe bekamen die drei Platz. Es war spät,
die Tische längst besetzt, drinnen im grosten Tanz-
saal wirbelten schon die Paare.

„Nanu, wollen wir mal?" fragte Carl scine^
Grethe.

„Ne," sagte sie kurz.

So blieben sie im Garten sitzen. Der junge
Mann hatte Bier bestellt, und Grethe zog unter'm
Cape eine Düte Kuchen vor, sie hatte ihn von
zu Hause geschickt bekommen.

„Da, probier man, Carl," drängte sie, „er
is von Muttern!"

Der Kuchen war altbacken und zerfiel in
lauter Brösel, Grethe jedoch ast mit rührendem
Appetit, mit einem schier andächtigen Heimals-
gefühl; der Bräutigam empfand beides nicht, er
spülte ein paar Bissen mit Bier herunter und
die blasse Guste naschte nur an ihrem Theil herum.

Ein mageres Kind kam an ihren Tisch und
bot Blumen seil. Carl lauste galant zwei Zehn-
pscnnigsträusjchcn und lies; die Damen wählen.
Grethe suchte sich das handfesteste Bouquet ans,
Gnste griff nach ein paar Stengeln Mohn, die
flattrig hingen.

„Meine Lieblingsblumen," sagte sie und
steckte die rothen Blüthen vorn in ihre Helle,
zierliche Taille.

„Das sieht reizend aus, Fräulein!" Carl
streifte mit bewunderndem Blick die Helle Taille.
„Was Sie sür'n Jeschmack haben!"

Nach und nach leerte sich der Garten, nur
Mütter mit kleinen Kindern waren noch da, alles
übrige drinnen im Tanzsaal oder zuschaucnd vor
den Fenstern, selbst die Familienväter waren aus-
geknisfen.

Es wurde stiller um die Drei. Die Luft war
weniger Heist und stichelte angenehm die Stirnen,
schon wehte hie und da ein frühgclbes Blatt vom
Baum und senkte sich in die geleerten Bierseidel.
In den dichten Büschen hinter dem Tisch raschelte
es, ein Vogel sing an zu singen — eigentlich nur
zu piepen — aber Grethe lauschte entzückt. Sie
war ein Kind vom Lande und in allein Grost-
stadtgewühl hatte sie den bäurischen Instinkt für
die Natur nicht verloren. Mit schwimmenden
Aeuglein starrte sie in die Ferne und drückte
dabei die Hand des Bräutigams, sie fest in der
ihren haltend.

Auch Carl starrte geradeaus, aber nicht traum-
verloren wie seine Liebste; er sah über den Tisch
unverwandt die blasse Auguste an.

Die hatte mit dem Stuhl gekippt und gclang-
weilt mit den merkwürdig schlanken Fingern ans
den Tisch getrommelt. Sie hielt die langbefransten
Lider beharrlich gesenkt und doch fühlte der junge
Mann den magnetischen Blick ihrer Augen. Das
rothe Mohnsträustchen schimmerte auf der Hellen
zierlichen Taille, der junge Busen hob und senkte
sich unter zittrigen Athemzügcn. Jetzt spitzte sie
die Ohren — der Wind trug die Klänge aus dem
Tanzsaal greifbar deutlich heriiber; mau hatte
dort ein Fenster aufgemacht.

„La la — In In In!" Carl Pfiff zwischen den
Zähnen mit, und rutschte unruhig aus dem Stuhl
hin und her. Plötzlich stand sie auf; langsam,
aber wie untviderstehlich gezogen, entfernte sie
sich, der Kies knirschte kaum unter ihrem leichten
Tritt. Man sah die hochgeschossene Gestalt am
Fenster des Tanzsaals stehn, durch die Büsche
schimmerte ihr Helles Kleid — jetzt war sie ver-
schwunden.

Hans Christiansen (Paris).

