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Nr. 27

JUGEND

1897

Mit einem bittren Gefühl strich sie ihr
prächtiges Kleid glatt und setzte den Hut auf.
„Bleib' inan ruhig, bis ich wiederkonnne," hatte
er gesagt. Na, lange genug hatte sie gewartet,
sehr lange, er kam noch immer nicht; nun mellte
sie ihn suchen. Resolut ging sie dem Tauzsaal zu.

Drinnen ein ungeheures Gewoge. Eine
Hitze sondergleichen; schon vom Zusehu brach
einem der Schweig aus. Ihr wurde schwindlig
von dem Drehu und Hüpfen; sie drängte und
puffte sich durch und strengte die Augen an,
dag sie schmerzten. Uniformen und Civilsonntags-
röcke, höchster Putz, weiß, blau, rosa. Die Uni-
formen hatte» die feinsten Damen, die waren
gradezn im Ballstaat; die galanten Tänzer legten
sorgsam ihre Taschentücher unter, an der Taille,
auf die Schulter, damit die Toilette vom An-
fassen nicht litt.

So fein! Grethe hielt den Mund offen vor
Bewunderung, aber dann verzog sie ihn ent-
täuscht — Carl war nicht hier und die Guste
auch nicht! Da >var kein Eckchen, was sie nicht
durchsucht hätte. Fort, beide fort!

Tief niedergeschlagen verlies, sie den Saal.
Am Ausgang der Billeteur sah sie verwundert
an: „Na, Jungfer, schon wieder so fix 'raus?
Wohl nich amesirt?"

Sie schüttelte de» Kopf. „Haben Sie keinen
Herrn gesehn, groß, mit '»ein dunklen Schnäu-
zerche»? Un so hübsch!" sagte sie ängstlich.

Der Mann besann sich. „Äse, so'ne sind zu
viele!"

„Oder en junges Mädchen mit 'nein Hellen
Kleid, rothe Mohnblumen auf 'nein schivarzen
Hut? Blas, iS se man!"

„Ja, die war ebent noch hier," sagte der
Mann bestimmt. „En helles Kleid un Mohn-

blumen

ja, ja! Sie lachte mir noch an.

Vor 'ne kleine Biertelstulide is se abjegangen
mit'n Herril — aber blas, war se nich sehr.

Man noch sehr jung! Un er hatte se
am Arm un en Siegelring auf ein Zeige-
singer."

Es durchfuhr Grethe's Herz wie ein
Stich — das waren sie! „Ach, können Sie
mir nich sagen, Ivo die hinjegangen sind?"

„Nanu?" Der Mann schob die
Brauen in die Höh und sixirte sie schars.

„Weinen Se man nich! Det kommt öfters
vor. Da in de Haide sind se 'rein" — er
wies ans ein Seitenpförtchen, das den Kie-
fern gegenüber lag — „machen Se man
fix nach, un wenn Se se attrapiren —"

Grethe hörte nicht mehr. Durch ihren
Kopf summte es nur: „Wo sind die hin?

Sie haben Dich sitzen lassen — nach, nach!"

Sie rannte zurück zum Tisch und holte
seinen Stock; das siel ihr doch noch ein, den
durste sie nicht zurücklassen, der war ihr wie
ein Pfand von ihm. Dann stürzte sie durch
das Pförtchen in's Freie. Nach, Nach!

Die Haide lag sonnverbrannt. Gras,
armselig >vie Strandhafer, sproßte in Bü-
scheln, und handhohe Wachholderstöckchen
fristeten ihr Dasein. Ab und zu eine gelbe
Immortelle. Ein Paar müde Pennbrüder
Hallen sich im warmen Sand eingebnddelt
und schliesen ihren Rausch ans; Grethe
machte keinen Bogen, sie stieg über die
ausgestrecklen Leiber weg, sie hatte es so
eilig. Halbwüchsige Knaben lungerten
umher und rauchten Cigarrenstummel;
wenige Schritte entfernt snsj ein verkomm-
nes Weib an, Rain und zerrte einen
guietschenden Kindertvagen hin und her.

Sonst kein Mensch.

Hinter den Kiefern glühte das Abend-
rot!,;'Grethe schritt da mitten hinein, ge-
blendet vom Glanz des Himmels. Nie-
mand mehr. Nur die Grillen zirpten, ver-

stellt unter den herausstehenden Wurzeln der
alten Kiefern, und der Wind machte Harsenmnsik
in den breiten Aesten. Das säuselte und rauschte
geheimnisvoll, und die fitfemben Harzthränen
an den Stämmen entsandten einen starken Tn!t,
der den Staubgernch des sandigen Bodens iiber-
täubte.

Das tvilde Klopfen des Herzens sänstigte
sich allmählich; das angstvolle Umherspäh'n der
Augen, das Keuchen des Athems ließen nach.
Das Bauernmädchen war in der städtischen Dienst-
magd erwacht. Sie büllte sich und ließ die
magre Erdkrume durch die Finger rieseln: „Da
wächst nischt mehr, reineweg nischt! Höchstens
könnt' man Buchweizen säen. Ob der wohl
sortkäme?"

