Nr. 2Ö
JUGEND
18S7
Max VOgcl (München).
wenn auch etwas blaß, mit ihrem straff über
die Hüften gezogenen Shawl und dem wollenen
Tuch über dem Kopf! Der Tabackhändler in dem
Eckladcn ries sic a», um ihr ein Gläschen nnzu-
bicten, das werde sie erwärmen.
Sie nahm es mit dem koketten Lächeln der
schönen Frau entgegen.
„Haben Sie wieder einen Monatsdicnst an-
genommen, das; Sic so früh schon ans der Straffe
sind?"
„Gcwiff, mit meinem Schlingel von einem
Jungen kann man nie genug Geld haben."
„Und Naue hält die Taschen etwas fest zu,
nicht wahr?"
„Das gerade nicht, aber wie's so gdht, die
Ausgaben mehren sich —"
„lind Sie sind eine Frau, die gerne unab-
hängig ist. Sie haben Recht, aber glauben Sie
mir, Nanc legt Geld zurück, das Sparen hat er
immer verstanden."
„lim so besser."
„Kann sein — aber wenn ich an seiner
Stelle wäre, meinen letzten Heller würde ich her-
geben, um Ihre Wünsche zu befriedigen. Doch
nnsereinem fällt solch' ein Glück nicht zu."
Carlotta wurde roth und ihre iveiffen Zähne
blitzten den galanten Tabackhändler an. Dann
machte sie sich davon, denn es wurde spät, und
sie wollte ihre Herrschaft nicht warten lassen.
Gegen lO Uhr, als sie bald mit ihrer Arbeit
fertig war, kam keuchend eine Nachbarin daher ge-
rannt, um ihr zu sagen, sie solle rasch nach Hause
kommen. Es sei Naue ein Unglück Passirt. Er
scheine lobt zu sein, er könne »veder sprechen, noch
sich rühren. Einer der Nachbarn habe sich einen
Hammer von ihm leihen wollen und ihn mit blut-
überströmtem Gesicht ans dem Boden liegend ge-
sunden. Sie solle sich nicht so ausregen — Car-
lotta geberdete sich wie eine Verzweifelte — aber
man sehe schon, es müssen Diebe gewesen sein,
die Kommode sei nmgewvrfen, der Schrank er-
brochen, da könne alles Mögliche gestohlen wor-
den sein. Die Polizei stehe Wache und lasse
N'jemanden ein. Unter stetem Weinen hörte
Carlotta zu. Als sie z» Hause angelangt, galt
ihr erster Blick ihrem geliebten Nane, und als
sic sah, das; man ihn aus das Sopha gelegt
stürzte sie auf ihn zu. Schluchzend küffte und
umarmte sie ihn, nannte ihn mit den zärtlichsten
Namen und schien wie rasend vor Schmerz, so
daß selbst den Schutzleuten die Thränen kamen.
Naue lag stumm und unbeweglich da, aber
er lebte noch und blickte Carlotta mit seinen
starren, aufgedunsenen Augen an.
Oh, wer weis;, wie unendlich schwer e§ ihm
fallen mochte, das Weib, das er so sehr geliebt,
nicht noch einmal in die Arme schlieffen zu
können! Wer weiß, wie tief ihn dieser rührende
Schmerz und diese Liebkosung bewegten! Aber
der schurkische Mörder hatte ihm mit seinem
schweren Hammer das kleine Gehirn und das
Rückgrat zerschmettert und der Arzt erklärte, das;
er wohl Alles sehen und hören, aber den leb-
losen Gliedern keine Bewegung, der gelähmten
Zunge kein Wort übermitteln könne. Das Bis-
chen Leben, >vas ihm geblieben, konzcntrirte sich
ans die Angen und sie waren unheimlich, diese
starren, von Schmerz und Zorn durchglühten
Augen, die unverwandt ans die schöne Frau
gerichtet waren.
Aber auch - dieses Lebenszeichen sollte bald
genug verlöschen. Kr Arzt zählte die Minuten.
Jetzt ging ein letztes Zucken durch den Kör-
per des Sterbenden. Mit übermenschlicher An-
strengung suchte er sich den Armen Carlotta's
zu entwinden — vielleicht hielt sie ihn zu fest
umschlungen — dann verschied er.
