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16Ö7

JUGEND

Nr. 23

'liauc drehte ihr de» Nücke». DaS sei eine
gijtige Natter, sagte er, die man eigentlich mit
dem Stiefelabsatz todt treten sollte. Er liebe Car-
lotta, er könne nun einmal nicht ohne sie leben
n»d seine Verwandten gehe das nichts an.

lind trotzdem, glücklich war Rane nicht. Die
Eifersucht verzehrte ihn. Er fühlte sich nicht ge-
nug geliebt. Dieses rosige, rundliche, feinge-
gliederte Weib schien Fischblut in den Adern zn
haben. Zn küssen verstand sie, aber die Lippen
blieben kalt dabei. Und gerade diese Külte reizte
ihn, sachte seine Leidenschast noch mehr an. »nd
dann noch etwas Anderes war da, ei» wahres
Kreuz, eine beständige Tortur: ihr Sohn. Roiphael
wohnte zwar nicht bei ihnen, aber er kam oft zu
seiner Mutter. Und wenn er sich einige Tage nicht
blicken lies;, wurde Earlvtta ganz melancholisch,
so das; er den Taugenichts trotz seiner Antipathie
herbeiwünschte. Earlotta hatte eigentlich nur eine
Passion: gutes Esse» und Trinken: nur eine
Liebe: ihre» Raphael.

Das sagte sich None oft in seinen trüben
Stunden und nahm sich jedes Mal vor, sich nach
und nach von ihr frei zu machen. Aber wenn
i.;rc schönen, weihen Arme sich um seinen Nacken
schlangen, wenn ihre vollen, rothcn Lippen sich
aus seine pressten, dann vergas; er alle guten
Vorsätze und gab ihr Alles, was sie begehrte,
den ganzen Ertrag seiner Mühe und Arbeit.
Gut die Halste von diesem Gcldc wandelte in
die Taschen Raphaels.

So ging es auch heute wieder und noch
manches liebe Mal.

Fünf bis sechs Monate Verliesen anscheinend
ruhig, mährend deren die schöne, üppige Frau ihre
kleinen, tlugcn Manöver immer von Neuem mit
Erfolg prvbirte und Nane sich immer mehr in seine
fixe Idee, Earlotta liebe ihn nicht, verrannte.

Mittlerweile gerirth Raphael tvicder einmal
in große Geldverlegenheit. Sein Vater, bei dem
er geblieben war, bekam endlich de» Schlingel
mit seinen ewigen Spitzbübereien satt und warf
ihn ebenso lls aus die Slraße. Earlotta flehte
'Nane an, ihn zn sich zu nehmen. Aber in diesem
Punkte blieb er unerbittlich. Das thuc er ab-
solut nicht. Wenn sie nicht ohne den Taugenichts
leben könne, solle sie mache», das; sic svrtkommc.
Für ihn wäre das ohnehin das Beste, dann
hätte dieses Elend doch ein Ende und er würde
tvieder znm Mann. Halb verzweifelt,
mitThräncn in den Auge», stieß Nane
diese Reden hervor.

Sh, wenn er nur gewußt hätte,
ob sie ihn liebe. Wenn diese Frau,
anstatt ihn mit ihrer Schönheit und
ihren Schmeicheleien zu berücken, es
nur scrtig brächte, ihm Vertrauen cin-
zuslößcn, wenn dieser Junge cs ver-
stünde, seine Zuneigung zn erwerben,
wie glücklich wäre er gewesen, Vater-
stelle bei ihm z» vertreten, wie gerne
hätte er ihr diesen Wunsch erfüllt! Aber
ein dumpses Gesühl, eine warnende
Stimme, slüsterle ihm zn, daß er nicht
nur nicht geliebt sei, sondern das; sich
hinter diesen Zärtlichkeiten ein Haß ver-
berge, ein Haß, den Raphaels Gegen-
wart zu»; Ausbruch bringen würde.

_ Denn Raphael haßte ihn und was
ließ sich von dieser schwachen Mutter,
die nur mit den Augen des Kindes
sah, hoffen?

Wenn er an die frühere Zeit zn-
rücldachtc, erinnerte er sich nur zu gut,
mit was er Carlotta's Gunst errungen
hatte. Nie hätte sie mit ihrer kalten und
apathischen Natur es bis zum Aeußer-
slen kommen lassen, wenn er nicht ans
andere Weise den Weg zn ihrem Herzen
zu finden gewußt hätte, indem er Ra-

phaels Wünsche und Launen befriedigte. Der
Junge war dainals sieben Jahre alt und io
hübsch und aufgeweckt, daß man ihn; das, was
schon die ersten Keime seiner späteren Laster
waren, als entzückende Kindereien nachsah.

Er erinnerte sich noch genau der kleinsten
Einzelheiten, des ersten liebenswürdigen Lächelns
Carlotta's, während Raphael, der ihr zu Füßen
saß, ans einer Düte Bonbons naschte, er er-
innerte sich des ersten Händedrucks und jenes
ersten Kusses ans der Treppe, den; später noch
so und so viele folgten, bis sie eines Tages von
ihren; Manne überrascht wurden und Earlotta
aus dem Hanse gejagt worden war. Das war
der glücklichste Tag seines Lebens gewesen, denn
dies bedeutete so viel, als das; Earlotta nun in
seinen Besitz übergehen könne. Nichts hätte ihm
damals willkommener sein können.

Jetzt setzte man auch den Sohn auf die Straße,
also stellte man auch diesen ihm zur Verfügung.

