16S7
JUGEND
4
Nr. 28
Gleichheit
Eine sociale Betrachtung von
F. v. Kapff-Essentlier
Es war ein sehr originelles Ko-
stümfest, welches unser Modemaler
veranstaltete. Ein geistreicher Cau-
seur im Gegensatz zu Makart dem
Stummen! — Makart malte auch
nur blühendes Fleisch und phan-
tastische Blumen, allenfalls noch
Hüte, Sammtkleider und, wie ein-
mal der Kaiser von Oesterreich
sagte, „Eierspeisen“, die sich über
ein ganzes Gemälde ausbreiteten.
Was lässt sich darüber sagen? Un-
ser Künstler malte moderne Men-
schen in historischem Kostüm und
wusste immer eine ganze Menge
darüber zu erzählen, zu erklären,
zu plaudern.
Sein Kostümfest umfasste das
19. Jahrhundert, so lautete ungefähr
die Einladung, womit die Bitte ver-
bunden war, es möchte Jeder im
Sinne seines Kostüms sprechen.
Also vom „premier Empire“ bis zu
„fin de siede“. Dabei konnte man
auch erscheinen, wie man alltags
ging.
Aber davon machte Niemand Ge-
brauch. Das wäre ja zu gewöhn-
lich gewesen. Herren und Damen
präsentirten sich im Kostüm — die
weitaus meisten „empire“. Damen
mit etwas Fülle und etwas Schlank-
heit zeigten hoch gegürtet ihren
üppigen Busen mit einem leichten
Flor bedeckt. Warum denn nicht!
Auch Kaiserin Maria Theresia, die
Musterfrau, zeigte sich so tief d>
colletirt. Andere, die noch unter
dem Gürtel Fülle besassen, trugen
Faltenröcke oder Krinolinen. Junge
Mädchen sahen allerliebst aus in der
Kleidung, welche Kaulbach Werthers
Lotte gegeben hat. Das war das
Gros! Ausserdem verschiedene le-
bendig gewordene Modebilder aus
den letzten Jahrzehnten, welche sich
dieTrägerinnen je nach ihrer Figur ge
wählt hatten, Tournüren, thurmhohe
Hüte und Andeutungen von Kopfbe-
deckung, hochgesteckte Lockenschei-
tel, Chignons wie Bieberschwänze,da-
neben auch kurzgeschnittenes Haar,
wie es die Nihilistin trägt, Reform-
lind Radlerkostüme u. s. w.
Viel einförmiger waren die Ko-
stüme der Herren: die Mehrzahl
„Sansculottes“ in verschiedenen Va-
rianten.
In wenigen Exemplaren verjüngte
sich die Tracht bis zu der unserer
Grossväter der eigentliche Braten-
rock, der Vatermörder, die hohe,
den Hals einschliessende schwarze
Kravatte, der hohe Cylinder, die
eigentliche Angströhre u. s. w. Es
gab ein hübsches und lehrreiches
Bild! Der Hausherr trug ein kleid-
sames Incroyablekostüm, ein be-
kannter Schriftsteller erschien in
modernem Frack, weisser kleiner
Kravatte, Chapeau-claque — Alles
ganz modern ! Es war der einzige
Frack auf dem Kostüm'eit.
Die Herren, die ja meist gleichgil-
tig sind gegen gesellschaftliche Fi-
nessen, sprachen ganz wie gewöhn-
pnti Erl er (München).
lieh von Skat und Börsenkursen, von
der letzten Ausstellung,von den „Auf-
trägen“, der Hoffnung jeden Malers,
von dem neuesten böhmischen Bier,
von einer schönen Chansonnette.
Besser hatten sich die Damen vorbe-
reiter. Die Einen rühmten sich milder
Roland oder der Tallien befreundet
gewesen zu sein,dieAndern schwärm-
ten für die Georges Sand. Damen
in wirklichen Krinolinen lasen Clau-
ren’s „Mimili“ und erklärten „Robei t
den Teufel“ für das musikalische
Meisterwerk aller Zeiten. Sie behaup-
teten, Liszt gehört und aus einem
Glase mit ihm getrunken zu haben.
Sie waren mit dem ersten Eisen-
bahnzug in Deutschland von Berlin
nach Potsdam gefahren. Sie hatten
das erste Gaslicht gesehen und
Dessoir als Franz Moor! Zwischen
den Jüngsten und Hübschesten ent-
stand ein allerliebster Wettstreit, im-
mer ältere Sachen gesehen zu haben,
ohne Rücksicht auf das Kostüm!