Trotzdem, das; es ihr Keiner glauben wollte
und Alle empört über sie waren, wurde Carlotta
von Aanc's Schwester als dessen Mörderin be-
zeichnet. Carlotta ivnrde vor Gericht gestellt.
Aber die Zeugenaussagen lauteten so günstig
und Carlotta's Verzweiflung und Schmerz waren
so herzzerreißend, das; die Richter sie freisprechen
mufften.
— — Etiva ein Jahr darauf wurde sie
Wittwe und der Inhaber des Tabackladens an
der Straffenecke machte sie zu seiner Frau.
Raphael ist nun befriedigt, er lebt herrlich
und in Freuden und thnt sich an den besten
Cigarren seines Stiefvaters gütlich.
Aber der Tabakhändlcr fürchtet sich stets
etwas vor ilstn.
(AuS dem Italienischen übersetzt
von Hans Jürgen s.)
L p i g r a m m c
Homo novus
Da seht mir den Parvenn, den verrannten:
Er will nicht von thierischen Ahnen kommenl
Kaum ist er ein wenig emporgeklommen,
verleugnet er schon seine nächsten verwandten
c»»
Ein Frommer
„ lvillst Du vollkommen sein" — das fiel ihm ein -
„verkauf Dein Gut »nd gicb's den Armen hink
Und er empfand's mit dankerfülltem Sinn:
Gottlob, ein Mensch kann nicht vollkommen fein I
(!Uto Ernst.
Kleine Münze
Feiner angelegte Menschen erröthen so-
wohl über ein berechtigtes Lob, wie auch
über eine Schmeichelei — im ersteren Fall
aus Schamgefühl, im letzteren aus Zorn. kF-
9
Dass Einer, der nicht malen kann, Ge-
mälde, und der nicht dichten kann, Ge-
dichte rezensirf, das sieht nur schlimm
aus, ist es aber nicht. Aber dass viele
Leute, die rezensiren, nicht gemessen kön-
nen, das ist bös. Und nicht blos für sie-
^ u. j. B.
Muliertaceat in ecclesia — in der Kirche
hat die Frau zu schweigen. Muss es aber
nicht auch umgekehrt heissen: Ecclesia
taceat in mulieri —? h. schm.
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Max VOgcl (München).
wenn auch etwas blaß, mit ihrem straff über
die Hüften gezogenen Shawl und dem wollenen
Tuch über dem Kopf! Der Tabackhändler in dem
Eckladcn ries sic a», um ihr ein Gläschen nnzu-
bicten, das werde sie erwärmen.
Sie nahm es mit dem koketten Lächeln der
schönen Frau entgegen.
„Haben Sie wieder einen Monatsdicnst an-
genommen, das; Sic so früh schon ans der Straffe
sind?"
„Gcwiff, mit meinem Schlingel von einem
Jungen kann man nie genug Geld haben."
„Und Naue hält die Taschen etwas fest zu,
nicht wahr?"
„Das gerade nicht, aber wie's so gdht, die
Ausgaben mehren sich —"
„lind Sie sind eine Frau, die gerne unab-
hängig ist. Sie haben Recht, aber glauben Sie
mir, Nanc legt Geld zurück, das Sparen hat er
immer verstanden."
„lim so besser."
„Kann sein — aber wenn ich an seiner
Stelle wäre, meinen letzten Heller würde ich her-
geben, um Ihre Wünsche zu befriedigen. Doch
nnsereinem fällt solch' ein Glück nicht zu."
Carlotta wurde roth und ihre iveiffen Zähne
blitzten den galanten Tabackhändler an. Dann
machte sie sich davon, denn es wurde spät, und
sie wollte ihre Herrschaft nicht warten lassen.