Und Grethe berechnete, >vas ein Feld Buch-
weizen, so groß wie das Stück Haide, das ihre
Augen übersahen, wohl einbringen würde. Mit
dem Rechnen kam eine größere Ruhe über sie. Sie
raffte sorgfältig ihr schönes Kleid zusammen und
setzte sich auf einen hochstehenden Knorren. Den
Stock des Geliebten klemmte sie zwischen die Kniee.

Sv saß sie und betrachtete nachdenklich die
kleinen eiligen Käfer, die über ihre Schuhe liefen;
sie hütete sich wohl, die zu zertreten, die waren
so fleißig, so fleißig! Die schleppten Kiefernnadeln
und Holzspänchen zum Ban und waren fidel
dabei! Das Weinen kam sie an — so hatte sie
auch all die Jahre gespart und sich geplagt!
Zweihundert Thaler auf der Sparkasse, das will
>vas heißen. Und nun dicht vor der Hochzeit
mußte sie sich so ärgern!

„Er pussiert ihr," murmelte sie halblaut und
ballte die eine Hand zur Faust. Da siel ihr
zorniger Blick ans den Stock zwischen ihren Kniee»,
der letzte Strahl der sinkende» Sonne umspielte
lieblich den goldenen Knopf — tvie elegant konnte
der Liebste den schlenkern!


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Einladungskarte

Walter Crane (London).

»Ach ne," sagte sie halblaut, „es is recht
schlecht von mich, so >vas von Carlen zu denken,
er is doch so gut! Er liebt mir, Jotte doch, der
Mann hat vielleicht nur jeguatscht, sie sind jar
nich hier, nn Carl rennt herum un sacht mir
wie 'ne Stecknadel!" Eine große Zärtlichkeit für
den Bräutigam überkam sie, sie sah den Stock
liebevoll an, als müsse sie selbst dem was ab-
bittejj, und dann erhob sie sich rasch, um zurück
zu kehren.

Die alten Kiefern säuselten geheimnißvoller:
hinter ihren untersten Aesten glomm noch eine
Garbe feurige» Roths, dann erlosch auch die.
Gran lag plötzlich die Haide; tvie ein milder
Schleier, verschönend und versöhnend, spann sich
Dämmerung über die Oede. Ein starkes Wehen
kündete den bald sinkenden Abend. Am Himmel
blinkten mit Zauberschlag malte Sterne aus, die
Mondsichel schwamm bloß im Gewölk.

Das einsame Mädchen schauerte und faltete
die Hände wie in der Kirche. Es war so schön
hier; beinah so schön wie daheim, >vei»i die
Sonntagabendglocken läuteten und die Aehren
rauschten.

Und rief da nicht auch eine Wachtel? Horch!
Da mußte Acker in der Nähe sein, vielleicht gar
ein Kornfeld; ach, nur einmal eins wieder sehn,
hier in der Nähe der großen Stadl! Der Bräuti-
gam war für Augenblicke vergessen.

Grethe schwenkte rechts ab durch die Kiefern
und wand sich durch Gestrüpp, neugierig den
Hals reckend.

Richtig, da lag ein Feld! Freilich nicht üppig
und kerzengerade tvie eine Mauer, von sastigei»
Mohn und Kornblumen bunt durchwebt; hoch-
geschossene, dünne Halme wiegten sich im Wind,
hungrige Disteln wucherten am Rand. Aber sie
eilte darauf zu voller Entzücken.

Ein schmaler Fußsteig führte entlang
— hier waren schon Leute gegangen —
und — halt! Grethe bückte sich hastig.
Mohnblumenblätter lagen verstreut —
eins, zwei, drei, vier — und hier ein
ganzes Sträußchen flattriger halbabgefal-
leuer Blüthen! Achtlos verloren. Sie
hob es auf — und hier noch Blätter,
selbst im Dämmerschein leuchtete ihr

1 feuriges Roth. —-

Vor Grethens Augen flimmerte es,
sie umklammerte ihren Stock, als müsse
sie sich dran halten. Es war nur das
Blut, das ihr jäh vom Herzen zu Kopf
schoß; das machte, daß sie alles roth sah,
alles roth. Rother Mohn ans dem Steig,
ans den Fußtritten, die seitlings ver-
stohlen hinein in's Korn führten. Und
rother Mohn weiter drinnen im Versteck
der Aehren; rother Mohn, grell nickend
auf schwarzem Hütcheir!

Und jetzt ein leises Geflüster und
Kosen.

Die Aehren rauschen und schlage»
zusammen, als stürzten sich zwei in die
Arme.

Als Grethe zu Hause in der enge»
Kammer vor'm stockfleckigen Spiegel ihre»
Sonntagsputz ablegte, starrte sie wild
in's Glas. „O die Kerle," sagte sie in-
grimmig und drohte mit der Faust,
„Wartet man — ne, nu nie wieder!"

Aber dann stennnte sie die nackte»
»lerne auf's Bettkissen, versteckte das Ge-
sicht in den Händen und weinte laut.

Rother Mohn, rother Mohn, flattrig
wie die Liebe! Pustet man nur darauf,
weg ist sie.

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