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1897

Nr. 2?

• JUGEND *

J. Da mberger (München).

Die Lyrik auf dem Siegele

An Minna
(Nach Schiller.)

Träum' ich, ist mein Auge trüber?

Nebelt's mir »m's Angesicht?

Meine Minna fährt vorüber?

Meine llTimta kennt mich nicht?

In Gesellschaft ihrer „Brüder"

Fährt sic noch im Mondenlicht,

Und am Morgen fährt sie wieder, —
Meine Minna ist es nicht.

Ganz dem Sport ist sie ergeben,

Für den Liebsten sehr fatal J
Das mir möcht' ich noch erleben,

Daß sie hinfallt bald einmal,
pal wie will ich dann Dich höhnen,
pöhnen? Gott bewahre mich!

Weinen will ich, bittere Thränc»,

Weinen, Minna, über dich!

(Nach Peine.)

Anfangs war ich sehr dagegen,

Und ich glaubt', ich führe nie;

Und jetzt rad'l ich allerwegen,

Aber fragt mich nur nicht: wie?

(Nach Goethe.)

Ts war ein König in Thule
Gar treu bis an das Grab,

Dem sterbend seine Buhle
Ihr gebrauchtes Zweirad gab.

Ts ging ihm nichts darüber,

Er lobt' den leichten Lauf;

Die Angen gingen ihm Über,

So oft er saß darauf.

(Nach lg ein e.)

Ein pcrrcnrad steht einsam
An eine wand gelehnt,

Es sind die beiden Pneumatik
Zum Platzen ausgedehnt.

Es träumt von einem Rade
Des anderen Geschlechts,

Das einsam und schweigend lagert
Ein bischen weiter rechts.

Freie 'Kunst
(Nach U h l a n d.)

Fahre, wem ein Rad gegeben,

In dem deutschen Radlcrwald,

Das ist Freude, das ist Leben,
wenn 's von allen Rädern schallt.

Nicht an wenig stolze Namen
Ist die Radfahrknnst gebannt,

Räder gicbt's für pcrr'u und Damen
Ucberall im deutschen Landl

Die alre Radfahrerin
(Nach Ehamisso's „Alte Waschfrau.")
Du sichst geschäftig und mit heit'ren Sinnen
Die Alte dort ini weißen paar,

Die rüstigste der Radlerinnc»,

Im sechs und siebenzigsten Jahr.

Sie hat in ihren jungen Tagen
Geliebt, gehofft und sich vermählt;

Sie hat des Weibes Loos getragen,

Die Sorgen haben nicht gefehlt.

Sie hat den kranken Mann gepflegt,

Sie hat drei Kinder ihm geboren,

Sic hat ihn in das Grab gelegt

Und — sich zum Trost das Fahrrad auserkoren.

(Nach Peine.)

Allnächtlich im Traume feh' ich mich
Auf dem Rad' Dich freundlich grüßen,
Und laut all-heilend stürze ich,

Und liege vor Deinen FüßenI

Der Jüngling am Rade
(Nach Schillers „Jüngling ani Bache".)

2luf dem Rade saß der Knabe,

Doch er windet keinen Kranz,

Das erfordert zu viel Uebung,

Nur ein guter Fahrer kanu's.

Komm Geliebte, Hab die Gnade l
porch, die (piielle rieselt klar!

Raum ist auf dem kleinsten Tandem
Für ein glücklich liebend paar.

Das Gewitter
(Nach Gustav' Schwa b.)

Urahne, Großmutter, Mutter und Kind,
Auf einem Viersitzer vereinigt sind;

(Es tritt das Kind, die Mutter drückt,
Großmutter strampelt, Urahne gebückt

pält mit zitternden pänden das Goubernal
Und gibt von Zeit zu Zeit das Signal.

Und alle vier sprechen: pcut ist's Feiertag,
Da gehe zu Fuß, wer muß und mag,

Wie weit wir fahren durch Thal und Au,

Das zeigt uns der Eyclometcr genau.

Urahne, die vorne sitzt,

Spricht: Kinder, cs hat geblitzt I
Sie hörcn's nicht, sie sehen's nicht,

Ls flammt die Maschine wie lauter Licht —
Urahne, Großmutter, Mutter und Kind,
vom Strahl miteinander getroffen sind.

Vier Leben endet ein Schlag, —

Und heute ist's Feiertag.

. foul o. SchöuUiau.

«K

Das Gebet

„Vertrauen Sie der Macht des Gebets,
Frau Bruhn, beten Sie, ringen Sie im Auf-
blick zum Höchsten betend für Ihr Kind,
für seine Genesung. Das Gebet wird Sie
trösten und stärken, und seine Wunder-
macht ist höher, denn alle Weisheit und
Kunst dieser Welt! Behüte Sie Gott, Sie
und ihren kranken Knaben.“

Und der Geistliche ging hinaus mit
schnellen Schritten durch die niedrige
Hausflur und knöpfte draussen seinen
schwarzen Ueberrock fester zu. Denn der
Abend wind hatte sich noch einmal rüstigauf-
gemacht über den thauwässerigen Schnee-
fluren, herein in die paar engen Dorfgassen
des Neuen Vorwerks.

Die Frau, der die Worte des Geistlichen
gegolten hatten, hielt ihm dienstfertig die
Thür, und ihr sorgenvolles, grobknochiges
Gesicht hatte in diesem Augenblick einen
demüthig unterwürfigen Ausdruck. Man
findet diesen eigenthümlichen Zug fast im
Gesicht aller Menschen, wenn ein Geist-
licher zu ihnen redet. Man kann ihn am
Grabe beobachten, wie bei der lustigsten
aufgeräumten Hochzeitsgesellschaft, in der
ein Seelensorger etwa einen Becher auf
die Gesundheit des Brautpaares erhebt.

„Schicken Sie nach mir, wenn Sie meiner
bedürfen, Frau Bruhn. Sie wissen ja, mich
führt mein Amt hin und her zwischen den
verstreuten Höfen und über die Felder,
aber so ich kann, werde ich Ihnen gewiss,
beistehen.“

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Register
Paul Schönthan von Pernwaldt: Die Lyrik auf dem Bicycle
Franz Langheinrich: Das Gebet
Josef Damberger: Zeichnung ohne Titel
 
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