Gegen lO Uhr, als sie bald mit ihrer Arbeit
fertig war, kam keuchend eine Nachbarin daher ge-
rannt, um ihr zu sagen, sie solle rasch nach Hause
kommen. Es sei Naue ein Unglück Passirt. Er
scheine lobt zu sein, er könne »veder sprechen, noch
sich rühren. Einer der Nachbarn habe sich einen
Hammer von ihm leihen wollen und ihn mit blut-
überströmtem Gesicht ans dem Boden liegend ge-
sunden. Sie solle sich nicht so ausregen — Car-
lotta geberdete sich wie eine Verzweifelte — aber
man sehe schon, es müssen Diebe gewesen sein,
die Kommode sei nmgewvrfen, der Schrank er-
brochen, da könne alles Mögliche gestohlen wor-
den sein. Die Polizei stehe Wache und lasse
N'jemanden ein. Unter stetem Weinen hörte
Carlotta zu. Als sie z» Hause angelangt, galt
ihr erster Blick ihrem geliebten Nane, und als
sic sah, das; man ihn aus das Sopha gelegt
stürzte sie auf ihn zu. Schluchzend küffte und
umarmte sie ihn, nannte ihn mit den zärtlichsten
Namen und schien wie rasend vor Schmerz, so
daß selbst den Schutzleuten die Thränen kamen.
Naue lag stumm und unbeweglich da, aber
er lebte noch und blickte Carlotta mit seinen
starren, aufgedunsenen Augen an.
Oh, wer weis;, wie unendlich schwer e§ ihm
fallen mochte, das Weib, das er so sehr geliebt,
nicht noch einmal in die Arme schlieffen zu
können! Wer weiß, wie tief ihn dieser rührende
Schmerz und diese Liebkosung bewegten! Aber
der schurkische Mörder hatte ihm mit seinem
schweren Hammer das kleine Gehirn und das
Rückgrat zerschmettert und der Arzt erklärte, das;
er wohl Alles sehen und hören, aber den leb-
losen Gliedern keine Bewegung, der gelähmten
Zunge kein Wort übermitteln könne. Das Bis-
chen Leben, >vas ihm geblieben, konzcntrirte sich
ans die Angen und sie waren unheimlich, diese
starren, von Schmerz und Zorn durchglühten
Augen, die unverwandt ans die schöne Frau
gerichtet waren.
Aber auch - dieses Lebenszeichen sollte bald
genug verlöschen. Kr Arzt zählte die Minuten.
Jetzt ging ein letztes Zucken durch den Kör-
per des Sterbenden. Mit übermenschlicher An-
strengung suchte er sich den Armen Carlotta's
zu entwinden — vielleicht hielt sie ihn zu fest
umschlungen — dann verschied er.
Trotzdem, das; es ihr Keiner glauben wollte
und Alle empört über sie waren, wurde Carlotta
von Aanc's Schwester als dessen Mörderin be-
zeichnet. Carlotta ivnrde vor Gericht gestellt.
Aber die Zeugenaussagen lauteten so günstig
und Carlotta's Verzweiflung und Schmerz waren
so herzzerreißend, das; die Richter sie freisprechen
mufften.
— — Etiva ein Jahr darauf wurde sie
Wittwe und der Inhaber des Tabackladens an
der Straffenecke machte sie zu seiner Frau.
Raphael ist nun befriedigt, er lebt herrlich
und in Freuden und thnt sich an den besten
Cigarren seines Stiefvaters gütlich.
Aber der Tabakhändlcr fürchtet sich stets
etwas vor ilstn.
(AuS dem Italienischen übersetzt
von Hans Jürgen s.)
L p i g r a m m c
Homo novus
Da seht mir den Parvenn, den verrannten:
Er will nicht von thierischen Ahnen kommenl
Kaum ist er ein wenig emporgeklommen,
verleugnet er schon seine nächsten verwandten
c»»
Ein Frommer
„ lvillst Du vollkommen sein" — das fiel ihm ein -
„verkauf Dein Gut »nd gicb's den Armen hink
Und er empfand's mit dankerfülltem Sinn:
Gottlob, ein Mensch kann nicht vollkommen fein I
(!Uto Ernst.
Kleine Münze
Feiner angelegte Menschen erröthen so-
wohl über ein berechtigtes Lob, wie auch
über eine Schmeichelei — im ersteren Fall
aus Schamgefühl, im letzteren aus Zorn. kF-
9
Dass Einer, der nicht malen kann, Ge-
mälde, und der nicht dichten kann, Ge-
dichte rezensirf, das sieht nur schlimm
aus, ist es aber nicht. Aber dass viele
Leute, die rezensiren, nicht gemessen kön-
nen, das ist bös. Und nicht blos für sie-
^ u. j. B.
Muliertaceat in ecclesia — in der Kirche
hat die Frau zu schweigen. Muss es aber
nicht auch umgekehrt heissen: Ecclesia
taceat in mulieri —? h. schm.
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