„Liebst du mir?" hauchte Grethe, nahmst
sättig den Vergistmeinuichtbekräuzten ab und >
den glattgekämmten Kopf an die Schulter !'
Bräutigams sinken. „Liebst du mir wirkst«.
Sie suchte seine» Blick und tätschelte zärtlich K;
Hand. „Ach, Carl, wenn >vir Hochzeit nM
das wird man schön! Wenn denkste dck
Zlvcihundert Thaler Hab' ich ans die Spar!'
NN von Muttern krieg' ich Betten UN ein Säl"
— wenn meinste, Carl?"

„Ja, ja," sagte er zerstreut. Er dachte aM
blicklich darüber nach, mit wem die AUS'
wohl tanzte? Vom Fenster war sic weg-
konnte sic nicht mehr sehen, so sehr er den»!
auch reckte; drinnen tvar sie, sic tanzte — £
leicht mit dem frechen Bengel von vorhin! c
blassen Backen wurden zartroth, sic zog!
Mund, dast das Grübchen entstand — der M
tuschelte ihr verliebt in die Ohren.

„Ae!" Er fuhr ans, dast Grethen's Kop!'
saust abgeschüttelt tvurde.

„Was haste?" fragte sic besorgt, ft
agste, Carl?"

„Mischt," machte er. und dann stand cr
„Ich must mal 'reinjehn, bleib' Du nur hier,
bin jleich wieder da. Wenn Du ihr aufjcfom
hast, must man sich doch auch ein bistchen 1,1
»teilt — sie is man erst siebzehn — das jelst'
mal mich anders, das erfordert der Pli.
man ruhig, ich komme jleich retour!"

Ohne ein Wort abzuwnrten, ging er'
eiligem Schritt; die Spatzen, die um die D
nach Brosamen suchten, flogen anfgeschcuchst;
von. Sein Rockschost schwenkte, seine
knarrten; nun flatterte der letzte Zipfel tu»1
usch — fort war er.

Grethe blieb allein. Der piepende
war verstummt, er flog zu Neste. Es kai»;
in den Sinn, dast es doch eigentlich ein fdlM!
Sonntagsvergnügen sei, hier einsam zu
und auf die Andren zu lauern. Gute Lust'
hier im Garten auch nicht, Bierneigendnust,
Tabacksqualm zogen mit dem Wind. Da >""i
doch ein andres Ding, daheim über die d1'
zu gehen und mit der Hand am Achrenfeld ;
lang zu streifen; das kitzelte so hübsch, und"
hatte das Gefühl all des reichen Gvttesseg'!
Grethe enlsann sich ganz wohl ihrer Kindes,
ersten Jugendzeit; da hatten sie Sonntag'-'
Korn gesessen und sich was Lustiges erzäb''
da war man versteckt vor aller Welt — cs
köstlich mehlig und nahrhaft, man kriegte dm
solchen Hunger, dast man anfstand und
Haus lief. Auf dem Hof duftete der Dung"
im Flur das frische SonntagSbrod, da
man doch, was man roch.

Ein grostes Heimweh überkam Grethe",
zugleich ein groster Hunger. Sic ast den/"
Kuchen — auch den, den Carl und Auguste t»
gelassen — und tupfte mit dem Zeigefinger
letzte Bröselchen aus. Dann nahm sic das
chen, das Carl zurück gelassen, umklatuC
cs mit beiden Händen und stützte das ^
auf den schönen goldncn Knopf. Es tvar ‘
was von ihm! Zärtlich tastete ihre Hand tz
den Stock — wo der Carl nur blieb?!
die Guste?! .

Ein paar junge erhitzte Leute, tvohl ""
kühlen Platz suchend, kamen vorbei: „Na, sc l.
fallt, Fräulein?" Der Eine lachte: „Wohl
Wachtposten, Fräulein? Der Schatz untres,
worden? Trösten Sie sich man, es gil'i
andre!"

Sie lachte mit, aber das Lachen ka»U
nicht von Herzen: es tvar gezwungen. '
Beiden machten nicht Miene, sich zu tB1.
setzen; das fühlte sie wie eine Zurückstm,
Sie empfand zum ersten Mal, dast sie
hübsch war.

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Hans Christiansen: Zierleiste
 
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