Der Hausherr lachte vergnügt.
Natürlich wusste er nichts, was über
1801 hinausreichte. Was Gaslicht
und Eisenbahn sei, davon hatte er
keine Ahnung!
Aber als er den Frack sah, er-
wachte seine satirische Ader — er
wurde moderner Mensch und sagte
zu dem Frack:
„Wir hatten zur Zeit des vorigen
„Rn de siede“ drei Ideale: „Frei-
heit, Gleichheit, Brüderlichkeit!“ —
Das Letzte ist eine ausrangirte Phrase
geworden, das Erstere ein chamä-
leonartiger Begriff, sehr in Miss-
kreditgerathen durch einen gewissen
Marquis Posa, aber die Gleichheit
— die Gleichheit — sehen Sie —
die ist Wirklichkeit geworden. Allen
Ernstes! Alles nivellirt sich! Der
Frack ist ein Symbol davon. Wer
trägt nicht den Frack ? Der Kell-
ner ebenso wie der Ministerprä-
sident, der Bräutigam wie der
Hauptredner bei einer Todten-
feier, der Ballgast, der Konzert-
geber, der Präsident der französ-
ischen Republik, der Taschen-
spieler, der-“
„Jude sogar“, ergänzte der
befrackte Schriftsteller. „Der
Jude, welcher durch Jahrhun-
derte durch eine besondereT rächt
gekennzeichnet war, so dass
Jedermann ihn erkennen und
meiden konnte. Und heute sieht
ein jüdischer Kommis in Ball-
tracht beinahe so aus, wie ein
Gesandtschafts-Attachöe.“
„Gewiss ist die Zeit nicht
ferne, wo auch der Bauer Frack
und Cylinder tragen wird —“
„Und Sie meinen“, versetzte
der Frackträger, „dass damit die
sociale Gleichheit dokumentirt
wird?“
„Nun ohne Zweifel“, versetzte
der ,lncroyable‘, eigentlich Sans-
culotte, „die socialen Unter-
schiede fallen. Bedenken Sie
doch! Es gibt nur noch Unter-
'. schiede aus Zufall, nicht mehr
im Prinzip Wir sind der Gleich-
heit so nahe, als es in unserer
Zeit überhaupt mög’ich ist —
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Gleichheit
Eine sociale Betrachtung von
F. v. Kapff-Essentlier
Es war ein sehr originelles Ko-
stümfest, welches unser Modemaler
veranstaltete. Ein geistreicher Cau-
seur im Gegensatz zu Makart dem
Stummen! — Makart malte auch
nur blühendes Fleisch und phan-
tastische Blumen, allenfalls noch
Hüte, Sammtkleider und, wie ein-
mal der Kaiser von Oesterreich
sagte, „Eierspeisen“, die sich über
ein ganzes Gemälde ausbreiteten.
Was lässt sich darüber sagen? Un-
ser Künstler malte moderne Men-
schen in historischem Kostüm und
wusste immer eine ganze Menge
darüber zu erzählen, zu erklären,
zu plaudern.
Sein Kostümfest umfasste das
19. Jahrhundert, so lautete ungefähr
die Einladung, womit die Bitte ver-
bunden war, es möchte Jeder im
Sinne seines Kostüms sprechen.
Also vom „premier Empire“ bis zu
„fin de siede“. Dabei konnte man
auch erscheinen, wie man alltags
ging.
Aber davon machte Niemand Ge-
brauch. Das wäre ja zu gewöhn-
lich gewesen. Herren und Damen
präsentirten sich im Kostüm — die
weitaus meisten „empire“. Damen
mit etwas Fülle und etwas Schlank-
heit zeigten hoch gegürtet ihren
üppigen Busen mit einem leichten
Flor bedeckt. Warum denn nicht!
Auch Kaiserin Maria Theresia, die
Musterfrau, zeigte sich so tief d>
colletirt. Andere, die noch unter
dem Gürtel Fülle besassen, trugen
Faltenröcke oder Krinolinen. Junge
Mädchen sahen allerliebst aus in der
Kleidung, welche Kaulbach Werthers
Lotte gegeben hat. Das war das
Gros! Ausserdem verschiedene le-
bendig gewordene Modebilder aus
den letzten Jahrzehnten, welche sich
dieTrägerinnen je nach ihrer Figur ge
wählt hatten, Tournüren, thurmhohe
Hüte und Andeutungen von Kopfbe-
deckung, hochgesteckte Lockenschei-
tel, Chignons wie Bieberschwänze,da-
neben auch kurzgeschnittenes Haar,
wie es die Nihilistin trägt, Reform-
lind Radlerkostüme u. s. w.
