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1897

Nr. 27

JUGEND

einen Trost nur: „Ach, dem Jung 'S et
wohl, Bruhn, dem Jung is et all wohl.

Am Nachmittag rasselte der Korb-
wagen des Landarztes in’s Vorwerk. Der
fand seinen kleinen, untreuen Patienten
schon starrgestreckt auf dem ärmlichen
Lager. Sie hatten ihm das Sonntags-
gewand angelegt und hatten Tannengrün
zu seinen Füssen gebogen und das schmale
Köpfchen auf Haidekraut gebettet. Die
vertrockneten, blassen Glöckchen legten
sich zutraulich an das glattgestrichene
Haar des Todten, und schmiegten sich
an seine wachsgelben Schläfen und die
eingesunkenen Augenhöhlen.

Die Ritterschaftsverwaltung hatte den
Kranken wegen der Ansteckungsgefahr
in’s Armenhaus betten lassen wollen;
auf das thränenheisse Bitten der Frau
hatte der Arzt dieser Anordnung wider-
standen. Nun aber musste er die schleu-
nige Lieberführung der Leiche nach dem
Todtenhause des Nachbardorfes, dem das
Vorwerk eingepfarrt war, verfügen. Der
Dorfschreiner hatte den kleinen Kasten
schon „auf gut Glück“ vorgearbeitet. Er
schob überall auf den Höfen und Weilern
herum, und Hess sich Nachrichten bringen,
wo Einer todtkrank lag. Bei den meisten
der armen Häusler musste er auf Abzahlung
liefern, die er Sonntags einkassiren ging.

Einmal trug er einen Kindersarg auf
einsamem, dämmrigen Feldwege über Land.
Da ward er an einer verlassenen Sand-
grube von zwei Strolchen überfallen. Aber
er schlug den einen mit seinem Leichen-
kasten zu Boden, dass er noch des an-
deren Tags im Polizeigewahrsam ver-
starb. Nun wurde ihm am Biertisch oft
gesagt, das sei der einzige Sarg gewesen,
den er habe unverhofft machen müssen,
und wenn ihn Einer recht ärgern wollte,
der fragte ihn, ob er dem anderen ent-
wischten Angreifer nicht auch Mass ge-
nommen hätte und nannte ihn den „Selbst-
lieweranten“-

Das Begräbniss des Kindes musste am
Sonnabend Nachmittag stattfinden.

Den Vater hatten sie auf die Todes-
nachricht hin eher entlassen, aber der
Sarg war schon vernagelt, als er in seinem
Werktagskleid an ihn herantrat. Er legte
die rauhe, schwielige Hand auf den braun-
gebeizten Deckel des schmalen Kastens
und würgte seine Thränen hinunter.

Zweimal war die Mutter im Pfarrhause
gewesen, aber der Pfarrer befand sich
in der Kreisstadt zur Conferenz — er
würde gewiss kommen, sobald er zurück-
gekehrt sei.-

Ein Paar vorzeitig gealterte Frauen
mit schwarzen Kopftüchern und ein Gütler
und ein Häusler vom Vorwerk, Pathen
des verstorbenen Kindes, so wartete das
kleine Trauergefolge gebückt am Hause
des Todtengräbers. Aber so oft sie auch
den regennassen Weg zwischen den ent-
laubten Espen hinunterblickten, der Geist-
liche kam nicht. Nur der Regenwind fuhr
über die Lachen und schnob über die
niedrige Friedhofsmauer hinaus und wühlte

Peter Bauer {München).

sich in die dunklen Schollen der weithin
gedehnten Felder. Und bald brachte er
auch die ersten grauen Schatten der frühen
Dämmerung und streute sie hie und da
über einen Weiler.

Da mussten sie endlich den kleinen
Sarg hineintragen in die kahlen Gräber-
reihen, aus denen die Holz- und Eisen-
kreuze aufstarrten. Und sie senkten ihn
hinunter in die feuchte, braune Erde, ohne
den Segensspruch des Seelsorgers. Aber
als die paar Hände Erde auf das Bretter-
häuschen da unten polterten, und die
Todtengräber die Scheite einsetzten, trat
die schluchzende Mutter an das offene
Loch. Und sie schlug das abgegriffene
Gesangbuch auf,und während ihre Thrä-
nen über die Wangen und über die zit-
ternden Lippen herab in das Buch fielen,
stammelte sie mit stickender, unbehol-
fener Stimme einen Liedervers. Doch
diese Stimme war frei von einem Dia-
lekte, und es klang den Aufhorchenden
wie ein seltsam fremdes Wort:

„Hier liegst und schläfst Du ganz in Frieden,
Dieweil Dein Hirte bei Dir wacht.

Von Jesu bleibst Du ungeschieden,

Auch in der letzten Todesnacht.

Er lenkte Deine Tageszeit

So früh schon zu der Ewigkeit. Amen.“

Der Abend nahm das Amen auf und
trug es weit hinaus über die Fluren bis
an die fernen Tannenwälder am Horizonte.
Dort stand es, ein lichter Streif, zwischen
Himmel und Erde. — — —

„Ick wollte ihn nicht wie eenen Hund
inscharren laten,“ sagte die Frau beim
Nachhausegehen. — — — — — — —
Aber nach einer Woche gab der Ge-
meindediener ein Schreiben, mit einer
Oblate versiegelt, im Häuschen der Bruhn-
schen Leute ab. Und die verlassene
Mutter entzifferte es mühsam: Die Arbeiter-
frau Dorothea Bruhn zu Neu-Vorwerk hat
laut dienstlicher Anzeige des Wacht-
meisters Plätong zu Dosslow am 2. März
Nachmittags, bei Beerdigung ihres Kindes,
bei der der Ortsgeistliche nicht zugegen
war, eine Rede, resp. ein Gebet gesprochen.
Die Frau wird deshalb auf Grund der
Verordnung vom 25. November 1851,
betr. die Grabreden der Nichtgeistlichen,
zu einer Geldstrafe von 2 Mark eventuell
Haft von einem Tage verurtheilt. Es
kommen hierzu an Gebühren und Aus-
lagen noch M. 1.50.

Dosslow, 9. März.

Ritterschaftliches Polizeiamt.

Mir träumte einmal, dort, wo um die
Abenddämmerung ein lichter Streif stand
zwischen Himmel und Erde, sei das Buch
des Lebens aufgeschlagen.

Es hatte schwere metallene Schliessen,
die keines Menschen Hand zu bewegen
vermag. Seine Schalen waren mit Bergen
verziert, und seine Blätter waren wie die
Felswände eines Stromthaies.

Und eine Kinderhand, eine kleine weisse
Hand, tauchte einen goldenen Kiel in die
glühende Fluth und schrieb mit leuchten-
der Schrift in jenes Buch das Gebet der
Mutter. Franz Langheinrich,

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