Dies Alles ging dem armen Nane durch
de,; Sinn, während seine Hand mechanisch mit
den; Hammer aus das Blech losschlng.

Earlotta, die, mit der Wärmpsannc zwischen
den Händen, ans einen; niedrigen Stuhl neben
ihn; saß, schien zu schlummern.

Aber zfuischei; den nur halbgeschlossenen
Lidern hefteten sich ihre Augen unverwandt aus
Rane'S Gesicht.

„Ich habe mich wieder als Monatssran
verdingt," sagte sie nach langem Schweigen, „mor-
gen Früh um sieben Uhr gehe ich znm ersten
Male hin."

„Wozu denn? Ich verdiene genug, Du hast
doch nicht nölhig, einen Dienst nnzunehmcn."

„Rötyig genug, dächte ich, Raphaels wegen,
der nicht so viel Glück mit der Arbeit hat, wie
Du und auch Niemanden, der für ihn sorgt."

Eine ganze Welt von Groll lag in diesen
Worte». — Rane senkte den Kops und hämmerte
wieder drauf los.

„Hör doch endlich einmal mit Deinen; ver-
wünschten Klopsen ans, ich bin schläfrig und will
zn Bett."

Gegen Mitternacht lag das große, tagsüber
so unruhige, geräuschvolle Haus in tiefste»;
Schweigen. Die Leute hatten sich müde gearbeitet
und schliefen so sest, als ob sic durch nichts mehr
zn wecken seien.

Auch Nane hatte endlich die schweren Ge-
danke,; verscheuchen können. Seine nervigen
Arme ruhten und sein mächtiger Körper über-
ließ sich vertrauensvoll de»; Schlaf.

Nur Earlotta wachte.

Der Vollmond, der ungehindert durch die
jalousienlosen Fenster dringen konnte, beleuchtete
das ganze Zimmer. Aber Earlotta sah nicht
nach de»; Mond.

Wenn Nane sie in diesem Augenblicke hätte
sehen können, er hätte gezittert. Im Untcrrock,
mit aufgelösten Haaren, über den Schultern ein
wollenes Tuch znm Schutz gegen die Kälte, stand
sie »eben ihren; Bett. In der Hand hielt sie
ein Päckchen Fünflire-Scheine, die sie bei»; Licht
des Mondes zählte.

„Zwcihnndcrtundsicbjig — zweihundertund-
sünfundsiebzig — zwcihundcrtundachtzig! Ge-
radeaus zweihundertnndachtzig Lire! lind die
hat er vor mir verheimlicht!"

Ihre Blicke fielen auf den armen Mann,
dessen blasses Gesicht in eben diesen; Momente
eine seltsame Milde zur Schau trug.

Sic rührte es nicht: der wilde Haß, der
ihre weichen Züge beinahe eckig erscheinen ließ
und den Augen einen stahlhartei; Ausdruck gab,
schien sich nur zu verdoppeln. Sorgsam band
sie die Banknoten zusammen und barg das Packet
an der Brust. Dann ging sic leise in das andre
Zimmer, das Rane als Werkstatt benützte.

Als sie znrückkehrte, war der Mond ver-
schwunden. Earlotta kauerte sich in eine Ecke
des Sophas, legte den Kops nix die Lehne und
blickte nachdenklich vor sich hi;;. Neben ihr be-
sand sich ein Gegenstand, der ein ziemliches Ge-
wicht besitzen mußte, denn er grub sich tief in
die iveichen Polster des alten Sophas mit seinen
lahm gewordenen Sprungfedern ein. Ihre rechte
Hand streckte sich nach diesen; Gegenstände ans,
die schlanken Finger strichen über eine pvlirte
Fläche, dann suhren sie plötzlich wieder zurück
und Earlotta sühlle einen eisigen Schauer über
den ganzen Körper rieseln.

Aber dieser Gegenstand mußte eine surcht-
barc Anziehungskraft besitzen, dein; trotz deS
Widerwillens, der sic jedes Mal durchzuckte,
wiederholten die schlanken Finger gleich darauf
ihre Liebkosung. Endlich griffen sie energisch zu.

Rane seufzte eben tief ans in; Schlase und
inurmelte einige unverständliche Worte.
Earlotta fuhr m die Höhe.

Wie lange saß sie schon hier? Hatte
sie geträumt? Was machte sie? Was
wollte sie? Und er? War er ausge-
wacht? Hatte er sie gesehen? Nein
— da — er schlief schon ivieder!

In; Zimmer war es noch dunkel,
dunkler sogar als vorher, denn die
Straßenlaternen schinnnerlen nur trü-
be durch den dichten Nebel und die ge-
frorenen Fensterscheiben ließen kann;
einen schwachen Widerschein durch.

'Aber der Tag war nicht mehr fern.
Aus der Straße begann es lebendig zn
werden. Einige Wagen suhren knar-
rend vorüber, die Wände des leicht-
gebauten Hauses erschütternd — hie
»;;d da lief; sich eine heisere Stimme
vernehmen. Jetzt war der richtige
Moment — jetzt oder nie! —

Ein wohlgezielter Schlag — bei
diesem Geräusch von draußen her
konnten die Hausbewohner nichts hö-
re;;, selbst ein Stöhnen nicht — kaum
einen Schrei. Das war der Moment,
jetzt oder nie! —

Die Uhr von San Semplieiano
schlug Sieben, Earlotta beschleunigte
ihre Schritte. Wie schön sie ausjah,

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Josef Damberger: Rautendelein
 
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