Viel einförmiger waren die Ko-
stüme der Herren: die Mehrzahl
„Sansculottes“ in verschiedenen Va-
rianten.
In wenigen Exemplaren verjüngte
sich die Tracht bis zu der unserer
Grossväter der eigentliche Braten-
rock, der Vatermörder, die hohe,
den Hals einschliessende schwarze
Kravatte, der hohe Cylinder, die
eigentliche Angströhre u. s. w. Es
gab ein hübsches und lehrreiches
Bild! Der Hausherr trug ein kleid-
sames Incroyablekostüm, ein be-
kannter Schriftsteller erschien in
modernem Frack, weisser kleiner
Kravatte, Chapeau-claque — Alles
ganz modern ! Es war der einzige
Frack auf dem Kostüm'eit.
Die Herren, die ja meist gleichgil-
tig sind gegen gesellschaftliche Fi-
nessen, sprachen ganz wie gewöhn-
pnti Erl er (München).
lieh von Skat und Börsenkursen, von
der letzten Ausstellung,von den „Auf-
trägen“, der Hoffnung jeden Malers,
von dem neuesten böhmischen Bier,
von einer schönen Chansonnette.
Besser hatten sich die Damen vorbe-
reiter. Die Einen rühmten sich milder
Roland oder der Tallien befreundet
gewesen zu sein,dieAndern schwärm-
ten für die Georges Sand. Damen
in wirklichen Krinolinen lasen Clau-
ren’s „Mimili“ und erklärten „Robei t
den Teufel“ für das musikalische
Meisterwerk aller Zeiten. Sie behaup-
teten, Liszt gehört und aus einem
Glase mit ihm getrunken zu haben.
Sie waren mit dem ersten Eisen-
bahnzug in Deutschland von Berlin
nach Potsdam gefahren. Sie hatten
das erste Gaslicht gesehen und
Dessoir als Franz Moor! Zwischen
den Jüngsten und Hübschesten ent-
stand ein allerliebster Wettstreit, im-
mer ältere Sachen gesehen zu haben,
ohne Rücksicht auf das Kostüm!
Der Hausherr lachte vergnügt.
Natürlich wusste er nichts, was über
1801 hinausreichte. Was Gaslicht
und Eisenbahn sei, davon hatte er
keine Ahnung!
Aber als er den Frack sah, er-
wachte seine satirische Ader — er
wurde moderner Mensch und sagte
zu dem Frack:
„Wir hatten zur Zeit des vorigen
„Rn de siede“ drei Ideale: „Frei-
heit, Gleichheit, Brüderlichkeit!“ —
Das Letzte ist eine ausrangirte Phrase
geworden, das Erstere ein chamä-
leonartiger Begriff, sehr in Miss-
kreditgerathen durch einen gewissen
Marquis Posa, aber die Gleichheit
— die Gleichheit — sehen Sie —
die ist Wirklichkeit geworden. Allen
Ernstes! Alles nivellirt sich! Der
Frack ist ein Symbol davon. Wer
trägt nicht den Frack ? Der Kell-
ner ebenso wie der Ministerprä-
sident, der Bräutigam wie der
Hauptredner bei einer Todten-
feier, der Ballgast, der Konzert-
geber, der Präsident der französ-
ischen Republik, der Taschen-
spieler, der-“
„Jude sogar“, ergänzte der
befrackte Schriftsteller. „Der
Jude, welcher durch Jahrhun-
derte durch eine besondereT rächt
gekennzeichnet war, so dass
Jedermann ihn erkennen und
meiden konnte. Und heute sieht
ein jüdischer Kommis in Ball-
tracht beinahe so aus, wie ein
Gesandtschafts-Attachöe.“
„Gewiss ist die Zeit nicht
ferne, wo auch der Bauer Frack
und Cylinder tragen wird —“
„Und Sie meinen“, versetzte
der Frackträger, „dass damit die
sociale Gleichheit dokumentirt
wird?“
„Nun ohne Zweifel“, versetzte
der ,lncroyable‘, eigentlich Sans-
culotte, „die socialen Unter-
schiede fallen. Bedenken Sie
doch! Es gibt nur noch Unter-
'. schiede aus Zufall, nicht mehr
im Prinzip Wir sind der Gleich-
heit so nahe, als es in unserer
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