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Nr. 27

JUGEND

1897

müssen Sit nach Nauheim reifen; ganz ge-
sund werden Sie wohl kaum wieder; aber man
kann mit einer solchen Herzverfettung recht
lange leben. Ihr perz ist etwas zn groß und
an dein einen Lappen fettbelegt."

Ich reiste nach Nauheim und plagte mich
schrecklich mit den Bädern und lebte diät und
wurde grau und mager und war ein unglück-
licher Mann. Das Perz wurde wohl ein wenig
besser; aber es war. als wenn jenes Hebel in
meinen Magen gefahren wäre. Ich fragte
den Badearzt in Nauheim um Rath, und er
gab mir schwarze Pulver, damit ich Ruhe be-
käme und sagte mir, in wie» wohne ein
ausgezeichneter Spezialist für Magenkrank-
heiten.

Als ich zu diesem Hinkain, bohrte er mir
einen Gunimischlauch in den Magen hinein,
spülte mich innen so leer ans, wie ein Stu-
dentenportemonnaie am Letzten des Monats ist,
nahm Proben von meinem Magensaft und
bat mich, in zwei Tagen wieder zn kommen.

Als ich dann kam, sagte er anfangs nichts,
sondern flüsterte und nickte und sah bekünimert
aus.

„ Posten tlich ist es nicht von Bedeutung?"
sagte ich, denn in meinem deutschen Konver-
sationsbuch steht, man solle so zu einem deutschen
Doctor sagen, verninlhlich, um seine ponorar-
ansxrüche dadurch herabznstimmcu, das; man
die ganze Sache als Bagatelle darzustellen
sucht.

Da sagte er, er glaube, mein Leben
könnte möglicher Weife gerettet werden, aber
einen solch rninirten Magen hätte er noch nicht
gesehen, und mich wegen Perzleidens zu be-
handeln, wäre der schändlichste Mordversuch,
deti er siech denken könne.

„Aber es war mir doch, als wenn ich perz-
schnierzen hätte," sagte iech.

„Das ist nur eine Spannung vom Magen
her, die hinauf gegen den Brnstkoib drückt.
Ihr per; ist sehr klein und mager und fuuk-
tionirt in jeder Beziehung ganz vortrefflich,"
sagte er.

Er behandelte mich zwei Monate lang und
während dieser Zeit war es, als hätte ich
einen Zirkus und zwei Karustels in mir ge-
habt, obgleich ich kaum etwas zn essen ver-
mochte. Schließlich meinte ich, es wäre etwas
bester, der Doctor sagte, es wäre ganz gut,
und so reiste ich ab.

Ich war nun so schwach und kraftlos und
kapnt, daß ich nach der Rückkehr in meine
peimath den ersten besten Doctor befragte, den
ich in Göteborg zu fasten bekam. Er gebot
mir, mich zn entkleiden, maß meine Temperatur,
untersuchte mich genau und sagte, den einzelnen
Vrganen fehle nichts, so weit er sehen könnte,
aber meine Nerven wäreti so angegriffen.

„Entschuldigen Sie, hat es Gemüthskratike
in Ihrer Familie gegeben ?" fragte er schließlich.

„Keine, außer meiner Tante, die in ihrer
Jugend in Folge von Liebeskummer in eine
Anstalt gebracht werden mußte. Aber nun
ist auch sie ganz vernünftig und hat in Boraas
eine Speiseanstalt für Schulkinder," sagte ich
der Wahrheit geniäß.

„Sehen Sie, da haben wir es! Ich dachte
es mir ja! Noch besteht keine Gefahr für
Ihren verstand, aber so gestörte Nerven . . .
hm . . . sollten Sie nicht einige Woche» in
meiner Anstalt bleiben wollen, dann könnten
wir sehen . . .?"

„was ist das für eine Anstalt?"

„Ja . . . hm . . . das ist . . . eigentlich ist
sie für Gemüthskranke, aber Sie sollten dort
natürlich nur zur Gbservation bleiben und

nach Belieben ein- und ansgehen können und
ihr eigenes Zimmer mit gewöhnlichen Fenstern
haben."

Da war mir wirklich, als wenn ich ver-
rückt werden sollte, und ich folgte ihm, jedoch
mit einer gewissen wehmuth, nun sogar bis
zn einem Spezialisten für Verrückte gekommen
zn sein.

Bei ihm ging es mir recht gut, und nach-
deni er mich in» dreihundert Kronen geprellt
hatte und mich im Flur überraschte, wie ich
seine Schwester küßte, die den paushalt in der
Anstalt führte, sagte er, die Stille und die
Medizin hätten nun so gewirkt, daß ich mich
in nichts wesentlichem von einem gewöhnlichen
vernünftigen Menschen unterschied. Dennoch
glaubte er, ich sollte mich verheirathen, am
liebsteil mit jemand, der ein bischen Erfahrung
in der Behandlung Geisteskranker hätte, im
Falle . . . int Falle . . .

Dann ließ ich mich einige Zeit in einem
Seebade nieder, aber nahm nur vorsichtig an
de» Vergnügungen theil, da ja mein Leib niid
meine Seele voii so vielen Gefahren bedroht
waren. Eines Abends kam ein junger her-
vorragender Arzt ans Stockholm in's Gesell-
schaftsbaus, der nur auf der Durchreise dort
war. Er ließ sich mir vorstellen und sagte,
er hätte mit Iiiteresse gehört, daß ich eine
gaiiz merkwürdige Kraiikengeschichte gehabt
hätte. Ich erzählte ihm Alles und sagte, daß
ich mich nun weit besser fühlte, lvie seit
Langem. Da lachte er wehmüthig, schmerzlich,
mit einem verständnißvollen Lächeln uiid mur-
melte:

„wieder eines dieser Zivischenstadien, nach
denen es um so schliinmer hervorbricht . . .
hi» . . . hi» . . ."

„In des Teufels Naiiien, was wollen Sie
damit sagen, perr Doctor?"

„Ja, sehen Sie," sagte er, „ich bin Spezialist
in EntziehungskurenI Ja, der leidige Alkohol
richtet furchtbare Verheerungen an."

„Unmöglich, Perr Doctor l Ich lebe so mäßig,
wie ein . . ."

„Jetzt vielleicht, jetzt, wo die Vergiftung
schoit im Leibe sitzt. Aber früher, als junger
Mann, als Student — was haben Sie denn
durchschnittlich int Tage getrunken?"

Ich nannte ein meiner Ueberzengung nach
sehr bescheidenes (lZuantnm.

„Uhl" machte er, lang gedehnt. „Ich
sagte es ja: ?otmor."

Ich erbleichte und fragte ihn, ob noch
Rettung möglich wäre. Er konnte es mir
nicht ganz sicher verspreche», aber er wäre

Mutter K- Wenig.

Spezialist auf dem Gebiete, und wenn ich mich
ihm anvertrauen wolle, dann ...

Dann machte ich eine schreckliche Kur durch,
so daß ich mehrmals im Begriff war, zu
meinem Irrenarzt zurück zn kehren, auch auf
die Gefahr hin, ein Vpfer feiner freundliche»
Schwester zu werden.

Als ich so im tollsten Elend saß, erhielt
ich die Nachricht, daß mein Geschäft in Folge
eingetretener Krisen in der Geschäftswelt da-
heim sich in bedrohter Lage befände. Ich
reiste augenblicklich nach Panse, setzte meine
ganze Energie ein, zu retten, was noch Z»
retten war, warf alle Diät zum Teufel, ar-
beitete und plagte mich wie ein Pund, dachte
niemals an meinen Körper oder meinen Geist,
bekam tüchtige pilfe von einem alten Freunde
meines Vaters, verliebte mich in seine Tochter,
schloß sie an einem Augustabende in einer
Taprifolienlaube an meine Brust und wollte
mich gerade aufbieten lassen, als mir urplötz-
lich einftcl: Aber heiliges Kreuz Doiinerwetter,
nun hast Du ja all' Deine Krankheiten ver-
nachläßigt und bist ganz gesund! Ich hatte
all' das Elend völlig vergessen. Ich rüttelte
mich auf und betastete alle Fugeil und Zu-
sammensügungen der ganzen Maschinerie. Alles
frisch und gesund wie ein Nußkern l All' meine
inehr oder minder gefährlichen Leiden wäre»
davongeflogen, weil ich ihnen keine Aufmerk-
samkeit inehr schenkte.

perzschmerzen hatte ich niemals mehr,
außer damals, da Evy so lange von mir fern
war. Mein Magen machte sich auch niemals
beiiierkbar; er brauchte während des ganze»
Tages kein Esten, wenn nur Evy bei mir faß
und plaiiderte und mir in die Augen blickte.
Nervös wurde ich mir ein einziges Mal, als
ein junger Baron »ns besuchte und gegen Evz-
in überflüssiger weise anfmerksani war, und
was meine» verstand betrifft, so sagte Lr>V
und behauptet es auch noch beute, ich wäre
das klügste Männchen voii der lvelt.""

„Aber warum begannst Du denn jemals
all Deinem Körper hernmzuxrobieren, Petter-
fon ?" sagten wir zn ihm.

„Ja, seht, das wußte ich lange selber nicht-
Aber dann im vorigen Jahr traf ich deii Land-
arzt, meinen ersten Doctor, der mir sagte, mit
fehle nichts. Nun wußte ich ja, daß er recbt
hatte und grüßte ihn daher sehr achtungsvoll."

„pollah, perr PetterfonI" rief er. „Gleich
nachdem Sie bei mir wegen Ihres Perzklopfens
gewesen waren, für das ich keinen Grund ent-
decken koniite, war ich bei einem kranke»
Mädchen bei Ihrem Vetter, und seine Fra»
war so freundlich, mich zum Kaffee eiuzulade».
KauiN hatte ich den ersten Schluck getrunken,
so setzte ich die Tasse fort und sagte: „Nein,
liebe Fra» Petterson, das ist ja kein Kaffee,
sondern Schweine-Trank. Trinken Sie ih»
immer so stark?" Sie bestätigte mir, daß sie
das thäteil. Da begriff ici, sogleich, woher Ihr
Perzklopfen kai». Na, Sie wurden wohl ohne-
hin gesnild, sobald Sie von dem Gebräu fort-
kamen, nicht wahr?"

Ich erzählte ihm Alles, und er, ein unbe-
deutender kleiner Menschenflicker und Abführ-
ungsmittelverschreiber in einem Dorfe wollte
nichts über seine berühmten Kollegen sage»,
obgleich er in die Schirmkrücke beißen mußte,
NM sich nicht todt zn lachen; aber feilte Auge»
funkelten ganz humoristisch, und ich glaube
wohl, daß ich ihm ein besonderes vergnüge»
bereitet habe.

Und das sage ich Euch," schloß Pettersoi>,
„wollt Ihr einen Doctor consultieren, so geht
zu einem, der den ganzen Körper auf einmal
in Behandlung nimmt, und hütet Euch hi»
Gottes willen vor den Spezialisten 1"'

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K. Wenig: Mutter
 
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